Wenn aus Brachflächen Orte voller Fantasie werden

Pop-up-Kreativorte in Erfurt // ein Gespräch mit Ronny Lessau

Ronny Lessau ist Gründer und Inhaber der KreativTankstelle in Erfurt, einer der Initiator:innen des WirGartens sowie Stadtgartens 2.0 und des KreativGartens auf dem Petersberg im Zuge der BUGA 2021. Neben der Konzeption seiner Pop-up-Kreativorte, die meist in den Sommermonaten bestehen, organisiert er mit seinem Team diverse Events in Erfurt rund um die Themen Kunst, Kultur und Musik. Ihre Konzepte zu atmosphärischen Kreativtorten setzen sie zusammen mit ihrem Netzwerk aus Erfurt, Leipzig, Berlin und Dresden um. Hierbei entstehen aus meist kargen Brachflächen der Landeshauptstadt atmosphärische “Places to Be” – inklusive individuellem lokalen Kulturprogramm, liebevoll kuratierter Gastronomie und vor allem begeisterten Erfurter:innen und Besucher:innen.

Welche Mehrwerte bieten derartige Pop-up-Kreativorte für Erfurt? Mit welcher Motivation geht Ronny in seine Projekte hinein und was wünscht sich der Dresdner in Zukunft bezüglich der Mit- und Umgestaltung der Stadt? Wir haben ihn zu Cappuccino und Schokobrötchen in der KreativTankstelle getroffen und mehr erfahren.

 

Team KreativGarten light: (von li. n. re.) Ronny, Leonie, Martin, Ian, Ingrid, Almuth, Lukas, Anni, Franzi (u.v.w.).

Zwischen Holzpaletten und Sonnensegeln kann man dem Alltag entfliehen

“Wenn wir aus einer vergessenen Brache einen Ort entstehen lassen, an dem sich Menschen wohlfühlen, Kultur erleben und ihr Mindset erweitern können, ist das für uns die absolute Befriedigung.” Ronny Lessau nippt an seinem Cappuccino in der KreativTankstelle. Der umtriebige Wahl-Thüringer startete bereits 2016 mit seinem ersten Projekt in Erfurt: dem sogenannten WirGarten. Das Zwischennutzungsprojekt verwandelte kurzerhand die Brachfläche am ehemaligen Videobuster, heute Heimat der hochmodernen Wohntürme des WirQuartiers, zu einem Ort voller Kunst, Musik, Kultur und Leben.

Holzpaletten dienten als Sitzflächen, selbstgemachte Girlanden und Sonnensegel als Dekoration, dazu gab es Bier aus kleinen Brauereien und Leckereien vom Grill. Und das Konzept ging auf: Tausende Erfurter:innen hatten drei Sommer lang in ihrer Landeshauptstadt eine tolle Zeit. Freundschaften und Partnerschaften wurden geschlossen, an lauen Sommerabenden getanzt und auf der Kleinkunstbühne (noch) unbekannten Künstler:innen aus der ganzen Welt gelauscht. “Anfangs sind wir sehr frei an unsere Pop-up-Kreativort-Projekte rangegangen”, erinnert sich Ronny. “Wir hatten eine Idee und haben es aus Liebe zur Kultur und zur Stadt einfach gemacht. Als wir 2018 die Zelte abbrechen mussten, da der Bau des heutigen WirQuartiers startete, suchten wir zunächst nach einer langfristigen Lösung. Wir wollten einen Ort erschaffen, der dauerhaft Inspiration und Zusammensein fördert. Einen Ort, an dem man genießen und arbeiten kann. So ist schließlich die KreativTankstelle entstanden.” 

