PHOENIX aus der Asche 

Ein Verein, der Kulturstätten wiederbeleben möchte

Geldmangel, Rationalisierung und Zusammenlegung waren die Hauptgründe, warum vor allem in den Neuen Bundesländern durch die Schließung ganzer Häuser tiefe Wunden in die Branche der Darstellenden Künste gerissen wurden. Kulturstätten wurden von heute auf morgen aufgegeben und sich selbst überlassen. Der PHOENIX e.V., bestehend aus Anica Happich, Björn Schorr, Luca Sonnen, Anna Tenti, Maren Barnikow, Lisan Lantin und Tim Renner will solche Orte wiederbeleben – mit nachhaltigen und langfristigen künstlerischen Initiativen sowie kulturellen Veranstaltungen wie Festivals, Konferenzen, Theateraufführungen, Performances, Konzerten, Stadtprojekten, Ausstellungen und Symposien. Der Verein möchte damit ein Zeichen für die Branche und ihre Akteur:innen setzen, ihnen Mut machen und sie vor Ort unterstützen, indem er Kultur in der Stadt neu verortet. Dieses Jahr organisiert der PHOENIX e.V. deshalb zusammen mit dem Stadtteilbüro Th.INKA im Erfurter Rieth die ersten Plattenstufen-Festspiele – auf dem Platz der Völkerfreundschaft, vom 31. Juli bis 18. August 2024. Im Interview mit Schauspielerin, Initiatorin und Leiterin des Theaterfestivals Anica Happich haben wir mehr über den PHOENIX e.V. sowie die gesellschaftliche und künstlerische Vision hinter den Plattenstufen-Festspielen erfahren. 

Das PHOENIX-Team, Foto: PHOENIX e.V.

Aus welcher Intention heraus hat sich der PHOENIX e.V. gegründet?

Entstanden ist die Idee während der Corona-Pandemie. Wir wollten vor allem den Nachwuchskünstler:innen eine Bühne bieten und sie aus der Unsichtbarkeit herausholen, in die sie durch die Auswirkungen von Corona geraten sind. Dafür riefen wir 2021 das erste PHOENIX Theaterfestival ins Leben, das unter dem Motto RISE UP FROM THE PANDEMIC im KulturQuartier Schauspielhaus in Erfurt stattfand – ein Zeichen des Neubeginns und Aufbruchs, ein optimistischer Blick in Richtung Zukunft mittels junger künstlerischer Perspektiven. Seitdem arbeiten wir mit viel Engagement daran, Thüringer Künstler:innen der professionellen freien darstellenden Szene sichtbarer werden zu lassen, ihnen im wahrsten Sinne des Wortes eine Bühne zu geben und ihre Bedürfnisse und Herausforderungen zu erkennen. Ein großes Anliegen ist uns zudem, den Schauspielbereich am Theater Erfurt wieder lokal zu verankern. Hierfür sind wir mit kulturpolitischen Akteur:innen im Gespräch und bieten Sensibilisierungsformate wie Gesprächsrunden und Workshops für die Branche an. 

Den größten Impact erreichen wir durch das Schaffen von kreativen Plattformen, wie etwa Theaterfestivals. Hier können wir das Bewusstsein für die gesellschaftliche Relevanz des Theaters am meisten stärken. Als Verein zur Unterstützung der Darstellenden Künste möchten wir, dass sich das Theater für die Stadtgesellschaft öffnet und ein breites Publikum erreicht, vor allem dort, wo nicht so viel Kulturelles stattfindet. Aus diesem Grund entstand die Idee zu den Plattenstufen-Festspielen, die wir dieses Jahr im Erfurter Rieth ausrichten. Als Gegenstück zu den Domstufen-Festspielen bringen wir das Theater zu den Menschen und nicht andersherum. Möglich wird unsere Vision durch unsere zahlreichen Förder:innen und Kooperationspartner:innen, wie der Stadt Erfurt, der Kulturstiftung des Freistaates Thüringen, der Thüringer Staatskanzlei, der Sparkassenstiftung Erfurt, der Thüringer Ehrenamtsstiftung, dem Fonds Darstellende Künste, dem Festival Friends Verbund, der Heinrich-Böll-Stiftung Thüringen, der Beisheim Stiftung, dem Theater Erfurt und vielen mehr.

Was ist deine persönliche Motivation in deinem täglichen Tun?

Als Schauspielerin habe ich ein Studium der Darstellenden Künste absolviert und bis 2020 an verschiedenen Stadttheatern gearbeitet. Neben meiner Tätigkeit auf der Bühne habe ich vor dem PHOENIX e.V. bereits den Lobbyverband Ensemble Netzwerk gegründet, der sich für die Belange und Bedingungen von Kulturschaffenden der freien Künste einsetzt. Hauptanliegen war es, die Arbeitsbedingungen in der Branche zu verbessern und Themen wie Teilhabe, angemessene Bezahlung, Respekt und eine ausgeglichene Work-Life-Balance zu thematisieren. Auch bei meiner jetzigen Tätigkeit beim PHOENIX e.V. motivieren mich die Leidenschaft für die Kunst sowie der Wunsch, gemeinsam für Veränderungen einzustehen und zu kämpfen jeden Tag aufs Neue – und zwar durch radikale Kooperation mit anderen Institutionen und der Nutzung verschiedener Ressourcen. Schlüsselwörter sind hierbei Ko-Kreation und Kollaboration, Plattformen, um uns zu vernetzen, uns auszutauschen und gemeinsam für unsere Interessen einzustehen. 

