Räume = Möglichkeiten

Wie die Zukunftsoptimisten Stadt und Land neu denken

Was passiert, wenn man Leerstand nicht als Mangel, sondern als Chance begreift? Wenn er als Möglichkeit erkannt und Räume nicht bloß verwaltet, sondern neu erfunden werden? Mit der FreiRaumStation haben die Zukunftsoptimisten, ein interdisziplinäres Team, das gemeinwohlorientierte Stadtentwicklungsprozesse mit kreativen Methoden und partizipativer Beteiligung gestaltet, unter anderem ein Reallabor geschaffen, das genau diese Fragen stellt und kreative, nachhaltige Antworten im Stadtraum erprobt. Das Ziel der Zukunftsoptimisten sind Räume für nachhaltiges Leben, Arbeiten und Miteinander zu schaffen. Im Interview erzählt Katrin Hitziggrad, Konzepterin und Beraterin für Immobilien- und Leerstandsstrategien sowie Gründerin und Geschäftsführerin des Büros „Die Zukunftsoptimisten“, warum Räume mehr sein können als bloße Nutzungseinheiten und warum Stadtentwicklung dann gelingt, wenn sie als kollektiver, offener Prozess gedacht wird.

„Räume sind mehr als Quadratmeter“: Im Interview spricht Katrin Hitziggrad von den Zukunftsoptimisten über Stadtentwicklung als offenen, gemeinschaftlichen Prozess und darüber, warum gute Konzepte weit über reine Nutzung hinausgehen.

Was steckt hinter dem Namen Zukunftsoptimisten und wie arbeitet euer Team konkret an Stadt, Land und Raum?

Die Zukunftsoptimisten sind ein interdisziplinäres Büro, das ich 2022 gegründet habe. Unser Fokus liegt auf kreativer sowie koproduktiver Stadt- und Bestandsentwicklung – vom Quartier bis hin zu einzelnen Immobilienprojekten. Der Name ist dabei Programm: Er steht für eine konstruktive, lösungsorientierte Haltung, die vom Wie statt vom Ob ausgeht. Wir glauben an Gestaltungsspielräume, auch dort, wo andere nur Leerstand sehen.

Unser Team bringt Expertise aus ganz unterschiedlichen Bereichen mit: von Handwerk, Architektur und Planung über Kommunikation bis hin zu Design. Diese Vielfalt hilft uns, Herausforderungen aus mehreren Perspektiven zu betrachten und für jedes Projekt einen eigenen, maßgeschneiderten Prozess zu entwickeln. Dabei arbeiten wir bewusst prozessorientiert und mit agilen Methoden, weil sich in der Arbeit mit Stadtgesellschaft, Lokalpolitik und Immobilienwirtschaft vieles nicht vorhersagen lässt. Überraschungen gehören dazu und wir verstehen sie als Chance, den gestalterischen Prozess offen und lebendig zu halten.

Die Zukunftsoptimisten entwickeln kreative und koproduktive Strategien für Stadt und Bestand. Gründerin Katrin Hitziggrad setzt dabei auf lösungsorientiertes Denken, echte Gestaltungsspielräume und Dialogräume, wie hier in einer ehemaligen Drogerie, Foto: Nicolas Wefers.

Welche Projekte begleiten die Zukunftsoptimisten aktuell und was lässt sich daraus für die Zukunft unserer Städte und Dörfer lernen?

Wir arbeiten in ganz unterschiedlichen Kontexten: Für Kommunen, aber auch für zivilgesellschaftliche Projektinitiativen, die mit eigenen Visionen an uns herantreten. Ein Beispiel aus Hessen ist eine Gruppe engagierter Menschen, die ein leerstehendes Klosterquartier in einen Ort für Kunst, Kultur und gemeinschaftliches Leben transformieren möchten. Wir begleiten diesen Prozess seit zwei Jahren – mit Coachings, Strukturberatung und bis zur Vereinsgründung. Solche Gruppen stellen sich essenzielle Fragen: Wie wollen wir zusammenarbeiten? Welche Kompetenzen brauchen wir im Team? Wie finanzieren wir das? Diese Art der Prozessbegleitung ist unser Kern.

