Zwischen Ästhetik, Nachhaltigkeit und Zukunftsvisionen

Ein Gespräch mit Heiko Rittweger

Schönheit, Nachhaltigkeit und gesellschaftlicher Mehrwert – diese drei Elemente stehen im Zentrum des New European Bauhaus (NEB), einer EU-Initiative, die 2020 ins Leben gerufen wurde, um den Green Deal auf Städte und Regionen zu übertragen. Auch in Thüringen ist die Bewegung präsent: Mit dem New Bauhaus (NB) hat sie hier ihren Ausgangspunkt gefunden und feierte mit der Visionale in Weimar im September 2025 ihren Auftakt. Während das NEB als politische Initiative den Rahmen setzt, geht das NB einen Schritt weiter: Es trägt aktiv zur Weiterentwicklung und Umsetzung der NEB-Werte in der Bau- und Immobilienwirtschaft bei – von visionären Entwürfen über experimentelle Prototypen bis hin zu neuen Denk- und Arbeitsweisen. Die Visionale bot dazu einen Resonanzraum, in dem Fragen zu nachhaltigem Bauen unter den Bedingungen von Klimawandel, Ressourcenknappheit und Digitalisierung diskutiert wurden. Einer, der diese Entwicklungen in Thüringen aktiv mitgestaltet, ist Heiko Rittweger: Der geschäftsführende Gesellschafter von RITTWEGER + TEAM berät seit über zehn Jahren Unternehmen zu Nachhaltigkeit und entwickelt mit seiner Erfurter Agentur Konzepte wie das zirkuläre Hotelzimmer – eine Inneneinrichtung, die Emissionen senkt, Rohstoffe schont und gestalterische Vielfalt bewahrt. Im Interview erklärt er, wie Thüringer Unternehmen für nachhaltiges Wirtschaften sensibilisiert werden, warum interdisziplinäres Arbeiten Innovationen befördert und weshalb er das NB als entscheidenden Impulsgeber für die Zukunft sieht.

Heiko Rittweger gestaltet die Zukunft des Bauens in Thüringen mit: Nachhaltigkeit, Kreislaufwirtschaft und innovative Konzepte wie das zirkuläre Hotelzimmer machen ihn zu einem zentralen Akteur des New Bauhaus und Treiber für nachhaltige Bau- und Immobilienwirtschaft, Foto: RITTWEGER + TEAM.

Wie hast du die Visionale in Weimar dieses Jahr erlebt und welche Entwicklungen im Sinne des New European Bauhaus haben dich besonders inspiriert?

Die Visionale in Weimar habe ich als sehr gelungenes Konzept erlebt, geprägt von Ehrlichkeit und der Bereitschaft, Dinge auszuprobieren, Fehler zuzulassen und alte Designbilder zu hinterfragen. Für mich hatte die Veranstaltung fast einen rituellen Charakter: ein Startpunkt für Erneuerung im Sinne des New European Bauhaus, verstärkt durch die Verbindung zur Bauhaus-Universität und den Studierenden. Besonders beeindruckt hat mich der Aspekt der Vernetzung. Schnell wurde deutlich: Menschen aus Thüringen und darüber hinaus teilen ähnliche Visionen und diese Energie könnte Thüringen zu einem zentralen Ort für Zukunftsgestaltung machen. Mit unserem Material LAB und der Weimarer Land Bank konnten wir zudem vor Ort unsere Projekte präsentieren. Unter den vielen Initiativen und Veranstaltungskonzepten in Deutschland hat das New Bauhaus für mich das größte Potenzial, weil es auf einem substanziellen Ansatz basiert und gegenseitige Inspiration ermöglicht.

„Design ist mehr als Form – es ist das Kommunikationsmittel, mit dem wir komplexe Nachhaltigkeitsstrategien greifbar machen“

Thüringen gilt als Bauhausland und „Labor für morgen“. Welche Vorteile bietet die Region für Experimente und Innovationen im Bauwesen? Wie nutzt ihr den Standort für eure nachhaltigen Visionen?

