BE.LIKE.ME. Social Media und ich 

Chancen und Herausforderungen sozialer Netzwerke

Die Stiftung Welt der Versuchungen widmet sich in ihrer zweiten Ausstellung in Erfurt dem allgegenwärtigen Thema Social Media und dessen Einfluss auf unser Leben. Von Facebook über Instagram bis TikTok – soziale Netzwerke prägen unseren Alltag, bieten Chancen, bergen aber auch Risiken. Die Ausstellung beleuchtet, wie Likes, Algorithmen und der Wunsch nach Anerkennung unser Verhalten beeinflussen können und zeigt dabei auch suchtähnliche Tendenzen auf. Besonders im Fokus stehen junge Menschen und ihre Auseinandersetzung mit Themen wie Selbstwahrnehmung, FOMO (Fear of missing out, die Angst etwas zu verpassen) und digitaler Balance. Die Schau “BE.LIKE.ME. Social Media und ich” gewährt am Anger 28/29 in Erfurt einen spannenden Einblick in die Schnittstelle zwischen moderner Technologie und menschlicher Psyche. Wir trafen Kuratorin Dr. Susanne Rockweiler zum anregenden Austausch über die Idee hinter der Ausstellung und ihre Perspektive auf das dualistisch geprägte Thema Social Media.

Noch bis zum 15. November läuft die Ausstellung BE.LIKE.ME. Social Media und ich in Erfurt, Foto: THAK.

Wie entstand die Idee zur Ausstellung BE.LIKE.ME. und welches zentrale Anliegen verfolgt ihr mit dieser Schau?

Erste Überlegungen entstanden während unserer ersten Ausstellung vor einem Jahr in der Defensionskaserne in Erfurt, die sich mit der Frage beschäftigte: „Was suchen wir im Nachtleben?“ Die Antworten reichten von der Suche nach Kontakt bis hin zu einem “coolen Abend“ – oft durch den Konsum von Alkohol, anderen Substanzen oder durch Musik und Tanzen. Dort gab es auch die Idee einer großen Matrix, in der Besucher:innen ihre Abhängigkeit von verschiedenen Konsummustern einordnen konnten, was spannende Diskussionen auslöste – unter anderem über Social Media. Es wurde deutlich, wie sich mediales Verhalten verwandelt und mit Abhängigkeit zum Teil bewusst assoziiert wird.

Mit der Ausstellung BE.LIKE.ME. Social Media und ich möchten wir Suchtprävention in einem neuen Kontext und über verschiedene Medien vermitteln. Unsere konzeptionellen Säulen sind dabei Wissenschaft und Kunst. Seit vielen Jahren beschäftigen sich interdisziplinäre Wissenschaftsteams, Künstler:innen und Kreative mit den Sozialen Medien, Algorithmen und Künstlicher Intelligenz. Unser Ziel ist es, Bewusstsein für eine Nutzung von Social Media ohne negative Folgen zu schaffen. Deshalb involvieren wir Besuchende und lassen sie in die Kunstwerke eintauchen, vieles selbst ausprobieren oder sich in Studien einordnen. Wir bieten einen Raum für Austausch und Vertiefungsebenen, was wir durch begleitende dialogische Führungen, offene Diskussionen und Filmabende ermöglichen.

Warum war es euch wichtig, eine Plattform zu schaffen, auf der Besucher:innen auf Augenhöhe über die Chancen und Risiken von Social Media diskutieren können?

Wir bemerken in der Gesellschaft, dass es immer mehr asynchrone Kommunikation gibt – Posts und Kommentare lösen den echten Dialog mehr und mehr ab. Mit unserer Ausstellung möchten wir Menschen wieder ins Gespräch bringen und voneinander lernen. Deshalb bieten wir z.B. sonntags Führungen an, um aktiv mit den Besucher:innen ins Gespräch zu kommen. Hier entsteht ein wertvoller Austausch, der uns auch im Team bereichert. Gerade bei Schulklassen mit jungen Social-Media-Nutzer:innen hat dies für alle Teilnehmende einen Mehrwert. Verschiedene Kunstwerke und Installationen regen dabei zu Diskursen über Echokammern und Algorithmen an, wie wir von Social Media überflutet, aber auch beeinflusst werden und wie wir uns von diesem Sog auch wieder “detoxen“ können. Gleichzeitig möchten wir eine Perspektive auf die Chancen von sozialen Netzwerken richten. Die Werke in der Ausstellung machen diese Dualität zusätzlich sichtbar.

