Ein Gastbeitrag von Tim Hartung
(Autor des Social Media Marketings Blogs der Meisterwerk – Social Media Agentur)
Wer kennt es nicht, man hat gerade etwas Freizeit und entscheidet sich, einen kurzen Blick in TikTok zu werfen. Ohne es zu merken, verliert man sich zwischen der Dauerbeschallung spannender, interessanter oder einfach abstruser und skurriler Clips. Während man es realisiert, ist es jedoch meist schon zu spät – „Schonwieder zwei Stunden mit TikTok totgeswiped.“ Doch warum geraten wir so häufig in den Strudel unendlicher Videos & Swipes?
Dabei handelt es sich längst nicht mehr um ein generationsabhängiges Thema. Während im Jahr 2019 gerademal 1% der Befragten TikTok nutzen (darunter größtenteils junge Menschen), sind es heute (Dezember 2022) alle Altersgruppen der Generationen X, Y, Z & Alpha, die ihre Freizeit auf TikTok verbringen. Im zweiten Quartal 2022 verbrachte der Durchschnittsdeutsche sogar bereits 95 Minuten pro Tag auf der Video-Plattform, alles „Dank“ dem TikTok-Algorithmus. Genau dieser besagte Algorithmus hat dafür gesorgt, dass TikTok auch so erfolgreich geworden ist. Was der TikTok-Algorithmus ist, wie er genau funktioniert und wieso er eine Gefahr für unsere Generationen darstellt, möchten wir euch in diesem Blogbeitrag näherbringen.
Der TikTok-Algorithmus – Der Kern des Erfolgs
Das Herzstück von TikTok ist der besagte Algorithmus. Zusammengefasst soll der TikTok-Algorithmus den Nutzer:innen ein personalisiertes Erlebnis bieten, indem er ihnen Inhalte empfiehlt, die für ihre Interessen und Gewohnheiten relevant sind. Durch die Analyse des Nutzer:innenverhaltens und die Berücksichtigung der Popularität von Inhalten ist der Algorithmus in der Lage, einen Feed mit empfohlenen Videos zu liefern, der individuell auf jede(n) einzelnen Nutzer:innen zugeschnitten ist. Dabei berücksichtigt der Algorithmus eine Reihe von Faktoren, darunter die bisherigen Interaktionen des Nutzers oder der Nutzerin mit anderen Inhalten, die generelle Beliebtheit der Inhalte und die persönlichen Interessen des Nutzers oder der Nutzerin. Es wäre allerdings oberflächlich zu behaupten, dass das die Funktionsweise des TikTok-Algorithmus in größter Gänze beschreibt. Mehr zum TikTok-Algorithmus erfahrt ihr gleich.
Warum soziale Netzwerke auf Algorithmen setzten
Mittlerweile greifen so ziemlich alle bekannten & großen sozialen Netzwerke auf den Einsatz eines Algorithmus zurück. Grund dafür ist eine riesige Menge an Daten, die durch die Nutzung der App entstehen und ausgewertet werden können. Derart große Mengen, dass diese Daten unmöglich von Menschenhand ausgewertet werden könnte. Dieser Aufgabe widmet sich ein Algorithmus. Zwar unterscheiden sich die Algorithmen (für soziale Netzwerke) von Plattform zu Plattform etwas, im Kern haben sie jedoch alle sehr ähnliche Aufgaben.
Personalisierung
Soziale Plattformen verwenden Algorithmen aus verschiedenen Gründen. Einer der Hauptgründe ist, das Nutzer:innenerlebnis zu personalisieren und interessanter gestaltet werden können. Durch die Verfolgung des Nutzer:innenverhaltens und der Interessen können Algorithmen Inhalte empfehlen, die für den einzelnen Nutzer oder die einzelne Nutzerin am meisten Relevanz besitzen.