 

Eine feste Bleibe – Neu- und Umnutzung bestehender Räume und Flächen

Gesagt, getan: Seit nunmehr vier Jahren ist die “Tanke”, wie die Erfurter:innen sie oftmals nennen, ein Raum und Café der Möglichkeiten mit Platz für alle. “Offenheit und Austausch werden hier großgeschrieben. Unser Team versteht sich als aktiver Part einer aufkommenden Diskussion und neuer Impulse innerhalb und außerhalb der Tankstelle. Mit zahlreichen Events zu tagesaktuellen Themen werden immer wieder Anreize für Diskussion und Wissenserwerb gesetzt. Gäste können eigene Ideen bei der Programmgestaltung einbringen. Die Tische sind absichtlich groß gehalten, um Menschen miteinander zu verbinden.”

Gegenüber des Kreativ- und Coworking-Cafés wurde zudem der aufgrund der Corona-Pandemie geschlossene CopyShop zu einem Meeting- und Workshop-Raum umgebaut. Diesen können Unternehmen aller Art, aber auch studentische Gruppen für Meetings oder Workshops nutzen. “Ich sehe und schöpfe Potenziale in ungenutzten Räumen und Flächen. Das Gebäude gegenüber wurde für uns interessant, nachdem die Öffnungszeiten des CopyShops aufgrund der wegen Corona ausbleibenden Präsenzseminare und der fehlenden Studenten immer weiter verkürzt wurden. Infolgedessen kam ich mit dem Besitzer Cliff Walther ins Gespräch und stellte ihm meine Idee vor, die Fläche für Meeting- und Workshop-Räume zu nutzen. Er war dafür sehr offen und nun hat sich der Space in Erfurt fest etabliert.”

Wenn Kreativorte Botschaften transportieren

Doch: Woher kommen diese scheinbar unbändige Leidenschaft und Motivation der Belebung von ungenutzten Orten? “Die Projekte, die wir als Team umsetzen, ob WirGarten, Stadtgarten 2.0 oder KreativGarten, haben immer eine Hauptmotivation: Wir möchten mit unserer Leidenschaft und Kreativität die Stadt mitgestalten, Kulturakteur:innen einen Raum zur Präsentation geben, unterschiedlichste Menschen zusammenbringen und das mit ausgewählten gastronomischen Angeboten abrunden. Dabei sind wir immer neugierig auf neue Konzepte und kulturellen Formaten, die nicht nur uns eine neue Perspektive ermöglichen, sondern auch unseren Gästen.” So bietet Ronny neben lokalem Kulturprogramm inklusive Ukulele- und Performance-Abenden, Lesungen und Kinderlieder-Konzerten auch handgemachtes Bier, biozertifizierte Limonaden und Kokoswasser made in Berlin an. “Solche Orte haben die Chance, freiheitlich gesellschaftliche Werte zu transportieren. Neben der Offenheit für neue und ungewöhnliche Kunst und Kultur möchten wir Upcycling-Bestuhlung (Holzpaletten) und nachhaltig produzierte Getränke mit Botschaft an den Mann und die Frau bringen.” Inspiriert sind die Kreativorte von Großstädten.

Ronny selbst besuche gerne den „Holzmarkt” in Berlin, der als kreatives Quartier an der Spree unzählige Künstler:innen und Musikschaffende mit Konzerten und Events anlockt. “Die Orte strahlen Diversität, Entschleunigung, Kreativität und Freiheit aus – und dieses Mindset möchten wir durch unsere Pop-up-Kreativorte auch nach Erfurt bringen.” 

Erfurter KreativTankstelle, Foto: THAK.
Der ehemalige CopyShop dient nun als Meeting- und Workshopraum, Foto: THAK.

Pop-up, pop-down – was bleibt?