„Ich merke zunehmend, dass wir uns gesellschaftlich mehr austauschen müssen. Diese Einbahnstraßen von Posts und Kommentaren – das ist kein echter Kontakt, keine wirkliche Kommunikation. Oft ist es nur asynchrone Kommunikation, reduziert auf Herzen oder Symbole, die keinen Dialog fördern. Unsere Stiftung möchte, dass wir wirklich ins Gespräch kommen und voneinander lernen“

Soziale Medien bieten enorme Chancen für Kreativität und Selbstausdruck, bergen aber auch Risiken wie Abhängigkeit. Wie gehen die ausgestellten Werke mit diesem Spannungsfeld um?

Sehr unterschiedlich. Einige Arbeiten thematisieren den Druck, der durch Social Media entsteht – etwa durch die ständig präsenten Schönheitsideale oder das Streben nach Anerkennung durch Likes. Andere Werke betonen die Notwendigkeit von echtem, analogen sozialen Kontakt und stellen sich die Frage, wie stark unser Leben von der digitalen Welt beeinflusst wird. Wie die Arbeit von Volker März, ein riesiges Mobile aus Tonfiguren. Die Figurengefüge versinnbildlichen das Bedürfnis des Menschen nach sozialer Zugehörigkeit und physischem Kontakt. Wir sind soziale Wesen, angewiesen auf die Gemeinschaft, die Freundschaft und Zugewandtheit anderer Menschen. An dieses Bedürfnis dockt Social Media an, das den sozialen Austausch in den digitalen Raum als Konzept eingebracht hat. Wie viele analoge Freunde habe (und brauche) ich, wie viele digitale? Was markiert die Unterschiede zwischen einem analogen sozialen Gefüge und Zugehörigkeit im Digitalen? Und was passiert, wenn soziale Beziehungen im On- und Offline ins Ungleichgewicht geraten?

Ein weiteres Beispiel sind die Bilder von Anaïs Goupy. Sie sehen aus wie Gemälde, sind aber KI-generierte Collagen und setzen sich mit dem Schönheitsideal auf Social Media ausienander. Sie zeigen sekundäre Geschlechtsmerkmale der “Mütter“ der ersten und zweiten Generation der Influencer:innen Kim Kardashian, Kylie Jenner und Bella Hadid. Zu sehen sind anthropomorphe Formen aus Selfies und Fotos von ihren Social-Media-Accounts, die am meisten Zuspruch bei den Follower:innen fanden. Sie hinterfragen, wie stark Social Media unser Bild von Schönheit und Körperlichkeit beeinflusst in einem Medium, das komplett a-körperlich ist. Millionen von Menschen gehen täglich auf die Accounts von Kim, Kylie oder Bella. Sie vergleichen sich mit ihnen, besonders junge Menschen. Das hat Auswirkungen auf die eigene Körperwahrnehmung und gesellschaftliche Bild vom Schön-Sein. Wissenschaftliche Studien zeigen einen Zusammenhang zwischen Instagram-Posts und dem Interesse an plastischer Schönheitschirurgie bei 18- bis 30-Jährigen. 

Zudem haben wir einen TikTok-Raum installiert, der von Marc Lee gestaltet wurde. Auf drei Projektionswänden wird der Inhalt von lokalen und internationalen TikTok-Accounts gestreamt, gleichzeitig und vergrößert, wodurch eine eindrucksvolle und direkte Erfahrung für das Publikum entsteht. Die Installation ist in Bild und Ton immersiv und schafft eine Sogwirkung, wie beim Social-Media-Konsum, die in diesem Raum körperlich und mental nachvollziehbar wird. Hier erleben die Besucher:innen hautnah, wie Social-Media-Inhalte unaufhörlich “angespült“ werden. Über die gestreamten Bilder blendet Lee kommentierende Fragen ein. 