Auf kommunaler Ebene arbeiten wir beispielsweise in Städten wie Apolda, Jena, Schmalkalden oder Gotha an der Transformation von Innenstädten. Die Frage “Wie sieht die Innenstadt von morgen aus?“ ist aktuell drängender denn je. Klassische Nutzungsmuster wie Einzelhandel und Büroflächen greifen nicht mehr allein. Stattdessen braucht es hybride, flexible Raumkonzepte, die neue Formen von Begegnung, Nutzung und Gestaltung ermöglichen. Hier setzen wir auch mit unserer FreiRaumStation an – für Leerstandsaktivierung und gemeinwohlorientierte Nutzungsexperimente. 

In Schmalkalden vergeben wir gemeinsam mit der Stadt FreiRaumStipendien, um kreative Nutzungsideen in leerstehenden Gewerberäumen zu erproben. Die Bandbreite reicht von Werkstätten über Pop-up-Gastronomie bis zu kulturellen Begegnungsorten. Das Entscheidende: Die Nutzenden entwickeln ihre Ideen im direkten Austausch mit Anwohnenden, Eigentümern und Eigentümerinnen sowie städtischen Akteurinnen und Akteuren weiter; auf Augenhöhe, flexibel und mit offenem Ausgang.

Solche Räume sind für uns Möglichkeiten. Sie bieten nicht nur Platz für Neues, sondern auch Schutz für zarte Ideen in der Entstehung. Gerade in kleineren Städten können sie Impulsgeber sein, um neue Allianzen zu bilden und echte Veränderung anzustoßen.

„Wir brauchen ein breiteres Verständnis dafür, dass Stadtentwicklung nicht nur Beton und Baupläne meint, sondern auch Prozesse, Beziehungen und die Zwischentöne – das, was zwischen den Strukturen passiert”

Innenstädte neu denken: Mit Projekten wie der FreiRaumStation zeigt Katrin Hitziggrad, wie leerstehende Räume zu lebendigen Orten werden und zwar durch kreative Nutzung, lokale Beteiligung und neue Formen der Zusammenarbeit.

Was bedeutet Zukunftsoptimismus für euch konkret im Alltag und in der Zusammenarbeit mit Gemeinden und wie geht ihr dabei methodisch vor?

Zukunftsoptimismus bedeutet für uns, mit einer offenen, zugewandten und lösungsorientierten Haltung auf Menschen und Orte zuzugehen. Im Alltag genauso wie in der Zusammenarbeit mit Gemeinden. Es geht darum, Potenziale zu erkennen, statt Defizite zu betonen und gemeinsam mit den Menschen vor Ort neue Perspektiven zu entwickeln. Wir glauben daran, dass jede Region ihren eigenen Wert hat und das jenseits von wirtschaftlichen Kennzahlen. Der Wert eines Ortes liegt für uns vor allem in den Menschen, in ihrem Engagement, ihren Beziehungen, ihrer Geschichte und in der kulturellen und sozialen Identität, die dort gelebt wird.

Wenn wir in eine Gemeinde kommen, gibt es nie den einen, festen Prozess. Jeder Ort ist anders und unsere Herangehensweise hängt davon ab, an welchem Punkt wir einsteigen. Manchmal gibt es bereits eine Grundlage, auf die wir aufbauen können, manchmal beginnt alles bei null. Wir starten meist damit, den Ort und die Menschen kennenzulernen: durch Beobachtung, Gespräche und einen offenen Austausch. Dabei nehmen wir wertfrei wahr, was die Themen und Herausforderungen sind und reflektieren gemeinsam, welche Prozessschritte sinnvoll wären. Oft geben wir erste Impulse und entwerfen eine Art Vorschau: Wie könnte es hier weitergehen? Dieser kreative Teil ist der Beginn eines gemeinsamen Wegs. Im nächsten Schritt geht es dann darum, gemeinsam mit Kommunen sowie Bürgern und Bürgerinnen zu klären, welche Ziele sie verfolgen möchten und wohin sie sich entwickeln wollen. Erst dann beginnt das eigentliche Tun: mit einem Prozess, der individuell gestaltet ist und von den Menschen vor Ort getragen wird.