„Die Leidenschaft für die Kunst sowie der Wunsch, gemeinsam für Veränderungen einzustehen und dafür zu kämpfen, motivieren mich jeden Tag aufs Neue“

Bevor wir über das Festival 2024 sprechen: Welche Herausforderungen haben die Darstellenden Künste speziell in Thüringen zu bewältigen und was würdest du dir wünschen?

Auch wenn Erfurt dafür gesorgt hat, dass der Kulturetat ansteigt und sich die Stadträt:innen für die Darstellenden Künste einsetzen, reicht das Geld nicht aus. Der Kulturfonds der Bundesregierung ist längst überzeichnet, die Förderungen sind zu kurzfristig und Initiativen, Projekte und Gruppen können nie langfristig planen. Auch wir vom PHOENIX e.V. bräuchten eigentlich mehr Geld und Verlässlichkeit, um langfristiger zu planen. Dabei gibt es so viele Ideen und noch viel mehr Wille bei den Akteur:innen. Es ist von großer Bedeutung, hier förderarchitektonisch Kontinuität zu schaffen. Zudem sollten verbindliche Honoraruntergrenzen eingeführt werden, damit selbstständige Künstler:innen überhaupt von ihrer Kunst leben können. Denn für Künstler:innen wird es immer schwieriger, ihre kreative Arbeit fortzusetzen und gleichzeitig mit den finanziellen Einschränkungen umzugehen. Viele können ihre Tätigkeit auf der Bühne nicht mehr hauptberuflich umsetzen. Künstlerisch tätig zu sein, ist aber kein Hobby, das man nebenbei macht. Es ist ein Beruf. Es wäre schön, wenn die Menschen aus der freien Szene finanziell besser zurechtkommen könnten, dass Künstler:innen nicht nur von Luft und Liebe leben müssen. Viele laufen bereits in jungen Jahren sehenden Auges in die Altersarmut. Das geht so nicht. Künstler:innen leisten einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag und sollten daher am Ende ihres Lebens nicht in Armut versinken. Ich würde mir wünschen, dass ihnen mehr Würdigung und Anerkennung entgegengebracht wird. Das ist eine der vielen Herausforderungen, denen wir gegenüberstehen.

Warum sind Veranstaltungen, wie die Plattenstufen-Festspiele so wichtig für die Menschen einer Stadt? 

Es ist enorm wichtig, Anlässe zu schaffen und das Theater in den Alltag der Menschen zu bringen. Man kann es nicht oft genug betonen: Darstellende Künste und künstlerisches Schaffen sind von großer Bedeutung für unsere Gesellschaft. Sie ermöglichen die Auseinandersetzung mit sozialen Fragestellungen, sensibilisieren für Demokratieverständnis und schaffen Anlässe zur Begegnung unterschiedlichster Menschen. Deshalb möchten wir das Theater für alle zugänglich machen, Barrieren für Kulturorte abbauen und die Bürger:innen dazu einladen, die Angebote des Festivals 2024 zu nutzen. Vor allem im Stadtteil Erfurter Rieth, der kulturell kaum bis gar nicht bespielt wird, halten wir es für wichtig, einen Begegnungsort zu schaffen. Genauer gesagt: einen Erfahrungsraum der Demokratie. Deshalb planen wir auch vor dem Festivalbeginn die Wellness- und Demokratieoase vom 31. Juli bis zum 18. August 2024 und bringen einen alten Schiffscontainer mitten auf den Platz der Völkerfreundschaft, in dem Angebote von zivilgesellschaftlichen Initiativen noch stärker sichtbar werden. Von Erzählcafés, Ausstellungen und partizipativen Angeboten, Upcycling- und Graffiti-Workshops, Guerilla Gardening bis hin zu einem theaterpädagogischen Projekt zum Thema “Grenzen” und vielem mehr. 

Mit der Sprache der Kunst lokaler Kreativschaffender und engagierter Akteur:innen wollen wir gesellschaftliche Fragen erfahrbar machen und sie gemeinsam bearbeiten. Ein Thema wird zum Beispiel die Raumknappheit im Quartier sein. Mit dem anschließenden Theaterfestival bringen wir Künstler:innen auf die Bühne, die Geschichten erzählen und die Zuschauer:innen dazu anregen wollen, Haltungen zu entwickeln. Die Aufführung „Cats of Erfurt“, die sich an den Kassenschlager von Sir Andrew Lloyd Webber anlehnt, setzt sich beispielsweise konkret mit Themen des Quartiers auseinander. Außerdem wird ein partizipativer Spaziergang namens „Platte“ angeboten, der den Lebensraum im Rieth auf kreative Weise erkundet. Wir erhoffen uns durch diese sinnliche Erfahrung, dass wir die Menschen, unabhängig von ihrem Hintergrund und ihren Unterschieden, zusammenbringen und zum Nachdenken anregen. 

