Designs für alle Menschen 

Im Interview mit Eric Jentzsch von zentralform

Verantwortungsvolles Entwerfen und die Schaffung von gesellschaftlichen Mehrwerten stehen im Mittelpunkt seiner Gestaltungsphilosophie: Der in Weimar lebende Kreativschaffende Eric Jentzsch ist als Gründungsmitglied von Anbeginn beim Hüftstern Gestaltungskollektiv tätig. Vor zweieinhalb Jahren hat sich der kreative Kopf zudem mit seinem eigenen Label zentralform selbstständig gemacht. Hierüber setzt er für Unternehmen und Institutionen aus Kultur und Wissenschaft, analoge und digitale Designaufträge mit dem Schwerpunkt auf Vermittlung und Inklusion um. Dabei geht es nicht nur um die Erfüllung von Normen, sondern auch um die eigene Motivation, Designs zu schaffen, die für alle Menschen zugänglich sind. Wir wollten mehr über seine Projekte sowie Erics Schaffensalltag erfahren und haben ihn zum spannenden Talk getroffen.

Eric Jentzsch von zentralform, Foto: Carolin Klemm.

Eric, warum ist es dir persönlich so wichtig, das Thema Inklusion in deiner kreativen Arbeit mitzudenken?

Durch die langjährige Tätigkeit meiner Mutter in der Behindertenpflege wurde ich früh für die Bedürfnisse benachteiligter Menschen sensibilisiert. Während meines Zivildienstes in einer Druckerei für Menschen mit Behinderung, habe ich zudem erlebt, wie wichtig barrierefreies Design für den Alltag von eingeschränkten Menschen ist. Als Brillenträger mit einem angeborenen Sehfehler habe ich stetig Kontakt mit dem Themenbereichen Wahrnehmung, Teilhabe und entsprechend auch Barriefreiheit. Für mich ist Inklusion daher nicht nur aus beruflicher Sicht erstrebenswert, sondern auch persönlich bedeutend. Es ist gut zu wissen, dass es Normen gibt und dass Beratung und Sensibilisierung für dieses Thema stattfinden. Obwohl nicht alle sofort die Vorteile von barrierefreien Designs erkennen, betrachte ich sie als essenzielle Marketingtools und integrale Bestandteile meines Selbstverständnisses als Gestaltender. Es freut mich deshalb zu sehen, dass immer mehr Kund:innen nach barrierefreien Designs im Online- und Printbereich verlangen. Diese Entwicklung zeigt mir, dass die Bedeutung und der Wert von Barrierefreiheit zunehmend erkannt wird und wir gemeinsam eine positive Veränderung bewirken können.

Welche Herausforderungen siehst du bei diesem Thema und wie steht es vor allem um die Aufklärung?

Ethik im Design ist ein Thema, das immer mehr an Bedeutung gewinnt und eigentlich haben auch alle Unternehmen zumindest die digitale Barrierefreiheit auf dem Zettel – spätestens seit der Verkündung der Einführung des Barrierefreiheitstärkungsgesetzes, das ab 2025 neben öffentlichen Institutionen auch für die Privatwirtschaft, Verbände und Vereine gilt. Aber natürlich gibt es noch Herausforderungen: Zum einen die umfassende Sensibilisierung für die Bedeutung des Themas und zum anderen das Aufzeigen der Spielräume, die sich für Gestalter:innen innerhalb barrierefreier Designs ergeben.

Wie gehst du die einzelnen Herausforderungen an?

Die Sensibilisierung kann ich im Gespräch mit Kund:innen selbst in die Hand nehmen. Ich erkläre Auftraggebenden vor Projektstart, welche Bedeutung und welche Mehrwerte Barrierefreiheit hat und wie wichtig es ist, bei der Gestaltung von Webseiten, Print-Produkten und anderen kreativen Dienstleistungen moralische Werte zu berücksichtigen. Ich vermittle den Kund:innen, dass es mir nicht nur darum geht, schöne und ansprechende Designs zu schaffen, sondern auch um die Integration von gesellschaftlichen Werten. Hier geht es also erst einmal um Beratung und das Aufbauen von Vertrauen. Gemeinsam mit meinen Auftraggebenden entwickle ich in Strategieworkshops Konzepte, um eine Förderung des Gemeinwohls oder eben die Integration von Barrierfreiheit zu erreichen. Denn es geht nicht nur darum, gesetzliche Vorgaben einzuhalten, sondern auch darum, das Nutzer:innenerlebnis für alle zu verbessern. Barrierefreie Webanwendungen bieten zum Beispiel Vorteile für Menschen mit Behinderungen und auch für Ältere oder Menschen mit eingeschränkten technischen Fähigkeiten. 

