Nachhaltigkeit im Netz

So kann ich als Unternehmen meinen Web-Auftritt nachhaltiger gestalten

Ein Interview mit Catarina Cottone – Projektmanagerin bei allcodesarebeautiful

Die meisten von uns sind mit umweltschonenden Strategien im Alltag vertraut. Wir wissen, dass wir durch kleine Schritte, wie beispielsweise dem Verzichten auf billige Massenware, Fliegen oder dem Sparen von Wasser und Strom unseren ökologischen Fußabdruck verkleinern können und dadurch die Umwelt schonen. Aber haben wir bereits über unseren digitalen Fußabdruck nachgedacht? Wie sehr es unsere Umwelt belastet, wenn wir unzählige Webseiten-Tabs parallel geöffnet haben oder auf unserem Smartphone Online-Shopping betreiben? Dass eine Stunde Video-Streaming so viel CO₂ verbraucht wie einen Kilometer Auto zu fahren? Die Berliner Agentur allcodesarebeautiful – Kommunikation & Design tut das. Sie erstellen Konzepte für Unternehmen und beraten in Punkto nachhaltiges Webdesign und digitale Zusammenarbeit im Team. Zu ihren Kunden und Kundinnen zählen Unternehmen mit den Schwerpunkten Soziales und Umwelt. Wir haben die Projektmanagerin der Agentur Catarina Cottone getroffen und mehr über Nachhaltigkeit im Netz für Unternehmen und Tipps zur Verkleinerung des ökologischen Fußabdrucks im World Wide Web erfahren. Doch zunächst starten wir mit ein paar Zahlen und Fakten:

  • Das Internet verursacht mindestens genauso viel CO₂, wie der globale Flugverkehr
  • Wenn man sich das Internet als Land vorstellt, dann wäre es unter den Top sechs Stromverbrauchenden im internationalen Ländervergleich 
  • Websites werden immer aufwendiger und umfangreicher – so steigt der CO₂-Fußabdruck rasant
  • Der IT-Sektor steht im Weltranking in Sachen Energieverbrauch an dritter Stelle
  • Mit dem jährlichen E-Mail-Verkehr eines 100-Leute-Betriebs könnte man dreizehn Mal von Paris nach New York fliegen
  • Zwei Prozent der globalen Treibhausgasemissionen machen Rechenzentren aus und damit genauso viel wie die gesamte Luftfahrtindustrie
  • 90.63% of Content Gets No Traffic From Google” – Tom Soulo

Catarina, warum begeistert dich und dein Team Nachhaltigkeit im Netz und wie seid ihr auf das Thema gekommen?

Mein Team und ich sind große Fans der Permakultur. Hierbei handelt es sich um ein nachhaltiges Konzept, das ursprünglich aus der Landwirtschaft und dem Gartenbau stammt. Es basiert darauf, dass natürliche Ökosysteme und Kreisläufe der Natur genau studiert und auf die Lebensweise des Menschen übertragen werden. Die Permakultur bildet somit einen umweltschonenden Gegenentwurf zum industriellen Agrarsystem.

Wir haben uns vor ein paar Jahren gefragt, ob dieses Konzept nicht auch auf die digitale Welt übertragen werden kann und speziell aufs Webdesign. Wir sind in so vielen Lebensbereichen darauf sensibilisiert, durch unser Handeln der Umwelt Gutes zu tun. Warum nicht auch im Internet?

Mir sind vor ein paar Jahren mit Schrecken die Zahlen aufgefallen: beispielsweise, dass das Internet genauso viel CO₂ verbraucht, wie der gesamte Flugverkehr und wie sich die Datenmassen im Internet auf die Umwelt auswirken. Mit der Digitalisierung und allgemeinen Verfügbarkeit des Internets kamen zwar neue Möglichkeiten, aber auch neue Umweltprobleme auf uns zu: Das Internet ist ein riesiger Stromfresser und verursacht Unmengen an CO₂. Ein Teil des Word Wide Webs bestehen aus Websites. Wir setzen daher als Agentur auf ganzheitliche Konzepte, die digitale Unternehmensauftritte energieeffizienter machen und somit die Nutzung nachhaltiger gestalten. Ziele sind dabei den Stromverbrauch und die CO₂-Emissionen zu minimieren und dadurch die Umwelt zu schonen. Dabei können schon kleine Veränderungen Websites nicht nur effizienter und nachhaltiger, sondern auch barrierefreier machen.

Mehr Informationen zur Permakultur im Netz gibt es übrigens auch in unserem Blogbeitrag.

„Dabei können schon kleine Veränderungen Websites nicht nur effizienter und nachhaltiger, sondern auch barrierefreier machen“

foto: Quang Nguyen Vinh

Foto: Quang Nguyen Vinh

Vor welchen Herausforderungen steht ihr bei der Vermittlung dieses relevanten Themas?