Erhöhte Verweildauer
Dies trägt dazu bei, dass die Nutzer:innen länger auf der Plattform verbleiben, sich länger mit den Inhalten beschäftigen und möglicherweise mit mehr Werbung bespielt werden können. Eine Faustregel dazu: „je länger ein Nutzer oder eine Nutzerin sich auf einer sozialen Plattform befindet, desto mehr Möglichkeiten bestehen, diesem Nutzer oder dieser Nutzerin Werbeanzeigen auszuspielen und schlussendlich Umsatz für die Plattform selbst zu erwirtschaften.“
Effiziente Systeme
Ein weiterer Grund, warum Social-Media-Plattformen Algorithmen einsetzen, ist die Verbesserung der Effizienz ihrer Inhaltsempfehlungssysteme. Durch den Einsatz von Techniken des maschinellen Lernens können Algorithmen große Datenmengen analysieren und Empfehlungen in Echtzeit aussprechen, ohne dass ein menschliches Eingreifen erforderlich ist. Dadurch können Social-Media-Plattformen ihre Empfehlungssysteme skalieren und eine größere Nutzer:innenbasis bedienen, ohne dass zusätzliche Ressourcen benötigt werden.
Daten zur Verbesserung des eigenen Services
Schließlich können Algorithmen auch den Social-Media-Plattformen helfen, ihre Nutzer:innen besser zu verstehen und ihre Produkte zu verbessern. Durch die Analyse des Nutzer:innenverhaltens und der Interaktionen mit Inhalten können Algorithmen Aufschluss darüber geben, welche Arten von Inhalten besonders beliebt und ansprechend sind.
Bessere Anzeigenausrichtung
Algorithmen können verwendet werden, um Anzeigen auf bestimmte Nutzer:innen auf der Grundlage ihrer Interessen und ihres Verhaltens auszurichten, was zu effektiverer und relevanterer Werbung sowohl für Werbetreibende als auch für Nutzer:innen führt. So bleibt dem Werbenden unnötiger Streuverlust erspart und er kann seine Anzeige an genauste Zielgruppen ausspielen. Je genauer die Zielgruppen erfasst/zugeordnet werden können, desto attraktiver wird die Plattform selbst für Werbetreibenden.
Moderation von Inhalten
Algorithmen können dabei helfen, unangemessene oder spammige Inhalte auf Social-Media-Plattformen zu erkennen und zu entfernen, wodurch die Gesamtqualität der Inhalte und somit auch die User Experience auf der Plattform verbessert wird.
Zusammengefasst kann man sagen, dass Algorithmen dabei helfen, die Effizienz von Social-Media-Plattformen zu steigern, dessen Nutzer:innen besser zu verstehen und das allgemeine Nutzer:innenerlebnis zu verbessern.
Wie der TikTok Algorithmus funktioniert – Einfach erklärt
In 99% der Fälle kann man nicht ohne Zweifel sagen, wie ein Algorithmus genau programmiert ist. Das liegt zum einen an den Plattformen selbst, da diese logischerweise nicht das „Erfolgsgeheimnis“ ihres Algorithmus preisgeben möchten. Auf der anderen Seite ändern sich Algorithmen ständig. TikTok selbst stand bereits öfter unter Kritik, das hier nur wenig über den eigenen Algorithmus und dessen Faktoren preisgegeben wurde. Erst Mitte 2021 hat TikTok Einblicke gegeben, welche Kriterien für den TikTok-Algorithmus Relevanz besitzen:
Grobkategorisierung durch Interessen
Bei der ersten Anmeldung wird der Nutzer oder die Nutzerin gebeten, aus verschiedenen Interessenfeldern auszuwählen. So bekommt der Algorithmus bereits einen ersten Input, welche Inhalte interessant sein könnten.
Videoinformationen
Eine Möglichkeit, wie der TikTok-Algorithmus das Nutzer:innenverhalten verfolgt, ist die Verwendung von Videoinformationen. Diese Informationen können Hashtags, Filter, Sound, Videobeschreibungen, Transkipte und die tatsächliche Watchtime sein. Wenn ein Nutzer oder eine Nutzerin nach einem bestimmten Hashtag sucht, Videos mit bestimmten Filtern oder Sound bevorzugt oder öfters schaut, oder Videos aus einem bestimmten Genre häufiger „zu Ende schaut“ (completion), nimmt der TikTok-Algorithmus diese Interaktion zur Kenntnis und beginnt, dem Nutzer oder der Nutzerin mehr Inhalte angepasst an sein oder ihr Verhalten auszuspielen. Auf diese Weise wird die Erfahrung personalisiert und sichergestellt, dass der Nutzer oder die Nutzerin die Inhalte sieht, die ihn oder sie interessieren.
