Wie kann in der heutigen Zeit Nahversorgung für Kopf, Herz und Bauch im ländlichen Raum aussehen? Eine kreative Antwort auf diese grundlegende Frage entsteht im Kreativkonsum in Kriebitzsch. Nach langem Leerstand wird das 100 Jahre alte Gebäude des Konsums sachte wachgeküsst und samt seinem Garten in einen Ort des Austauschs, Miteinanders und Ausprobierens verwandelt. Der dazugehörige Verein will die Welt bunter und kreativer machen und im Erdgeschoss eine Anlaufstelle für alle schaffen, die Lust auf gemeinsames Ideen spinnen, Netzwerke weben und sich kreativ ausprobieren haben. Er nahversorgt mit Dingen und Erlebnissen und macht das Beste aus dem, was an Materialien gerade vorhanden ist. Im Zuge des World Creativity and Innovation Day der United Nations am 21. April plant die THAK einen Besuch des Konsums mit 20 Kreativschaffenden. Wir sprachen vorab mit Gründerin Maike Steuer, um mehr über den Ort, ihre Visionen und die Idee dahinter zu erfahren.
Wie kam es zum Kreativkonsum Kriebitzsch?
Das ist eine längere Geschichte, die bereits Anfang 2016 mit der Eröffnung meines Cafés homeLE in Leipzig begann. Die gesammelten Erfahrungen als Gastronomin, der Austausch mit den Gästen und unzählige Erlebnisse bilden die Grundlage für das, was nun als Kreativkonsum Gestalt annimmt. Auf dem Dorf wohlgemerkt. Zurück im Altenburger Land, meiner alten Heimat, in die es mich im Sommer 2018 wieder zurück zog, nachdem ich nach vielen Jahren in großen Städten wieder richtig Bock auf Landleben hatte.
Ich wusste schon damals, dass es ein „nächstes Mal“ geben wird, ein neues Projekt, das die Bruchstellen optimiert, an denen mein Café gescheitert ist. Bloß wann und wo konkret, war da noch nicht klar. Auch wenn ich nach meiner Rückkehr erstmal das tat, was ich schon mein halbes Leben mache und bei der lokalen Tageszeitung als Redakteurin anheuerte, begleitete mich immer das Thema Nahversorgung und die Frage: Wie man diese auf innovative und kreative Weise im ländlichen Raum wiederbeleben könnte. Denn es macht einfach keinen Spaß, für jegliche Aktivitäten ins Auto steigen zu müssen, um irgendwo hinzufahren. Ich wollte, dass das wieder vor meiner Haustür stattfindet.
Gefunden habe ich meinen Konsum letztlich dank Social Media. Mein heutiger Nachbar war der Erste, der im September 2020 meinen „Suche alte Bäckerei oder Konsum zum Wohnen und Wirken“-Post auf Facebook kommentierte. Eine Besichtigung zusammen mit meinem Papa später und ich war verliebt, denn das alte Haus samt Garten passte perfekt zu meiner Idee, Nahversorgung ganzheitlicher und kreativer zu denken und gleichzeitig einen neuen Dreh- und Angelpunkt mitten im Ort zu schaffen. Dass sich eine Bank für die Finanzierung von Kauf und Kernsanierung fand, daran war definitiv auch meine Crowdfunding-Aktion: „Hast du maln Euro?“ Schuld. Denn die gesammelten 2500 Euro machten den Anfang und die Aktion selbst brachte sehr viel mediale Aufmerksamkeit für mein Projekt. Wir haben außerdem den Kreativkonsum e.V. gegründet, um den sozialen Aspekt stärker untermauern zu können und jede:m, der/die sich einbringen möchte, etwas Struktur zu bieten. Der 10. August 2024 wird der wichtigste Tag des Jahres für mich, denn dann feiern wir die Eröffnung meines sozialen Einzelunternehmens – mit dem Kreativkonsum e.V. als „resident organisation“.
Welche Idee steckt hinter dem Konzept des Ortes?
Hier soll nicht nur eine gewisse Nahversorgung angeboten werden, sondern auch neue Ideen und Konzepte Raum finden. Deshalb kombiniert der Kreativkonsum einen Kreativraum mit einem Ladencafé samt Manufaktur, wo eigene Produkte hergestellt werden beziehungsweise präsentiert und verkauft werden können. Durch Netzwerke mit lokalen Akteur:innen aus der Kreativwirtschaft werden wir zudem gemeinsame Aktionen, wie kreative Workshops oder Veranstaltungen, anbieten, die Mehrwerte für die ländliche Region schaffen und gleichzeitig den Zusammenhalt der hiesigen Gemeinschaft stärken.
Ein zentrales Element bildet die Gestaltung des Konsums. Die farbenfrohe Fassade, die in Zusammenarbeit mit der Farbküche aus Altenburg entstanden ist, symbolisiert unseren Wunsch für eine bunte Gesellschaft im Altenburger Land. In Kriebitzsch wohnen 1000 Menschen, knapp 90.0000 Einwohner:innen im gesamten Landkreis. Wir möchten vor allem einen Mehrwert für die Menschen vor Ort und in der Region schaffen, aber freuen uns auch über Besucher:innen aus anderen Städten Nicht nur, um den Konsum kennenzulernen, sondern auch, um sich selbst ein Bild vom Altenburger Land zu machen und welche Möglichkeiten es Kreativen bietet. Als Kreativkonsum e.V. sind wir Teil eines wachsenden Netzwerks an Kreativschaffenden, das sich für Vielfalt, Buntheit und Demokratie ausspricht. Für uns grundlegende Werte, welche wir in der Gegend fördern wollen.