National und international greifbar wurde ihre Mission der kreativen Mitgestaltung von Stadt und Gesellschaft 2021 zur BUGA: Die gesamte Ausstellungszeit lang bespielten Ronny und sein Team einen Teil des Petersbergs mit dem sogenannten KreativGarten, der im Sommer 2022 noch einmal in der Lightversion unterhalb der Festungsbäckerei auf dem Peterberg einen Monat lang zum Leben erweckt wurde. “Nach der BUGA wurde der Erfurter Petersberg schnell wieder unbelebt. Daraufhin entwickelte die Stadt die Idee zum Petersbergfest. Wir wurden angefragt, ob wir zur Veranstaltung für ein Wochenende den KreativGarten in der Lightversion wiederbeleben könnten, konnten dann aber schließlich die Nutzungsdauer auf einen Monat verlängern”, erinnert sich Ronny, während wir beschließen, uns auf die von der Herbstsonne bestrahlte Terrasse der KreativTankstelle zu setzen. “Solche Orte zu gestalten und zu bespielen braucht Zeit und Liebe. Mein Team und ich sowie meine Netzwerkpartner:innen tüfteln und feilen lange an derartigen Kreativort-Konzepten und am Programm. Am Ende entstehen richtige Traumwelten, in denen man dem Alltag entfliehen kann. Unser Anspruch ist es nicht, einen Bierwagen und Schirme hinzustellen – daher sind kurzfristige Nutzungsmöglichkeiten zwar immer cool, aber allzu kurz sollte es dann eben auch nicht sein, damit sich die Mühe lohnt und sich die Potenziale an derartigen Orten entfalten können.

Solche Orte brauchen zudem Zeit, um wahrgenommen zu werden. Nur dann haben wir, aber auch die Besucher:innen das Gefühl, dass etwas nachhaltig bleibt und das Erlebte nachhallen kann.“

Kultur und Stadtgestaltung geht alle was an

Am Beispiel des „KreativGarten light“ sind neben Erinnerungen an herrliche Sonnenuntergänge mit Blick über die Stadt, entscheidende Dinge nicht geblieben: Die Wiese unterhalb der Festungsbäckerei war bis zur Umnutzung durch Ronny und sein Team ein wahrhafter “Brennpunkt” für Verwahrlosung, Müll und Beschmierungen der Wände: “Bevor wir kamen, wurde der Ort zum Vandalieren und Freidrehen benutzt. In der Zeit des KreativGarten light ist die Zerstörung des Ortes deutlich zurückgegangen. Viel mehr noch: Ein paar Jugendliche, die dort normalerweise ihren Stammplatz haben, kamen zu mir und haben gefragt, ob sie auf unserer Bühne rappen dürfen. Natürlich haben wir ihnen diese Plattform zur Verfügung gestellt. So konnten wir sogar eine fruchtbare Koexistenz mit den Kids auf dem Petersberg bilden und zur kreativen Mitgestaltung anregen. Gegenseitiges Verständnis, die Lust, Potenziale zu schöpfen und das gegenseitige Zuhören sollte auch der Anspruch der Stadt in Bezug auf die Gestaltung von kulturellen Orten sein. Die Kultur einer Stadt ist nämlich nicht ausschließlich in musealen Einrichtungen oder dem institutionellen Theater zu finden, sondern genauso (und vor allem gleichberechtigt) in der hiesigen Subkultur und der freien Szene. Der Einbezug von Bürger und Bürgerinnen in die Planung kultureller Konzepte, wird bis dato zu unattraktiv gestaltet.“ 

Zukunftsfähige Kulturformate und -programme für die Landeshauptstadt

Um eine Mitwirkung von Bürger:innen in Hinblick auf die Gestaltung ihrer Städte zu vereinfachen, hat Ronny Lessau gemeinsam mit Künstler Kai Siegel den sogenannten StimmOmat entwickelt. Dieser war im vergangenen Sommer bereits auf Stimmenfang in Sachen Demokratie und Teilhabe in Thüringen unterwegs: “Es war uns immer ein Anliegen, etwas für Demokratie und Gesellschaft bewirken zu können. Durch den StimmOmat wurde mittels einer digitalen Fotobox eine niedrigschwellige Möglichkeit entwickelt, die den Leuten einen Mehrwert bietet und genau an den Orten stehen wird, an denen sich unterschiedlichste Menschen treffen. Nach der Beantwortung von wenigen Fragen, die mit der Box gefilmt werden, bekommen die Teilnehmer:innen ein Foto aus der Fotobox und der entstandene Content landet bei der kooperierenden Institution. Fragen können zum Beispiel sein Was wünscht du dir für deine Region/Stadt? Was sollte sich ändern? oder Wie kannst du Teil dieser Veränderung sein? – eine moderne Art, inklusive Gamification-Charakter, Umfragen durchzuführen.” Ronny und Kai möchten den StimmOmat nun dazu nutzen, Grundlagen für die Fortschreibung des Kulturentwicklungskonzeptes für Erfurt zu sammeln. “Seit kurzer Zeit studiere ich wieder, diesmal aber nicht BWL, sondern Kulturmanagement.