Weitere Künstler:innen der Ausstellung sind Jeppe Hein, Jonas Lund, Maria Mavropoulou, Erwin Stache, Paula Wolber, Faina Yunusova, Bettina Zachow sowie die drei gemeinsam arbeitenden Künstler des ZKM (Zentrum für Kunst und Medien, Karlsruhe) Bernd Lintermann, Florian Hertweck und Peter Weibel, die mit facettenreichen Perspektiven den Umgang mit Social Media auf unterschiedliche Art beleuchten.

Ihr plant am 15. Oktober mit Influencer:innen einen Social-Media-Walk, der zum Netzwerken, vor allem jedoch zum Austausch über die Inhalte der Ausstellung anregen soll. Wie siehst du die Rolle von Influencer:innen als Vermittler:innen zwischen Produkten, Inhalten und einem breiteren Publikum?

Ich sehe es ambivalent. Einerseits habe ich großen Respekt vor Influencer:innen, die ihr Leben öffnen und kontinuierlich professionelle Inhalte für Nutzer:innen produzieren. Das ist ein ernstzunehmender Berufszweig, der mit viel Expertise und Zeit verbunden ist. Andererseits entsteht hier eine Verbindung, die wir als “parasoziale“ Beziehung zu ihrem Publikum bezeichnen. Folge ich jemanden eine Weile, kommt das Gefühl auf, als würde man die Person schon lange kennen, als wären sie Vertraute, zum Teil auch enge Freund:innen. Influencer:innen vermitteln oft ein Bild, das junge Menschen glauben lässt, sie könnten dieses Leben – wie das in den dargestellten Posts und Stories – ebenfalls erreichen. Besonders das vermittelte Körperbild in den sozialen Medien dringt tief in uns ein, obwohl der Körperbau meist genetische Veranlagung ist. Dennoch suggerieren sie: ‚Follow me, and be like me‘ – wenn du mir folgst und meinen Tipps, kannst du auch so werden wie ich. Diese Dynamik kann problematisch sein. 

Viele Influencer:innen sind sich jedoch ihrer Verantwortung bewusst. Uns ist es deshalb ein Anliegen, mit ihnen gemeinsam kritisch über das vermittelte Bild nachzudenken. Wir möchten ja nicht nur über Social Media-Nutzer:innen – und hier meine ich sowohl Follower:innen als auch Content Creator:innen – sprechen, sondern auch mit ihnen. Es geht uns darum, einen Schritt zurückzutreten und sich gegenseitig Fragen zu stellen wie: Was ist Social Media und was suchen wir dort? Welche Rolle spielen Influencer:innen bei der Identitätsbildung von jungen Menschen? Oder: Wie wird ihr Privatleben kommerzialisiert? Es gibt auch Influencer:innen, die ihre Stimme nutzen, um auf wichtige Themen, wie Nachhaltigkeit oder Demokratie aufmerksam zu machen und das ist eine positive Entwicklung, die wir ebenfalls thematisieren. Wir möchten mit den Influencer:innen auch über eigene Detox-Möglichkeiten sprechen, denn dreimal täglich eine an- und aufregende Story zu posten, kann sehr fordernd sein.  

„Kunst bietet ein visuelles Narrativ, sodass wir uns nicht durch unzählige Informationen arbeiten müssen“

Welche Zielgruppen möchtet ihr mit BE.LIKE.ME. besonders ansprechen, und welche Botschaft hofft ihr, dass die Besucher:innen mit nach Hause nehmen?