Zukunftsoptimismus heißt: Potenziale sehen, wo andere Leerstand sehen. Für Katrin Hitziggrad und „Die Zukunftsoptimisten“ beginnt erfolgreiche Stadtentwicklung mit Haltung.

Was motiviert dich persönlich so sehr an der Potenzialeschöpfung von Räumen in Thüringen?

Ich selbst bin in Apolda aufgewachsen, in einem Quartier, das es heute so nicht mehr gibt. Meine alte Schule, das Wohnhaus, der Kindergarten: alles verschwunden. Damit ist auch ein Stück Erinnerung und Identität verloren gegangen. Ich habe dadurch gelernt, dass Veränderung immer auch emotional ist. Aber sie bietet eben auch die Chance zur positiven Neugestaltung, wenn man sie gemeinsam angeht. Diese Prozesse zu begleiten, gerade hier in Thüringen, wo ich lebe und verwurzelt bin, ist für mich eine Herzensangelegenheit.

Ansonsten liebe ich es, zu gestalten und ein leerer Raum ist für mich immer eine offene Frage: Was kann hier entstehen? Ich sehe in jedem Raum ein “weißes Blatt Papier“, das gemeinsam gefüllt werden will – das, was da ist, kombiniert mit meinem Erfahrungswissen aus 18 Jahren Berufstätigkeit. Thüringen ist zudem für mich ein unglaublich vielfältiges, oft unterschätztes Bundesland. Es gibt hier tolle Menschen, starke Initiativen und kreative Ansätze. Gleichzeitig fehlt es an einigen Stellen noch an Plattformen, an sichtbaren Bühnen im öffentlichen Raum, aber auch an realen Räumen, die sich öffnen lassen. Da will ich ansetzen, Zugänge schaffen und Schwellen abbauen. Deshalb sind wir auch Teil eines bundesweiten Forschungsprogramms zur Wirkung multifunktionaler Räume im ländlichen Raum. Es hat das Ziel, übertragbare Ansätze für andere Regionen zu entwickeln.

Gleichzeitig ist mir aber auch die Arbeit in anderen Bundesländern wichtig. Das bringt neue Impulse, weitet den Blick und inspiriert uns wiederum für Projekte hier vor Ort. 

“Wenn es Spaß macht, sich einzubringen, wenn Menschen merken, dass ihre Ideen Wirkung haben, dann entsteht eine neue Dynamik”

Was können wir alle tun, um die Zukunft in unseren Gemeinden mitzugestalten (auch ohne großes Budget oder besondere Expertise)?
Ich bin überzeugt davon, dass die eigentlichen Impulsgebenden in unseren Städten längst da sind: Menschen, die sich engagieren, Ideen haben und ihr Umfeld gestalten wollen. Unsere Aufgabe ist es, diese Menschen zu sehen, ihnen zuzuhören, sie ernst zu nehmen und sichtbar zu machen. Dafür braucht es Ermöglichungsstrukturen: Räume, Netzwerke, Haltung, also ein Umfeld, das solche Initiativen nicht nur zulässt, sondern aktiv unterstützt. In einer Stadtgesellschaft, die aus Verwaltung, Politik und Zivilgesellschaft besteht, hat jeder und jede eine etwas andere Rolle, aber alle können auf ihre Weise dazu beitragen, diese Strukturen zu stärken.