Das bringt mich zur zweiten Herausforderung: der Inhalt und dessen Vermittlung steht erst einmal immer vor der ästhetischen Aufbereitung. Hierbei ist wichtig zu verstehen: Bei barrierefreien Designs steht nicht das Künstlerische im Vordergrund, sondern die Integration von Werten und Prinzipien im Gestaltungsprozess. Das geht über das rein Visuelle hinaus. Es geht vielmehr darum, einen ganzheitlichen Ansatz zu verfolgen und Design nicht nur als ästhetischen Eingriff zu betrachten, sondern als Instrument zur Verbesserung der Lebensqualität aller Rezipient:innen. Wenn man das beherzigt und auf flashige Schriften und Farbkombinationen verzichtet, erreicht man einen größeren Adressat:innenkreis. Zumal schlichte Designs auch eine gewisse Schönheit haben können. Es liegt an uns als Gestaltende, hier ein gutes Ergebnis zu erzielen, das funktional und ästhetisch ansprechend ist. 

Welche Projekte hast du bisher umsetzen können?

Ein Projekt war zum Beispiel für die „Tour de Demokratie”, die von der Gesellschaft zur Erforschung der Demokratie-Geschichte (GEDG) anlässlich des 75. Jubiläums unseres Grundgesetzes organisiert wurde. Dabei fand eine Fahrt mit verschiedenen Etappen von Weimar über Frankfurt am Main bis nach Bonn statt. An rund 20 Orten wurde ein symbolischer Staffelstab der Demokratie weitergereicht. Neben Vertreter:innen aus der Politik waren Vereine, Initiativen, Gedenkstätten, das THW und vielen Andere Instititutionen aus der Zivilgeselschaft in das Projekt involviert. Meine Aufgabe war es, die Tour visuell optimal aufzubereiten. In enger Zusammenarbeit mit der GEDG übernahm ich nicht nur die komplette Markengestaltung, sondern auch die Entwicklung der Werbemittel, der begleitenden Kampagne sowie Zuarbeiten zur entsprechenden Webseite. Die Aktion steht in engem Zusammenhang mit dem ebenfalls von der GEDG initiierten „Netzwerk Verfassungssätdte“. In diesem Rahmen ist ein direkter inhaltlicher Austausch auf Augenhöhe mit den Kulturdirektionen und Marketingabteilungen der Städte entstanden und gleichzeitig werden gemeinsame Werte vertreten. Barrierefreiheit in der Gestaltung gehört hier zum Selbstverständnis, um die Vermittlungsarbeit des Netzwerks und seine Aktionen möglichst vielen Bürger:innen zugänglich zu machen.

Eine weitere Zusammenarbeit ergab sich mit der Max-Planck-Gesellschaft. Sie hat einen Band herausgebracht, der die Entwicklung der Gesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg beleuchtet. Beauftragt waren bei mir insgesamt 50 Infografiken, von denen 40 im Band erschienen sind. 

Gemeinsam erörterten wir generelle Themen, die wir grafisch-narrativ weiter vertiefen wollten. Anschließend haben wir uns die entsprechenden Datensätze aus der Forschungsdatenbank des Projektes angeschaut und erörtert, welche Rückschlüsse sich ziehen lassen und – viel wichtiger noch – ob diese Rückschlüsse erst durch eine gesonderte Aufbereitung richtig greifbar werden. Ein gutes Beispiel ist etwa der Frauenanteil in der Max-Planck-Gesellschaft. Die Daten von 1975–2000 zeigen, dass im Mittel etwas mehr als 40 Prozent der Mitarbeitenden Frauen sind. Ziemlich gut für eine so große Forschungsgesellschaft. Wenn man dann genauer hinschaut, erkennt man aber, dass sich das nicht gleichmäßig über alle Tätigkeitsbereiche verteilt: Im Bereich “Verwaltung & Sonstige” beträgt der Anteil 77 Prozent, beim technischen Personal etwa 45 Prozent und beim wissenschaftlichen Personal nur noch 13 Prozent. Unter den “Wissenschaftlichen Mitgliedern”, den höchsten Positionen der Gesellschaft, beträgt der Frauenanteil in diesem Zeitraum weniger als 2 Prozent.

