Jeder kann Kunst

Die Jederkann Galerie als kreativer Freiraum in Erfurt

Die Jederkann Galerie ist weitaus mehr als eine Galerie – sie ist ein Experimentierraum für Kunst und Kreativität, in dem der Fokus auf dem gemeinschaftlichen Aspekt und der Vernetzung liegt. Seit 2024 bietet die Initiative Erfurter:innen eine Plattform, um selbst ins kreative Tun zu kommen. Angesprochen sind alle, die etwas anbieten möchten – unabhängig von Branche oder Hintergrund. In der Galerie am Leipziger Platz erleben Interessierte ein facettenreiches Programm aus offenen Ateliers, Lithografie- und Masken-Workshops, offenen Lesebühnen und Flohmärkten. Wir haben Gründer Jakob Bork, Künstler, die Mitinitiatoren Martin Thoms, Schauspieler, Sänger und Puppenbauer, sowie Henning, der als kreativer Kopf für das visuelle Erscheinungsbild sorgt, zum Interview getroffen. Hier sprechen sie darüber, warum Erfurt genau solche Orte braucht, wie Kunst Menschen verbindet und welches Potenzial noch in der Jederkann Galerie steckt.

Von li. nach re.: Martin Thoms, Henning, Künstler Má de Oliveira und Jakob Bork, Foto: THAK.

Von der Idee zum Freiraum für Kunst und Kreativität

Facettenreiche Werke an Wänden und auf dem Boden verteilt, das Klopfen von Hämmern und der Sound orientalischer Klänge aus den Boxen erwarten uns, als wir die Jederkann Galerie am Leipziger Platz in Erfurt betreten. Gerade wird eine neue Ausstellung mit dem Titel “SAY THEIR NAMES” aufgebaut, die sich künstlerisch mit dem ​​rassistischen Anschlag vom 19. Februar 2020 in Hanau auseinandersetzt. Im November 2024 haben die Initiator:innen des Projekts im ehemaligen Boxstudio “La Familia Fightclub” ihre Vision von einem kreativen Treffpunkt gestartet. Begonnen hat alles mit der Idee von einem offenen und zugänglichen Freiraum für Kunst und Austausch – fernab elitärer Strukturen. Jakob Bork wollte einen Ort schaffen, der nicht durch exklusive Netzwerke oder geschlossene Kreise begrenzt wird. “Ich wollte etwas gründen, das für alle offen ist, egal, ob man schon Teil der Kunstszene ist oder einfach Lust hat, sich auszuprobieren.“ Gemeinsam mit seinem Freund Carlo Fritz begann er, an einem Konzept zu feilen – einem Raum, der nicht nur ihnen, sondern allen ein kreatives Forum bieten sollte.  

Schon 2022 testeten sie erste kleinere Projekte, doch der entscheidende Schritt war die Bespielung des Pop-up-Stores F11 im Oktober 2024. “Unser Ansatz war simpel: einfach loslegen und schauen, wer mitmacht“, erzählt Jakob. “Ein paar alte Sofas und Regale, selbst gestaltete Poster an den Wänden – dann haben wir ein Netzwerktreffen organisiert und geschaut, wer kommt.“ Der Plan ging auf. Innerhalb eines Monats wuchs die Galerie zu einem lebendigen Ort, an dem über 20 kreative Aktionen stattfanden: Jam-Sessions, Bleach-Workshops für Shirts, Monotypie-Druck, ein Schattentheater zum Experimentieren mit Licht, feministische Diskussionsrunden, ein Cannabis-Comic-Workshop, gemeinsames Gedichteschreiben und sogar ein Tattoo-Workshop. Ganz ohne starres Konzept entwickelte sich die Galerie gemeinsam mit den Menschen, die mitmachten. “Man hat richtig gemerkt, wie sehr Erfurt so einen offenen Raum gebraucht hat”, konstatiert Jakob.