Thüringen als Bauhausland bietet ideale Voraussetzungen für Experimente und Innovationen im Bauwesen, gerade weil hier kleine und mittlere Unternehmen flexibel agieren können, während große Hersteller oft auf Effizienz und Standardisierung getrimmt sind. Wir nutzen diesen Standort, um mit unserem Material LAB Menschen und Materialien zu vernetzen und neue, nachhaltige Lösungen zu entwickeln, wie etwa Kreislaufmaterialien oder giftfreie Baustoffe, die von kleinen Herstellenden kommen. So können wir innovative Konzepte wie das zirkuläre Hotelzimmer oder nachhaltige Bauformen vorantreiben und zugleich den Mittelstand befähigen, Kompetenzen in gestalterischen und konzeptionellen Bereichen aufzubauen.

„In der Kreislaufwirtschaft funktionieren alte Silos nicht mehr. Nur wenn wir Disziplinen zusammenbringen, können wir ganze Branchen neu denken.“

Die Verbindung zum Bauhaus liegt für uns nicht nur im Standort, sondern im Ansatz: Gestaltung, Experimente und interdisziplinäres Arbeiten werden hier gefördert. Produktdesign, Kommunikationsdesign und auch der Einsatz von KI sind dabei zentrale Werkzeuge, um Wissensmanagement effizient zu gestalten.

Für die Zukunft Thüringens ist es entscheidend, diese Ansätze weiter zu fördern. Startpunkte wie das New Bauhaus in Weimar sind impulsgebend für die Wirtschaft und Innovationskraft der Region. Kleine Unternehmen können hier die großen Akteure und Akteurinnen inspirieren, nachhaltige Prozesse umzusetzen und durch gute Beratung, digitale Strukturen und Vernetzung echte Wertschöpfung erzielen.

Häufig wurde bei der Visionale betont, dass alte Strukturen, Silo- und Effizienzdenken heute nicht mehr ausreichen. Welche ersten Schritte braucht es deiner Meinung nach, um diese Denkweisen aufzubrechen und wie arbeitet ihr bei RITTWEGER + Team, um interdisziplinäres Zusammenarbeiten zu fördern?

Ein erster Schritt ist, innovative Forschungsergebnisse und neue nachhaltige Materialien aus Hochschulen und Instituten stärker in die Praxis und in die Vermarktung zu bringen. Forschungsprojekte allein können das meist nicht leisten. Hier setzen wir mit dem Circular Material LAB an und schaffen eine Plattform, die vorhandenes Wissen vernetzt und für Unternehmen nutzbar macht.

In unserer Agentur am Anger haben wir mittlerweile über 400 verschiedene Materialien gesammelt, die man anfassen, testen und kombinieren kann – von Textilien über Kunststoffe bis hin zu Baustoffen. Unternehmen können sich die Materialien ansehen, sich beraten lassen und so lernen, wie sie zirkuläre Konzepte und nachhaltige Materialien in Bauvorhaben und Projekten einsetzen können. Gleichzeitig bringt das LAB Start-ups, Kreative und Unternehmen zusammen und ermöglicht so interdisziplinäres Arbeiten, das ganze Branchen neu denken lässt.

Zukünftig wollen wir auch mehr Workshops anbieten: von zirkulärem Produktdesign über nachhaltiges Bauen bis hin zu CO₂-Bilanzierung und Kreislaufwirtschaft. So verbinden wir Wissen, Praxis und Inspiration und geben Unternehmen die Werkzeuge an die Hand, die Transformation zur Circular Economy wirklich zu starten. Gutes Design spielt dabei eine Schlüsselrolle. Es übersetzt komplexe Nachhaltigkeitsstrategien für Stakeholder und -holderinnen anschaulich, verständlich und praxisnah und zeigt, wie regionale Ressourcen sinnvoll genutzt werden können; zum Beispiel statt importierter Materialien aus fernen Ländern lokale Alternativen einzusetzen.