Hier lohnt es sich also, in einer gemeinsamen grafischen Darstellung all diese Aspekte vergleichbar zu machen. Dazu habe ich die entsprechenden Datensätze des Forschungsprojektes in eigenen Datenbanken aufbereitet und dann auf dieser Grundlage die Infografiken erstellt. Nach der Kontrolle und Abnahme durch die Forschenden sind diese Daten jetzt Teil Rohdatenquellen des Projektes. 

So klar uns Statistiken oft erscheinen, sie bilden auch nur eine Form der Erzählung ab. Deshalb ist es von großer Bedeutung, dass wir Daten so aufbereiten, dass bestimmte wichtige Aspekte nicht ungesehen bleiben.

Im gleichen Projekt habe ich aber auch bestehende Grafiken neu aufbereitet, um sie zugänglicher zu machen: für die Infografik über die Nationalen Herkünfte der Mitglieder habe ich einerseits aus drei individuellen Diagrammen eine einzelne Grafik entwickelt und andererseits konnte dank der neuen Darstellungsform der Einsatz von überwältigenden 44 Farben auf 2 Töne reduziert werden.

Als Designer:innen haben wir nämlich einen gewissen Einfluss darauf, wie Geschichten erzählt werden und können den Auftraggebenden unsere gestalterische Sichtweise anbieten. Egal ob in Grafiken, Illustrationen, Filmen, Texten oder Musik.

„Ich habe den Eindruck, dass Gestaltung in Deutschland nicht ausreichend sozial gedacht wird. Zu oft geht es um reines Augenfutter, um die neuesten Trends und Techniken – und zu selten um die gesellschaftliche Dimension von Design. Dabei haben wir die Möglichkeit, Räume mitzugestalten, in denen sich alle Menschen wohlfühlen und teilhaben können“

Eric Jentzsch

Was wünscht du dir für die Zukunft?

Die digitale Barrierefreiheit hat in den letzten Jahren Fortschritte gemacht, jedoch wird oft vernachlässigt, dass auch die analoge Barrierefreiheit von großer Bedeutung ist. Während über digitale Lösungen viel diskutiert wird, fehlt es häufig an einer umfassenden Implementierung und Aktualisierung analoger barrierefreier Designs. Egal ob es sich um Außenwerbung oder digitale Anwendungen handelt, das Bedürfnis nach leicht lesbaren und gut verständlichen Inhalten sollte sowohl offline als auch online erfüllt werden. Es ist wichtig zu erkennen, dass die Grundprinzipien der Barrierefreiheit für beide Bereiche gelten und dass ein ganzheitliches Denken erforderlich ist. Beispielsweise ist der Forschungsstand zur Lesbarkeit von Schriften recht dünn. Ich habe eine Untersuchung von 2009 gefunden, die sich im Wesentlichen mit der Lesbarkeit von Serifenschriften im Vergleich zu Serifenlosen beschäftigt. Man sollte meinen, dass es zu so einem grundlegenden Thema, der Lesbarkeit von Schrift, ein robuster Forschungsstand existiert, aber dem ist nicht so.
Die meisten Regeln und Empfehlungen kommen aus den traditionellen Gewerken und sind in DIN-Normen festgehalten, wie etwa Berechnungsgrundlagen für Schriftgrößen abhängig von Betrachtungsabstand, Lichtverhältnissen und Sehvermögen.
Ich kann also relativ gezielt herausfinden, wie viel größer meine Schrift auf einem Flyer sein sollte, wenn ich absehen kann, dass dieser bei schwierigen Lichtverhältnissen ausliegt. Hierbei helfen Tools wie der Schriftgrößen- und Kontrastrechner auf www.leserlich.info, die es ermöglichen, bessere Lesbarkeit von digitalen und analogen Medien zu gewährleisten.