For-You-Page
Die Datenquelle schlechthin. Eine weitere Möglichkeit für den TikTok-Algorithmus, das Nutzer:innenverhalten zu verfolgen, ist die Verwendung der For-You-Seite. Die For-You-Seite ist im Grunde das Pendant zur Explore-Seite von Instagram, worin personalisierte Feeds mit empfohlenen Inhalten (von Accounts denen man nicht folgt) ausgespielt werden, die auf die Interessen der einzelnen Nutzer:innen zugeschnitten sind. Der Algorithmus verwendet Techniken des maschinellen Lernens, um die Interaktionen eines Nutzers oder einer Nutzerin mit Inhalten zu analysieren und ihm ähnliche Inhalte vorzuschlagen, die zu ihm passen könnten. Da TikTok-Nutzer:innen teilweise viel Zeit auf der For-You-Page verbringen, kann der Algorithmus hier sehr viele nützliche Daten sammeln.
Relevanz – Interaktionen mit Inhalten
Neben der Verfolgung des Nutzer:innenverhaltens berücksichtigt der TikTok-Algorithmus auch die Popularität eines Inhalts. Dazu gehören Faktoren wie die Anzahl der Aufrufe, Likes, Kommentare und Shares die ein Video erhalten hat. Aber auch der eigene Content sowie Content von gefolgten Kanälen sind Signale, die der TikTok-Algorithmus mit einbezieht. Videos, die beliebt sind, werden eher anderen Nutzer:innen empfohlen, da sie als ansprechender und relevanter eingestuft werden.
Geräte- & Accounteinstellungen
Für viele selbsterklärend, dennoch nicht zu vernachlässigen sind die grundlegenden Einstellungen für Gerät und Account. Hier ermittelt TikTok die Sprache, den Standort sowie die Marke des Smartphones des Users. Da anhand dieser Informationen nur hinreichende Schlüsse gezogen werden können, ordnet TikTok diesen Einstellungen verhältnismäßig wenig Einfluss zu.
Ausspielung von Inhalten
Resultierend aus den personalisierten Empfehlungsfunktionen spielt der TikTok-Algorithmus auch eine Rolle bei der Bestimmung der Sichtbarkeit von Inhalten auf der Plattform. Inhalte, die als besonders ansprechend oder relevant eingestuft werden, werden den Nutzer:innen eher angezeigt, während Inhalte, die weniger beliebt oder ansprechend sind, im Feed untergehen oder den Nutzer:innen überhaupt nicht angezeigt werden.
Dies kann negative Folgen für die Content-Creator auf der Plattform haben, da der Algorithmus bestimmt, welche Inhalte von den meisten Nutzer:innen gesehen werden. Dies kann zu einem „Echokammer“-Effekt führen, bei dem den Nutzer:innen nur bestimmte Arten von Inhalten angezeigt werden, was zu einer Homogenisierung der Inhalte auf der Plattform führt.
TikTok-Algorithmus – Unterschied zu anderen Algorithmen
Im Grunde genommen unterscheiden sich Algorithmen innerhalb sozialer Netzwerke nur geringfügig voneinander. Genauso verhält es sich auch mit dem TikTok-Algorithmus. Alle genannten Faktoren werden höchstwahrscheinlich auch auf anderen Plattformen wie Instagram oder Youtube so oder so ähnlich in die Bewertung & Ausspielung von Inhalten einbezogen.
Einen signifikanten Unterschied zwischen dem TikTok-Algorithmus und dem Rest gibt es dennoch: TikTok legt mit seinem Algorithmus keinen zu großen Wert auf die Followerzahl eines Accounts. Aus Untersuchungen des Wall Street Journals ging hervor, dass TikTok jedes Video einzeln analysiert und entsprechend ausliefert. Demzufolge haben größere Accounts zwar mehr Reichweite, werden jedoch beim Ausspielen von Videos nicht aufgrund Ihrer Reichweite (Follower:innenzahl) priorisiert. So soll die sogenannte Filter Bubble umgangen werden, was kleineren Creatorn die Chance ermöglicht, trotz ihrer eingeschränkten Reichweite viral zu gehen.