Das beginnt schon im Kleinen: offen zu sein für neue Ideen, ihnen unvoreingenommen zu begegnen, neue Angebote auszuprobieren und Veränderung nicht als Bedrohung, sondern als Chance zu begreifen. Diese Offenheit gibt auch anderen Mut, sich einzubringen. Mitwirken können alle, auch ohne Projektantrag oder Expertise. Manchmal reicht es, das eigene Wohnumfeld mitzugestalten: ein Vorgarten, ein Straßenfest, ein Gespräch im Hausflur. All das sind Beiträge zu einer lebendigen Stadt.

Ein motivierendes Plädoyer zum Abschluss?

Veränderung braucht Haltung, die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen und man sollte die Strukturen hinterfragen, die Gestaltung ermöglichen oder verhindern. Es geht nicht darum, ob etwas geht, sondern wie es gehen kann und wie kreativ wir diesen Weg gehen. Gerade Verwaltung und Politik haben hier die Aufgabe, Räume zu öffnen und Mut zu machen: Wenn jemand etwas umsetzen will, sollte die erste Frage sein: “Was brauchst du dafür?“ und “Wen können wir dir an die Seite stellen?“ Und wenn alle beginnen, den eigenen Radius von 50 Metern mitzugestalten, dann entstehen überall in der Stadt kleine bunte Kreise. Und daraus wird am Ende eine lebendige, vielfältige und zukunftsfähige Gemeinschaft.


Kontakt
Die Zukunftsoptimisten UG
www.zukunftsoptimisten.de
E-Mail: info@zukunftsoptimisten.de
www.freiraumstation.de
E-Mail: info@freiraumstation.de


Über Katrin Hitzegrad

Katrin Hitzegrad bringt über 15 Jahre Erfahrung aus der Immobilienwirtschaft in ihre heutige Arbeit in der Stadtentwicklung ein. Ihre beruflichen Stationen reichen von klassischer Wohnungsverwaltung über Bestandsmanagement bis hin zu Vertriebsmarketing und Quartiersentwicklung mit einem besonderen Fokus auf die Stadt Jena. Sie initiiert zudem eigene Projekte, darunter 2018/19 den Leuchtturm Jena, der sich mit temporären Nutzungen und dem Potenzial von Leerstand beschäftigt. Die dort erlebte Raumknappheit prägte ihren Blick auf die Notwendigkeit, neuen Ideen und engagierten Menschen Zugang zu Wirkungsräumen zu ermöglichen. Aus dieser Motivation heraus entstand 2020 die Blank Agentur, deren Projektleitung Katrin ab 2020 übernahm und strategisch weiterentwickelte. Auch als freiberufliche Beraterin, Konzepterin und heute als Inhaberin des Büros „Die Zukunftsoptimisten“ verfolgt. Katrin Hitziggtaf erhielt für das Projekt FreiRaumStation 2022 den Immobilien Marketing Award auf der Expo Real in München und 2024 den Polis Award für „Kommunikative Stadtentwicklung“ in Düsseldorf. In Thüringen ist Katrin Hitziggrad seit 2020 Teil der LeerGut-Agent:innen und seit 2023 Vorstandsmitglied des Vereines und des gleichnamigen Netzwerkes zur Belebung von Leerstand in Thüringen. In dieser Funktion leitet sie seit 2021 die AG Leerstandsbewältigung des Aktionsbündnisses „Innenstädte mit Zukunft, welches 2021 vom Thüringer Ministerium für Digitales und Infrastruktur, dem TMWLLR und der IHK Erfurt initiiert wurde. 

Dein Interview auf unserer Webseite?

Kontaktiere mich!

Nina Palme

Kommunikation

0151 / 1290 4638

Das könnte dir auch gefallen:

Zwei Jahre nach dem Cross Lab

Wie die Zusammenarbeit mit Kreativschaffenden die Bäckerei Bergmann verändert hat

Hotelimagefilm für das Naturresort im Schindelbruch

GECKO.1 Filmproduktion & Videomarketing

Kreative Produkte aus Thüringen

Made in Thüringen