Unser Fokus liegt vor allem auf jungen Menschen, obgleich die Ausstellung alle anspricht, denn Social Media betrifft uns alle. Fast jede:r besitzt ein Smartphone und das Phänomen der ständigen Erreichbarkeit prägt unsere heutige Gesellschaft. Besonders die Frage, wie sehr uns die Nutzung der sozialen Medien beeinflusst, ist zentral. Wir möchten die Besucher:innen dazu anregen, sich kritisch mit ihrem eigenen Medienverhalten auseinanderzusetzen und eine Balance zwischen digitalem und analogem Leben zu finden.

Auf zwei Etagen können Besucher:innen die Ausstellung erkunden, Foto: THAK.

Wie verlief der kuratorische Prozess, und welche Aspekte haben dich dabei besonders gefordert oder inspiriert?

Der Bereich Medienbildung ist enorm wichtig und wird aktuell immer bedeutender – daher bin ich froh und auch ein wenig stolz, dass Thüringen als erstes Bundesland dieses Fach ab der 7. Klasse verpflichtend in diesem Schuljahr eingeführt hat. Das sind proaktive Schritte, um mit unserem Medienkonsum bewusst umgehen zu lernen. Auch in der Präventionsarbeit ist Thüringen mit einer starken Vorreiter:innenrolle führend. Wichtig ist uns als Stiftung, bei der Ausstellung einen innovativen Ansatz für eine moderne Medienbildung zu verfolgen, indem wir das auf den ersten Blick sperrige Thema Suchtprävention mit Wissenschaft und Kunst verbinden. 

Der Prozess beginnt daher mit der aktuellen Forschungsgrundlage. Es gibt eine Fülle an Material. Die Studienlage, insbesondere zu sozialen Medien ist uneinheitlich, weil es ein noch junges Phänomen ist: das erste Smartphone kam 1996 auf den Markt, Facebook gibt es seit 2004, Instagram seit 2010 und TikTok seit 2014. Wir arbeiten mit unserem Wissenschaftlichen Beirat, hier insbesondere mit Matthias Brand der Universität Duisburg-Essen, die aktuell daran forschen. Unsere Ausstellung greift diese Uneinheitlichkeit auf, denn durch die künstlerischen Positionen schaffen wir bewusst einen Raum zum Nachdenken und Hinterfragen. Dadurch kommen viele mit sich ins Gespräch oder wir bei Führungen miteinander. Kunst bietet ein visuelles Narrativ, sodass wir uns nicht durch unzählige Informationen arbeiten müssen. Jede künstlerische Arbeit erzählt eine kurze, prägnante Geschichte und schafft eine persönliche Verbindung. Neben Forschenden haben wir uns intensiv mit den Künstler:innen ausgetauscht. 

Mit diesen Grundlagen konnten wir eine partizipative und interaktive Ausstellung kreieren, in der sich Besucher:innen aktiv mit den Themen auseinandersetzen können. Es ist uns ein Anliegen, dass die Inhalte der Ausstellung nachhaltig wirken und Besucher:innen mit neuen Erkenntnissen und Fragen nach Hause gehen und vielleicht ihren Umgang mit Social Media reflektieren. Der Zuspruch ist groß. Deshalb haben wir die Schau nun bis 15. November verlängert. Wir planen darüber hinaus einmal im Jahr eine Ausstellung in dieser Art zu unterschiedlichen Suchtpräventionsthemen. Die Ausstellungen werden von der Hochschule Emden evaluiert. Dadurch bekommen wir wertvolle Erkenntnisse, welche Konzepte greifen und interaktive Wege bei Besucher:innen ankommen. Hierbei sind wir auch offen für neue Ideen aus der Thüringer Kreativwirtschaft.


BE.LIKE.ME. Social Media und ich

Ausstellungsort: Anger 28/29, Eingang Lachsgasse
Laufzeit: 16. August bis 15. November 2024Öffnungszeiten: täglich (außer Dienstag) von 11.00-18.00 Uhr, Donnerstag bis 20.00 Uhr

Kontakt

Stiftung Welt der Versuchungen
Schillerstraße 24, 99096 Erfurt
Mail: info@welt-der-versuchungen.de
Instagram: @weltderversuchungen

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Nina Palme

Kommunikation

0151 / 1290 4638

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