Wieso der TikTok-Algorithmus Gift für unsere Aufmerksamkeit ist
Eines ist Fakt: Die Verwendung von Algorithmen zur Personalisierung von Inhaltsempfehlungen haben sich mehr als bewährt. Viele soziale Plattformen haben durch den Einsatz bzw. die Optimierung eines Algorithmus einen regelrechten Aufwind in Bezug auf Nutzer:innen, Verweildauer und genereller User-Experience erfahren. Gleichzeitig sorgen diese Algorithmen auch dafür, dass unsere Aufmerksamkeitsspanne immer weiter abnimmt. Warum? Der Algorithmus zielt schlichtweg darauf ab, die Nutzer:innen so lange wie möglich auf der Plattform zu halten, indem er ihnen Inhalte zeigt, mit denen sie sich wahrscheinlich beschäftigen werden.
Dass unsere Aufmerksamkeitsspanne drastisch abnimmt, ist kein Geheimnis mehr. Während wir im Jahr 2000 noch eine durchschnittliche Aufmerksamkeitsspanne von 12 Sekunden hatten, waren es 2015 nur noch 8,25 Sekunden. Dem nicht genug, entscheiden wir auf Social Media bereits in den ersten 2 Sekunden, ob wir ein Video weiterschauen wollen oder nicht. Dem passt sich ein Algorithmus in Echtzeit an und bespielt uns sofort wieder mit Content, den wir wirklich sehen wollen. Und genau darin steckt das ganze Problem.
Dies kann dazu führen, dass die Nutzer:innen immer mehr in ihren Feed eintauchen und länger auf der Plattform verweilen. Nicht umsonst verzeichnet TikTok allein in Deutschland einen Tagesdurchschnitt von 95 Minuten Nutzungsdauer pro Tag. Der ständige Strom neuer und ansprechender Inhalte kann es den Nutzer:innen zunehmend schwerer machen, sich von der App loszureißen, was logischerweise zum Anstieg der Bildschirmzeit, aber auch zu möglichen Suchtproblemen führen kann. Besonders junge Zielgruppen sind hier gefährdet. Dabei kann es zu nachhaltigen Schäden der Aufmerksamkeit und Konzentration kommen.
Natürlich kann jeder Social Media so konsumieren, wie er möchte. Doch besonders Eltern sollten regelmäßig darauf achten, dass die eigenen Kinder & Jugendliche nicht zu viel Zeit vor dem Smartphone verbringen.
Fazit
Der TikTok-Algorithmus trägt maßgeblich dazu bei, dass Nutzer:innen länger auf der Video-Plattform verweilen und sich durch personalisierte Ausspielung von Inhalten angezogen und unterhalten fühlen. Dabei macht nicht nur der TikTok- sondern auch die anderen Social-Media-Algorithmen einen sehr guten Job. Zusammenfassend kann man also sagen, dass der TikTok-Algorithmus zwar äußerst effektiv funktioniert, wenn es darum geht, Inhaltsempfehlungen zu personalisieren und die Nutzer:innen bei der Stange zu halten, aber es ist wichtig, sich der möglichen negativen Folgen bei übermäßigem Konsum bewusst zu sein. Beispielsweise können Nutzer:innen in einer „Filterblase“ gefangen werden und nur noch Inhalte sehen, die ihren Vorlieben entsprechen. Dies kann dazu führen, dass sie ausschließlich einseitige Informationen erhalten und weniger andere Perspektiven und Meinungen zu sehen bekommen. Es ist daher wichtig, dass Nutzer:innen auch bewusst andere Quellen und Perspektiven suchen und sich nicht nur auf die von TikTok empfohlenen Inhalte verlassen.
Insgesamt liegt es an den Nutzer.innen, verantwortungsvoll mit TikTok und anderen sozialen Medienplattformen umzugehen und die Kontrolle über ihre eigene Aufmerksamkeit zu übernehmen. Dies bedeutet, dass sie auch bewusst auf die möglichen negativen Folgen der Nutzung von TikTok achten und diese berücksichtigen sollten.
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