Die Herausforderung ist das Greifbarmachen des Themas an sich: Das Internet ist ein luftleerer Raum. Kaum jemand macht sich Gedanken darüber, was es für ein riesiger Stromfresser ist und dass es genauso Teil eines Klimaprogramms sein sollte, wie das Abschaffen von Kohlekraftwerken, das Minimieren des Flugverkehrs und der Verzicht auf andere umweltbelastende Faktoren. Hier ist viel Aufklärungsarbeit gefragt. Unsere Kunden und Kundinnen können zwar anhand der vorliegenden Zahlen und Fakten schnell begreifen, dass wir hier vor einem echten Problem stehen, aber es lässt sich nicht so schnell vermitteln, wie die sichtbare Umweltverschmutzung. Analoger Müll ist sichtbar – digitaler Müll ist bedauerlicherweise unsichtbar. Wir beschreiben daher das Internet gerne als digitale Landschaft, so wird es besser vorstellbar.

„Analoger Müll ist sichtbar – digitaler Müll ist bedauerlicherweise unsichtbar“

Hier befinden sich Unmengen an Datenmüll: Circa 90% der Websites werden noch nicht mal über Suchmaschinen gefunden, weil sie sich zu weit hinten in den Ergebnislisten befinden oder gar nicht auftauchen in den Suchmaschinen – sie verschwinden dann im digitalen Orkus. Die meisten davon werden nicht einmal mehr aktiv betrieben.

Das Bewusstsein für die Umweltverschmutzung durch Digitalisierung kommt langsam, aber bis zum globalen Impact ist es noch ein langer Weg. Vor allem der globale Aspekt ist schwierig, da es keine international geltenden Gesetze für eine ressourcenschonende Nutzung des Internets gibt und derzeit leider auch keine Bestrebungen, dass Nachhaltigkeit im Netz Teil des Klimaabkommens wird. Dabei ist dies genauso relevant wie klimaneutrale Autos, Verzicht auf Plastik und Co. Zur Zeit arbeiten wir daher an einem digitalen Siegel für Website-Betreibende, die eine nachhaltig gestaltete Webseite betreiben, um für das Thema Aufmerksamkeit zu erzeugen und gleichzeitig die hervorzuheben, die einen Schritt in Richtung nachhaltige digitale Zukunft machen.

Team allcodesarebeautiful. Design & Kommunikation (Foto: Jacqueline Traub)

Team allcodesarebeautiful. Design & Kommunikation (Foto: Jacqueline Traub)

Wie kann ich denn als Unternehmerin oder als Unternehmer meinen Web-Auftritt nachhaltiger gestalten?

Wir alle tragen Verantwortung dafür, wie wir uns im Netz verhalten – ob als Unternehmen oder als Privatperson. Eine nachhaltige Website zu betreiben oder im Team nachhaltig digital zu arbeiten, bedeutet für Unternehmen nicht Verzicht oder Minimalismus, sondern das zu nutzen, was man wirklich braucht. Benutze ich meinen Web-Auftritt eher mit dem Ziel, eine digitale Visitenkarte zu haben? Dann reicht ein One-Pager ohne Videos und riesige Bilder im Hintergrund, die nicht nur ewig zum Laden brauchen, sondern auch noch eine große Anzahl an Usern und Userinnen ohne die Möglichkeit an ausreichend mobilen Daten ausschließt. Dateiformate machen hier schon einen riesigen Unterschied: So kann man zum Beispiel anstatt JPG-Formate, die wesentlich kompakteren WEBP-Formate für Bilder und Co verwenden. Als Betreibender eines Online-Shops kann man sich überlegen, ob man zehn Bilder auf einmal laden lassen muss oder ob zwei Bilder in der Vorschau für mein Produkt ausreichen, um potenziellen Käufern und Käuferinnen einen guten Eindruck davon zu vermitteln.

Daten- und Stromverbrauch einer durschnittlichen Webseite um circa 50% zu drosseln ist durchaus möglich, ohne dass Nutzer und Nutzerinnen davon viel mitbekommen:

  • Minimalistisch vorgehen: Bei Website-Elementen Nutzen und Notwendigkeit mitdenken – warum haben wir diese Funktion, dieses Element und brauchen wir das WIRKLICH? 
  • Content-Recycling: Zum Beispiel eine interne Recherche zu einem Blogartikel, auch als Social-Media-Content nutzen sowie damit Pressearbeit betreiben
  • Das Schöne ist: Eine Low-Carbon-Website verbraucht nicht nur weniger Strom, sie ist auch barriereärmer und performt besser – Userschaft und Suchmaschinen lieben es!
  • Datensparsam: Auch Menschen mit schlechter oder keiner mobilen Internetverbindung sollen Websites erreichen können. Remember: Daten kosten im mobilen Internet ohne Flatrate bares Geld
  • Stay clean: Löscht nicht mehr genutzte Inhalte, Bilder und Seiten

Als Unternehmen hilft es, sich Fragen der Nachhaltigkeit und Effizienz des eigenen  Web-Auftritts zunächst durch die User-Perspektive zu stellen und sich professionelle Betreuung im Sinne der Webseiten-Neu- oder Umgestaltung zu suchen. Und noch ein paar Tipps für die digitale Teamarbeit