Für uns ist das Material LAB mehr als eine Sammlung von Stoffen. Es ist ein Ort, an dem Innovationen sichtbar werden, Materialien neu gedacht und eine nachhaltige, zukunftsfähige Wirtschaft praktisch erfahrbar wird.

„Zirkuläre Produkte verbinden Flexibilität, Individualität und Nachhaltigkeit.  Sie zeigen, dass wirtschaftliche und ökologische Ziele Hand in Hand gehen können.“

Wie kann die Wirtschaft nachhaltiger, flexibler und kooperativer werden, ohne die Wirtschaftlichkeit aus den Augen zu verlieren?

Nachhaltige, flexible und kooperative Wirtschaft erfordert ein Denken auf mehreren Ebenen. Erstens zeigt das Bausegment, dass CO₂-reduziertes oder kreislauffähiges Bauen wirtschaftlich oft gar keinen Nachteil bringt. Besonders im Holzbau haben sich nachhaltige Lösungen innerhalb von wenigen Jahren als Standard etabliert. Somit wird deutlich, dass gestalterische Ansätze wirtschaftliche Vorteile bringen können, die oft ungenutzt bleiben, weil Wissen fehlt. Genau hier setzen Initiativen wie die Visionale an: Sie befähigen Studierende und Gestaltende, diese Wissenslücken zu schließen.

Zweitens müssen Unternehmen flexibel auf sich schnell ändernde Rahmenbedingungen reagieren, etwa im Automobil- oder Kunststoffbereich, wo Frischmaterial derzeit günstiger ist, Technologien aber rasch Fortschritte machen. Wer vorbereitet ist, kann Biokunststoffe in bestehende Prozesse integrieren und neue Vernetzungen und Funktionen ausprobieren.Drittens geht es um die Berücksichtigung aller Ebenen: Ein Produkt, Gebäude oder Projekt muss den gesamten Lebenszyklus und das Umfeld einbeziehen, wie bei unserer nachhaltigen Bank im Weimarer Land, die nicht nur funktional, sondern auch sozial wirkt und auf 30 Jahre Nutzung ausgelegt ist. Nur wenn alle Achsen – Wirtschaftlichkeit, Flexibilität sowie soziale und ökologische Dimension – differenziert betrachtet werden, entsteht eine ganzheitliche, zukunftsfähige Lösung.

Welche Visionen hast du für die Zukunft?

Unsere Vision für die Zukunft verbindet Nachhaltigkeit, Wirtschaftlichkeit und Gesellschaft auf allen Ebenen. In Thüringen vernetzen wir Hochschulen, Forschungsprojekte und industrielle Partner und Partnerinnen, um nachhaltige Materialien in ihrer Qualität und Transformationsfähigkeit zu bewerten und wirtschaftlich nutzbar zu machen. Gesellschaftlich geht es darum, “design for the people“ umzusetzen, das heißt Produkte und Räume so zu gestalten, dass sie den Bedürfnissen der Menschen dienen, die Lebensqualität erhöhen und soziale Mehrwerte schaffen. Zudem setzen wir auf zirkuläre Produktkonzepte, die Flexibilität und Modularität ermöglichen. Gebäude, Räume oder Produkte können so leicht aus- und umgebaut, Materialien wiederverwendet und Rohstoffe geschont werden. Gleichzeitig bleibt Gestaltungsfreiheit für Form, Farbe und Individualität erhalten. Auf diese Weise lassen sich wirtschaftliche, ökologische und soziale Ziele verbinden und innovative, nachhaltige Lebens- und Arbeitsmodelle gestalten.

Kontakt
Heiko Rittweger
Geschäftsführender Gesellschafter
Tel.: 0361 550560-0
Mail: heiko-rittweger@rittweger-team.de
www.rittweger-team.de

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