Mein Ziel ist es, dass die Menschen mit dem Kreativkonsum eine Anlaufstelle haben, wo sie sich nicht nur treffen, sondern auch selbst aktiv werden können. Für Kinder haben wir draußen im Garten einen Spielbereich geschaffen, damit sie eine Runde rutschen oder im Sand buddeln können, während Mama und Papa tief Luft holen und ein Heißgetränk genießen. Dadurch schaffen wir eine Win-Win-Situation, bei der sowohl die Gemeinschaft als auch die Kreativwirtschaft profitieren. Und vielleicht fühlt sich das ein oder andere Dorf ja inspiriert, es uns nachzumachen.
Warum sind derartige Orte wichtig für den ländlichen Raum?
Sie sind wichtig, weil Kreativität nicht an der Stadtgrenze endet und Menschen dadurch wieder mehr in Austausch kommen. Reden und vor allem machen hilft in vielen Lebenslagen. Ich finde es wichtig, dass wir uns bewusst machen, welche Schätze wir auf dem Land haben und wie wir sie nutzen können. Ich bin fest davon überzeugt, dass der ländliche Raum eine Vielzahl an Möglichkeiten bietet und es sich lohnt, diese auszuschöpfen.
“Es ist doch alles eine Frage der Perspektive: Ich kann entweder das leerstehende, verfallene Haus oder einen Potenzial-Ort sehen, aus dem Tolles entstehen kann”
Welche Rolle spielt die Kreativwirtschaft im ländlichen Raum und auch im Altenburger Land?
Die kreative Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Branchen und Akteur:innen vor Ort ist entscheidend für den Aufschwung der Region. Gemeinsam können wir Synergien nutzen. Ich bin optimistisch, dass wir als kreative Gemeinschaft viel erreichen können, indem wir unsere Ideen teilen und voneinander lernen.
Erzähl uns mehr über deine Heimat und die Kreativwirtschaft im Altenburger Land.
Das Altenburger Land ist einer der ältesten Landkreise Thüringens und hat seit der Wende mit massiver Abwanderung zu kämpfen. Viele Menschen konnten nach dem Fall der Mauer beruflich nie wieder Fuß fassen und auch Veränderungen gestalten sich schwierig. Dennoch herrscht hier nicht nur die Altenburger “Grummeligkeit”, sondern es steckt auch sehr viel Leben in unserer Region. Gerade auf den Dörfern gibt es eine Vielzahl an kreativen Aktivitäten und Initiativen.
Ich finde es großartig, hier zu leben. Man kennt sich und das mag ich sehr. Nachdem ich viele Jahre in der Welt unterwegs war, hat es eine Weile gebraucht, bis ich wieder bereit war, zurück aufs Land und in die Region meiner Jugend zu ziehen, denn Anfang der 2000er Jahre, als ich hier weg bin, war Altenburg gefühlt tot. Aber 2018 war was anders. Ich habe ziemlich schnell bei der damals gerade entstehenden Stadtmensch Initiative angedockt, Menschen wie Susann Seifert von der Erlebe was geht gGmbh und Initiatorin der Farbküche kennengelernt und merkte: Hier tut sich was. Inzwischen gibt es viele weitere Akteur:innen, die den ländlichen Raum beleben. So sind zum Beispiel in unmittelbarer Nachbarschaft zum Kreativkonsum drei Kulturschaffende aus Berlin kurz davor, ihr Haus am Milchberg zu eröffnen. In Altenburg selbst setzten mitten im Stadtzentrum Kreative wie Modedesignerin Carolin Woitke, Malerin Alexandra Preusser oder Paul Stump mit seinem Podcaststudio neue Impulse – auch für unsere Wirtschaft. Altenburg mag an vielen Stellen bröckeln, aber es hat auch eine sehr junge, lebendige Seite.
Ich bin eine von gleich drei Neulandgewinner:innen, die aus dem Altenburger Land kommen – eine Förderung für Menschen, die mit Kreativität und Sinn für Gemeinwohl und Zivilgesellschaft Raum gestalten. Das finde ich schon ziemlich besonders für eine Region unserer Größe. Um alle Akteur:innen im Landkreis noch besser zu vernetzen und sichtbarer zu machen, sind wir aktuell dabei, ein Kulturbündnis auf die Beine zu stellen. Die Meisten von uns sind zurückgekommen oder neu hinzugezogen, weil sie das Potenzial der Region wahrgenommen haben und den Platz nutzen wollen. Das hat, wie ich hoffe, auch einen positiven Effekt auf die Menschen vor Ort. Wir sind aktuell noch eine kleine Anzahl an “bunten Hunden” aber das Rudel wächst stetig. Und damit auch die Buntheit und Vielfalt in der Region. Ich habe große Lust, etwas zu bewirken und möchte noch viel mehr kreative Menschen davon überzeugen, ihre Kreativität und ihr Engagement in die Region einzubringen. Daher freue ich mich schon sehr auf einen spannenden World Creativity and Innovation Day am 21. April hier in Altenburg und im Kreativkonsum Kriebitzsch sowie auf den anregenden Austausch mit Thüringer Kreativschaffenden und Interessierten zum Kreativen Sonntagsausflug mit der THAK.
Kontakt
Kreativkonsum Kriebitzsch e.V.
Hauptstraße 11a
04617 Kriebitzsch
www.kreativkonsum.de
Instagram: @kreativkonsumkriebitzsch
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