Auch Henning, der heute für die Werbung der Galerie verantwortlich ist, war in der ersten Oktoberwoche bei der Vernissage im Pop-up-Store. Noch am selben Tag schmiedeten er und Jakob Pläne: “Jakob meinte, dass ich die Öffentlichkeitsarbeit für die Galerie machen könnte und das hat sich einfach richtig angefühlt.“ Seitdem kümmert sich Henning darum, dass jedes Ereignis ein passendes Bild bekommt – mit selbstgemalten Plakaten, die den Geist der Galerie widerspiegeln. 

Dieser Geist bedeutet für Martin Thoms ein Stück gelebte Stadtentwicklung. Und genau darum geht es bei der Jederkann Galerie: Sie ist kein fertiges Projekt, sondern in stetiger Bewegung. Ein Ort, der sich mit den Menschen verändert, die ihn gestalten und der in Erfurt genau die kreativen Freiräume schafft, die eine Stadt lebendig machen. “Die Jederkann Galerie ist mehr als nur ein Kreativraum, sie ist ein echter Netzwerkpunkt für Menschen, die neu nach Erfurt kommen, für Künstler:innen, für alle, die einen Platz suchen, an dem sie Gleichgesinnte treffen.“ Sein Blick wandert durch die von Kunst geschmückten Hallen, während er weiter spricht. “Für mich ist das hier ein Ort meiner Träume“, sagt er schließlich. “Egal, was jemand kann, hier ist nichts ausgeschlossen. Jetzt ist die Zeit dafür, und ich bin sicher, dass sich das weiterentwickeln wird.“  

Jede:r kann mitmachen, Foto: Peter Runkewitz.

Erfurt als kreativer Nährboden und Kunst als demokratischer Prozess

“Die großen kreativen Sachen passieren oft anderswo“, sagt Jakob, als wir danach fragen, inwiefern Erfurt als Stadt für ihre Initiative eine Rolle spielt. “Aber entweder schafft man sich selbst das, was einem fehlt – oder man geht.“ Für ihn war klar: Gehen ist keine Option. Henning sieht das ähnlich. Die Galerie habe gezeigt, dass das Bedürfnis nach kreativen Freiräumen riesig ist: “Plötzlich kamen so viele Leute, die zu Hause im Verborgenen Kunst machen und hier endlich eine Gelegenheit hatten, ihre Werke zu zeigen und sich mit ihren Themen auseinander zu setzen.“ Doch nicht nur die Sichtbarkeit ist wichtig, auch die Communitypflege und deren Ausbau spielt eine entscheidende Rolle. “Eine lebendige Kreativszene macht eine Stadt erst richtig attraktiv und lebenswert“, meint er. Dabei steht Partizipation im Mittelpunkt. “Es geht nicht darum, ob jemand eine bestimmte Technik perfekt beherrscht. Es geht darum, gemeinsam etwas zu schaffen.“ 

“Kunst fördert Gemeinschaft und Mut und genau das wollen wir hier sichern und weitergeben” – Jakob Bork