  • Nur die Tabs offen haben, die man unbedingt braucht
  • Lassen sich Fragen vielleicht auch telefonisch klären, anstatt über einen langen, stromfressenden Zoom-Call mit Video? Oder kann ich beim nächsten Meeting eventuell mein Video ausschalten?
  • Kann ich Informationen in einer längeren Mail sammeln, anstatt für jede Kleinigkeit eine einzelne Mail aufzusetzen?
  • Durch das Verringern der Bildschirmhelligkeit lässt sich Strom einsparen und es schont die Augen
Foto: Ketut Subiyanto

Foto: Ketut Subiyanto

Wie kann man als Privatperson zu mehr Nachhaltigkeit im Netz beitragen?

Aus User-Sicht ist diese Frage zunächst viel schwieriger als aus Webgestaltungs- und Unternehmens-Perspektive. Denn ich kann als Privatperson nicht entscheiden oder direkt ersehen, ob die Seiten, die ich im Internet besuche, nachhaltig gestaltet sind. Dennoch gibt es ein paar Möglichkeiten für Einzelpersonen, sich ökologisch wertvoll im Netz zu verhalten: 

  • Unnötige Suchen vermeiden: Bekannte URLs und solche, die man oft besucht nicht jedes Mal via Google suchen, sondern direkt eintippen oder ein Lesezeichen setzen (siehe auch: Wieviel Energie verschlingt eine Suchanfrage)
  • Qualität begrenzen: Egal ob Netflix, YouTube oder Instagram – Videos nicht auf höchster Qualität abspielen. Das spart Daten und Strom
  • Autoplay ausschalten: Bei YouTube, Hulu, Netflix und Co lässt sich Autoplay deaktivieren
  • Text > Audio > Video: An bewegten Bildern sparen, heißt Daten und Strom sparen
  • Adblocker einschalten: Werbung ist oft nicht sonderlich datensparsam programmiert und am Ende womöglich noch animiert
  • Hintergrundaktualisierungen ausstellen bei Smartphones: Das spart nicht nur Akku, sondern auch Daten
  • Datenmengen tracken: Programme ermöglichen einen Live-Check-Up der verbrauchten Datenmengen beim Surfen im Internet
  • Online-Shopping: Vorher überlegen, was man beziehungsweise wo man shoppen will und dann anstatt fünfzehn Tabs für fünf Stunden offen zu haben, vielleicht lieber zwei Tabs für eine Stunde 
  • Mal den Website-Carbon-Check machen, um greifbar zu machen, wie viel meine Websites so an CO₂ verbrauchen
  • Second-Hand auch für Elektro: Nicht ständig neue Handys und Computer anschaffen, sondern gebraucht kaufen
foto: ready made

Foto: ready made

Wie könnte die Zukunft von nachhaltiger Digitalität aussehen?

Unsere Vision ist der sogenannte Cleaner-Web-Standard, der durch das °Cleaner-Web-Siegel zertifiziert wird, das wir zusammen mit zwei tollen Kooperationspartnern erarbeiten haben. Durch dieses Siegel haben Website-Betreibende die Möglichkeit, den CO₂-Fußabdruck ihres Webauftritts zu überprüfen und zu reduzieren und können dies auch für ihre Kommunikation nutzen. Unsere langfristige Vision: Den °Cleaner-Web-Standard gesetzlich verankern, damit saubere Websites zur Selbstverständlichkeit werden.

Die Zukunft einer nachhaltigen Digitalität verlangt indes nach Bewusstsein und Sensibilisierung für das Thema an sich. Als Konsument oder Konsumentin steht man oft alleine da. Wir würden uns wünschen, dass es allgemeingültige Regelungen, vor allem für große Online-Konzerne gibt, die die Unternehmen dazu verpflichten, ihre Seiten und digitalen Anwendungen effizienter und nachhaltiger zu gestalten. Es wäre ein Traum, wenn auch jede Einzelperson ihren Teil – und sei er auch noch so klein – zu mehr Nachhaltigkeit im Netz beitragen und dadurch unsere Welt ein Stückchen in Richtung nachhaltige Zukunft trägt.

Kontakt

allcodesarebeautiful. Design & Kommunikation
Catarina Cottone
Projektmanagement + Workshops
catarina@allcodesarebeautiful.com
allcodesarebeautiful.com

Catarina Cottone

Das Thema Nachhaltigkeit begleitet Catarina schon ihr ganzes Leben lang. Als Content-Allrounderin und Projektmanagerin bei der Webagentur „allcodesarebeautiful – Kommunikation & Design“ engagiert sie sich auch für Nachhaltigkeit im Netz. Wie werden Websites klimafreundlicher und was hat das mit Barrierefreiheit und SEO zu tun? Mit ihrem interdisziplinären Background konzipiert sie Websites immer ganzheitlich und mit den Userinnen und Usern im Fokus.

Beitragsbild: Ketut Subiyanto
Headerbild: Markus Spiske

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