“Kunst- und Kulturarbeit = Demokratie. Denn durch unsere Arbeit und künstlerische Mittel, schaffen wir nicht nur Kunst, sondern tragen auch aktiv zur Demokratie bei, können vor allem in den peripheren Regionen neue Impulse dafür setzen, über Aufwertung statt Abwertung sprechen und mit den Menschen vor Ort und nicht über sie reden”

Uns ist bewusst, dass unser Vorhaben komplex klingen mag, aber wir glauben fest daran, dass es sich lohnt, neue Formate auszuprobieren und neue Orte zu erschließen. Wenn wir damit Scheitern, dann lernen wir nur dazu. Das Experimentieren, das Wagen von etwas Neuem ist die DNA, mit der die Kreativwirtschaft täglich arbeitet. Daher ist es wichtig, Dinge zu versuchen, die bisher noch nicht versucht wurden. Denn nur so wird das Theater, wenn alles klappt, seine Sehnsucht nach einem neuen, vielfältigen und diversen Publikum erfüllen können. Das Theater war, ist und soll auch in Zukunft nicht nur ein Ort der Unterhaltung, sondern ein bedeutsames Instrument für sozialen Zusammenhalt sein. Deshalb ist es auch so wichtig, diesen kulturellen Bereich zu fördern, zu schützen und zu bewahren.

„Alle schreien nach Demokratie! Wir reden nicht lange darüber, sondern haben Kunst, Kultur und Bildungs- und Vernetzungsangebote im Gepäck. Es geht darum, dass wir ‘machen und handeln‘ und Erfahrungs- und Begegnungsräume kreieren. Kurzum: Nachbarschaftlichkeit ist der kleinste gemeinsame Nenner der Demokratie!“

Networkingprogramm zu den Plattenstufen-Festspielen, Foto: Jonas Walter.

Welche Mehrwerte bietet das Festival für Akteur:innen aus der Kreativwirtschaft?

Im Mittelpunkt unserer Arbeit steht auch die Förderung des Wissensaustauschs und -transfers. Denn gerade im Bereich der freien Künste herrschen prekäre Bedingungen. Daher ist es entscheidend, Weiterbildungs- und Fortbildungsangebote anzubieten, damit die Branche mit den Veränderungen in der Welt Schritt halten kann. Von Anfang an haben wir im Verein daher Workshops und Tagungen angeboten, um Wissen sowohl für die künstlerische als auch für die persönliche Praxis zu teilen und Expert:innen der Branche zu vernetzen. Die Programmpunkte des Festivals 2024 bieten somit nicht nur Unterhaltung, sondern auch eine Plattform für den Austausch von Know-how und Erfahrungen im Theaterbereich. Neben den Open-Air-Aufführungen und der Wellness- und Demokratieoase haben wir deshalb auch zu den Plattenstufen-Festspielen Vernetzungsangebote für die Szene der professionellen Freien Darstellenden Künste und zivilgesellschaftlich engagierte Vereine entwickelt. Im Fokus stehen Fragen nach den Herausforderungen und Möglichkeiten demokratiestärkender Arbeit von Kultur- und Theaterschaffenden. 

Programmpunkte sind zum Beispiel die Tagung “Radikale Open Sources – Radikal geteiltes Wissen” am 15. August, bei dem Referierende aus der Kreativwirtschaft und  der Kulturpraxis in Impulsen zu Wort kommen oder das Speeddating „Let´s exchange business cards“ mit Round Tables, die Interessierte dazu einladen, in lockerer Atmosphäre neue Kontakte mit Veranstalter:innen, Kulturförder:innen und Theatermacher:innen zu knüpfen. Auch der Fonds Darstellende Künste wird dieses Jahr wieder mit von der Partie sein. Mit dem bundesweiten Forum für Kunst, Freiheit und Demokratie „DIE KUNST, VIELE ZU BLEIBEN”. Zusammen mit der Kunstszene vor Ort möchte er die Debatte um Kunst, Freiheit und Demokratie ausloten. Ich hoffe, dass das Festival auf verschiedenen Ebenen dazu beiträgt, die Demokratie in Thüringen zu stärken – vor allem in Anbetracht des Superwahljahrs und dem steigenden politischen Druck von Rechts. Durch den Austausch von Ideen und Perspektiven können wir gemeinsam eine lebenswerte und vielfältige Gesellschaft schaffen. Wer Lust hat, dabei zu sein, kann sich über unsere Website über das gesamte kostenfreie Programm informieren.

Initiatorin und Leiterin des Theaterfestivals Anica Happich, Foto: Simon Hegenberg.

Anica Happich, gebürtige Magdeburgerin, ist Kuratorin, Schauspielerin, Kulturmanagerin und kulturpolitische Akteurin, die an öffentlich geförderten Theatern, in der freien Szene und in der Filmbranche tätig ist. Als kulturpolitische Akteurin arbeitet sie im Spannungsfeld der künstlerischen Praxis und bildungspolitischen Arbeit für die Bedeutung und die Belange der (freien) Darstellenden Künste.

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