Der Name Jederkann Galerie ist daher auch kein Zufall – er trägt eine klare Botschaft in sich: den Kerngedanken der Demokratie. Jakob beschreibt das so: “Wenn Menschen das Gefühl bekommen, dass sie etwas erreichen können, dass sie selbstwirksam sind, dann entstehen neue Möglichkeiten.” Kunst und Demokratie haben für ihn viel gemeinsam: „Der Prozess steht im Mittelpunkt. Gemeinschaftlich Kunstprojekte umzusetzen ist Demokratie im Kleinen: Es geht darum, sich aneinander zu reiben, zu diskutieren – aber eben unverfänglich. In der Kunst gestaltet man Leinwände, keine Gesetze. Gerade diese Offenheit macht sie zu einer Brücke für viele gesellschaftliche Bereiche: soziale Arbeit, Therapie, Beratung, Intervention.“ Martin Thoms ergänzt: “Die Selbstwirksamkeit wird nur erfahrbar, wenn man die eigene Stimme erhebt. Ohne diese Erfahrung kann keine Veränderung entstehen.” Umso wichtiger sei ein geschützter Raum, in dem man genau das ausprobieren kann. Für den Schauspieler ist die Galerie wie ein Experimentierraum zu betrachten, eine Art geschütztes Labor, das dem klassischen Galeriebetrieb vorgelagert ist. “Hier kann man sich mit sich selbst und der Gemeinschaft befassen. Es geht um eine Verzauberung der Welt. Das klingt nach Chichi, ist aber hochpolitisch: sich selbst etwas zuzutrauen, sich aus Zwängen und Ängsten zu befreien – besonders die junge Generation spürt diesen Druck. Und wenn man hier reinkommt, fühlt man, dass es Orte braucht, an denen dieser Zauber noch möglich ist.“ 

Eine offene Zukunft ohne Grenzen

“Langfristig wäre es großartig, wenn sich hier Jugendtreffs etablieren würden, in denen junge Menschen über ihr Interesse an Kunst zusammenfinden. Vielleicht wird die Galerie irgendwann zu einem alternativen Zentrum, in dem Kunst, Sozialarbeit und Psychotherapie ineinandergreifen, ein bisschen wie eine Kunstklinik im weitesten Sinne”, sagt Jakob mit Blick auf die Zukunft der Galerie. Dazu braucht es Lust zur Zusammenarbeit. Hier sieht der Gründer aber keine Hürden: „Es gibt bereits zahlreiche Initiativen und Privatpersonen, die uneigennützig Unterstützung anbieten, sei es bei Rechtsfragen, dem Thema Vereinsgründung oder technischer Ausstattung. In der Erfurter Kulturszene und der Kulturdirektion sind wir von Anfang an auf offene Türen gestoßen und Ellenbogenmentalität ist hier kaum zu finden”, sagt er mit einem Lächeln. Dieses solidarische Netzwerk sei eine große Bereicherung für alle Beteiligten und ermögliche es, die Galerie weiterzuentwickeln – mit und durch die Menschen, die sich engagieren.

Und was steht in nächster Zeit an? “Am 1. März 2025 veranstalten wir ab 14.00 Uhr einen warenfreien Flohmarkt, bei dem alles außer materiellen Dingen getauscht wird: gute Ratschläge, schlechte Ratschläge oder Korrekturlesearbeit für Texte”, verrät uns Henning, der bereits an der Erstellung des Posters für das Event sitzt. Eine unkonventionelle Idee, die sicher auf viel Zuspruch stoßen wird.

Die Jederkann Galerie hat in kürzester Zeit bewiesen, dass der Bedarf für einen offenen Raum für Kunst, Austausch und gemeinschaftliches Schaffen in Erfurt groß ist. Hier entstehen nicht nur kreative Werke, sondern auch neue Netzwerke, Freundschaften und Ideen, die die Stadt nachhaltig prägen und in die Zukunft tragen. Mit ihrer Offenheit für alle, die sich ausprobieren und einbringen wollen, ist die Galerie zudem weit mehr als ein Kunstprojekt – sie könnte zur Keimzelle alternativer Gemeinschaftskonzepte werden. Was hier wächst, entwickelt sich mit den Menschen, die es gestalten. Und genau das macht die Zukunft der Jederkann Galerie so spannend: Sie bleibt in Bewegung, offen für neue Impulse und voller Möglichkeiten. 

Kontakt

Mail: jederkann.email@gmail.com
Insta: @jederkann.insta
www.jederkann.online
oder persönlich
Leipziger Platz 9
99085 Erfurt
derzeit immer Donnerstag ab 19.00Uhr
ab Mai regelmäßig von 11.00-23.00 Uhr

Fotos: Peter Runkewitz

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