Welche Verantwortung hast du als Designer?

Eine große. Meines Erachtens sollte der soziale Raum, den wir durch unsere Tätigkeit mitgestalten, immer wichtiger sein als die pure Wirtschaftlichkeit. Ich kann mich bewusst entscheiden, welche Projekte ich wie unterstütze und worauf mein Fokus liegt. Designer:innen haben die nötigen Tools, um Themen wie Inklusion und Barrierefreiheit voranzutreiben – Themen, denen sich Designer:innen in einer modernen Gesellschaft einfach stellen müssen. Es sollte immer darum gehen, gesellschaftliche Mehrwerte zu schaffen und sicherzustellen, dass alle Menschen Zugang zu Inhalten haben. Dabei spielt auch die analoge Barrierefreiheit eine wichtige Rolle. Denn nicht jeder nutzt ausschließlich digitale Medien. Deshalb ist es von Bedeutung, dass Gestaltung nicht nur auf visuelle Aspekte fokussiert ist, sondern auch andere Sinne anspricht und möglichst ganzheitlich gedacht werden wird. Darum investiere Ich auch gern Zeit in ausführliche Beratungsgespräche. Ich muss aber auch dazu sagen, dass ich nur langfristig mit Kund:innen zusammenarbeite, die diese Werte teilen. 

Kontakt

zentralform
Erscheinungbilder Visuelle Systeme
www.zentralform.de

Start „Tour de Demokratie“ auf dem Theaterplatz aus Anlass 75 Jahre Grundgesetz, Foto: Henry Sowinski.
Start „Tour de Demokratie“ auf dem Theaterplatz aus Anlass 75 Jahre Grundgesetz, Foto: Henry Sowinski.

Erics Lesetipps

Carl DiSalvo: “Design as Democratic Inquiry: Putting Experimental Civics into Practice” (en), 2022, MIT Press

Open Acces Publication vermittelt anhand von Beispielen, wie Methoden aus Gestaltungspraxis und Design Thinking genutzt werden können, um gesellschaftliche Teilhabe zu fördern.

Sasha Constanza-Chock: „Design Justice: Community-Led Practices to Build the Worlds We Need“ (en), 2019, MIT Press, Open Access Publication

Standardwerk zum Thema Design Justice und gleichzeitig ein sehr guter Einstieg in den gesamten Bereich Barrierefreiheit/-Armut und Inklusion. Wichtiger Fokus auf intersektionale mehrfach-benachteiligte Bevölkerungsschichten und das Verhältnis zu anderen, verwandten Methoden/Sichtweisen wie Value-Sensitive Design, Universal Design, Inclusive Design

Waldemar Zeiler (zusammen mit Katharina Höftmann): „Unfuck the Economy — Eine neue Wirtschaft und ein besseres Leben für alle“ (de), 2020, Goldmann

Sehr zugänglicher, emotionaler (und ggf. auch streitbarer) Beitrag zum Thema, wie wir Wirtschaften könnten und sollten, um alles für alle ein bisschen besser zu machen.

Ruben Pater: “The Politics of Design: A (Not So) Global Design Manual for Visual Communication” (en), 2016, BIS Publisher

Behandelt die Themen der Lesefähigkeit (Literacy) und Lesbarkeit von Gestaltung über geografische und kulturelle Grenzen hinweg und verweist auf die sozialen und politischen Verantwortung von Design.

Friedrich von Borries: „Weltentwerfen — Eine politische Designtheorie“ (de), 2016, Suhrkamp

Behandelt die Verantwortung von Gestaltung und Gestaltenden, aber auch wie weit der Begriff des Gestaltens reicht. (Ich finde es einen guten Gradmesser, um herauszufinden, wie und wo man selbst in diesem Komplex steht.)

Museum für Gestaltung Zürich; Evelyn Steiner; Sara Zeller: „Design für alle? Inklusive Gestaltung heute“ (de), 2024, Spector Books

Ist eine umfängliche Bestandsaufnahme zu den Themen Barrierefreiheit und Inklusion in den entwerfenden Professionen und damit eine der wenigen Publikationen zum Thema in deutscher Sprache. Die Unterteilung in Statements, Interviews und Best Practice sorgt zudem für ein sehr angenehm breites Spektrum an Inhalten.

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