Ich möchte meine Masterarbeit dazu nutzen, um neue Visionen und kulturelle Konzepte für Erfurt zu entwickeln und den StimmOmat an verschiedenen Orten in der Stadt platzieren – ob im Rieth, auf Volksfesten oder beim Kulturquartier. Was begeistert die Menschen kulturell, was möchten sie sehen und erleben in ihrer Stadt?” Auf Grundlage seiner Forschung erhofft sich Ronny aussagekräftige Daten zu sammeln, um einen Beitrag in Hinblick auf zukunftsfähige Kulturformate beisteuern zu können. Damit die Visionen Realität werden können, wünscht sich Ronny Lessau für die Zukunft (noch) mehr Kollaboration mit lokalen Akteur:innen: “Mein Anspruch und meine Erfahrung zeigen immer wieder: Um eine Stadt nachhaltig zu gestalten und in die Zukunft zu tragen, ist die Zusammenarbeit und der kreative Input aller gefragt.” 

Ob es wieder einen KreativGarten 2.0 auf dem Petersberg geben wird, ist bis dato noch unklar. Und obwohl sich Ronny vorgenommen hat, “in Zukunft etwas weniger zu machen”, wurde in unserem Gespräch nochmal deutlich: Der Mann ist kaum zu bremsen! Und wenn demnächst wieder aus einer verborgenen Brachfläche ein neuer Ort voller Fantasie entsteht, dann wird dieser mit Sicherheit von verzauberten, nach Kultur lechzenden Erfurter:innen dankbar überflutet werden.

Kontakt

Ronny Lessau
Mail: hello@kreativtankstelle.net
www.kreativtankstelle.net

Innenstadt Spezial-Reihe

Die Innenstadt ist das pulsierende Herz jeder Stadt. Kommunikativ und sozial. Ein verändertes Kund:innenverhalten, der Online-Handel, neue Arbeitswelten und nicht zuletzt die Corona-Pandemie stellen Innenstädte vor neue Herausforderungen. Doch diese Entwicklungen bergen auch Potential. Frische, innovative und kreative Ideen und Konzepte können Stadtzentren neues Leben einhauchen und sie zu zukunftsfähigen Orten der Produktion, Innovation, der Begegnung und des Erlebens machen. Kreativschaffende, deren Kernkompetenz im Hinterfragen von Bestehendem und dem Gestalten von Neuem liegt, können dabei verlässliche Begleiter:innen beim positiven Wandel der Städte sein. Daher stellen wir in unserer Innenstadt Spezial-Reihe innovative Konzepte, Projekte und Initiativen vor, die sich jenem positiven Wandel der Städte verschrieben haben. Lerne auf dem THAK Blog Impulsgeber:innen und nicht zuletzt auch Kreateur:innen von attraktiven Produkten, interessanten Konzepten, digitalen Plattformen oder anziehender Kunst im öffentlichen Raum kennen.

Diese Artikel sind u.a. bereits in der Innenstadt Spezial-Reihe erschienen:

OQ-Paint und die Potenziale von Urban Art für die Stadtentwicklung

USE-IT: Eine Stadtkarte für Erfurt mit Geheimtipps von Locals

Von Look Up bis Lutherstein – Orte und Potenziale für junge Kunst und Kultur in Erfurt

Header- und Titelbild: KreativTankstelle.

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