Spielerisch Kundschaft binden

Gamification als Methode

Inklusive einem Interview mit Game Thinking-Experte Christoph Brosius

Game Designer und Designerinnen gestalten motivierende Erfahrungen, die Spaß machen und den Spielenden ohne Mühe an das Spiel binden. Wenn das für Games funktioniert, dann sollten Elemente hiervon auch auf Kontexte jenseits der Games übertragbar sein. Genau das versucht Gamification zu leisten. Wie lässt sich also die Methode auf Produkte und Prozesse im betrieblichen Alltag übertragen? Und: Wie lassen sich Kunden und Kundinnen länger durch Gamification binden? In diesem Wissen:teilen-Beitrag werden Interessierte in das Thema Gamification grundlegend eingeführt und erfahren, wie und wo sich Gamification anwenden lässt. Abschließend beantwortet uns Game Thinking-Experte und Mitgründer der Game Thinking Agentur “Die Hobrechts” sowie Geschäftsführer des E-Mental-Health Entwicklers “Circumradius” Christoph Brosius, welche Bedeutung Gamification für den unternehmerischen Kontext einnehmen kann und welche Rolle Gamification in seinem eigenen Leben spielt.

Christoph Brosius zum THAK Workshop Gamification im PhilosophenPalais in Jena 2019.

1. Gamification – Was ist das?

“Gamification ist die Übertragung von spieltypischen Elementen und Vorgängen in spielfremde Zusammenhänge mit dem Ziel der Verhaltensänderung und Motivationssteigerung bei Anwenderinnen und Anwendern.” Soweit die Definition von Wirtschaftsinformatiker und Professor Oliver Bendel. Ziele der Methode sind Motivationssteigerung und Verhaltensänderung. Ihren Ursprung hat Gamification in der Unterhaltungsindustrie und im Werbebereich und gewinnt seit den 2010er Jahren mehr und mehr an Bedeutung für andere Branchen, wie der Modeindustrie, Online-Shops, betriebliche Anwendungen aller Art und in Lernumgebungen. Die Lust am Spiel spielt beim erfolgreichen Einsatz von Gamification-Mitteln eine entscheidende Rolle. Zudem ist es wichtig, dass die spielerischen Elemente und Prozesse stimmig und passgenau für die Zielgruppe entwickelt und platziert werden.

Spielen macht Spaß und spricht menschliche Wesenszüge wie die Lust am Entdecken, den Wettkampfwillen, individuellen Ausdruck und Gestaltung sowie Kollaborationen mit anderen “Spielenden” beziehungsweise Kunden und Kundinnen an. Wie Gamification Unternehmen verändern kann, welche Expertisen dafür benötigt werden und auf welche Art und Weise spielerische Elemente in den unternehmerischen Kontext implementieren werden können, lesen Sie im folgenden Abschnitt.

2. Gamification im unternehmerischen Kontext: Was und wen braucht es dafür und wie kann das in der Praxis aussehen?

Entdeckung, Wettkampf, Gestaltung, Kollaboration – welche Art der Gamification passt zu meiner Zielgruppe, meinem Produkt, meiner Idee, meinem Ziel? Bei der Analyse der passenden Gamification-Strategie hilft es zunächst, die Schnittmenge der sogenannten Business Goals und der dazugehörigen User Goals herauszukristallisieren. Auf Basis dieser Ergebnisse lassen sich unternehmerische Ideen “gamifizieren”.

Beispiele für Business Goals, die Organisationen gern durch Gamification erreichen möchten:

“Raising”
Erhöhung der Aktivität und Anzahl der User und Userinnen.

“Virality & Brand Awareness”
Steigerung des viralen Marketings und dadurch der Aufmerksamkeit für das Unternehmen.

“Retention & Product Loyalty”
Bindung von Kunden und Kundinnen an Unternehmen, Produkt und Marke.

“Social Engagement”
Steigerung der Aktivität in Gruppen und Netzwerken.

“Revenue and Monetization”
Steigerung der Umsätze.

“Onboarding”
Die Einführung in einen Prozess oder ein Produkt für den User oder die Userin strukturierter, transparenter und erfüllender gestalten.

Nutzer und Nutzerinnen haben immer ein primäres Bedürfnis, dass befriedigt werden möchte. Wenn das nicht unmittelbar zu den Zielen der Organisation passen sollte, dann greift spätestens jetzt die Segmentierung in Motiviationstypen der Gamer. Ein Modell hierfür kommt von Nicolle Lazzaro:

“Hard Fun”

Spielen, um zu gewinnen: Das gute Gefühl, Herausforderungen zu meistern, die Meisterschaft zu erlangen, gegen andere anzutreten (und sich zu vergleichen) sowie positiven Stress erleben. Fortnite, Guitar Hero oder Schach zum Beispiel.

“Serious Fun”

Spielen zum Abschalten: Serious Fun Gamer möchten visuelle Sensationen erleben und die Kontrolle behalten, während sie auf der Suche nach unerwarteten Überraschungen Langeweile unbedingt vermeiden möchten. Candy Crush ist hier die App der Wahl an jeder Haltestelle.

“Easy Fun”

Spielen, um zu erkunden: Easy Fun Games liefern neues zum Entdecken und können die Lust am Sammeln und Vervollständigen befriedigen. Das Erleben einer neuen Geschichte ist ebenfalls motivierend für diese Gruppe. Minecraft ist hier ebenso zu nennen, wie das Lesen eines Romans.

“People Fun”

Spielen, um Kontakte zu knüpfen: People Fun Gamer möchten sich als Teil einer Gemeinschaft fühlen, zu einem gemeinsamen höheren Ziel beitragen, anderen helfen und kooperieren. Doppelkopf oder World of Warcraft – beides bringt Menschen zusammen.

Das Ziel ist das Finden von Bereichen, in denen die Ziele der Organisation sich mit denen der Nutzenden in Deckung bringen lassen können. Erst dann kann an konkreten Interaktionsangeboten gearbeitet werden, die positive Emotionen bei den Nutzenden erzeugen sollen. Beispiele aus der Praxis zeigen, was bereits erfolgreich angewendet wird:

  1. XING und LinkedIn nutzen für die Motivation zur Profil-Vervollständigung einen Fortschrittsbalken. Unvollständigkeit nervt viele Menschen, weshalb hier der Drang nach Vollständigkeit für die Daten-Komplettierung auf der Plattform spielerisch genutzt wird. „Wetten, dass du es nicht schaffst dein Profil zu vervollständigen?“ – Hard Fun in Reinkultur.
  2. Wie bekomme ich Kunden und Kundinnen dazu, während der Benutzung der Waschanlage aus dem Auto auszusteigen? Wie wäre es mit Spielen für Kinder außerhalb der Waschanlage, während die Eltern im angrenzenden Shop Duftbäumchen und Co kaufen? Serious Fun für das Warten auf das saubere Auto.
  3. BahnBonus Card: Die Bahn möchte, dass mehr und öfter gefahren wird. Bahnkunden und -kinnen möchten gerne den BahnComfort Status oder die nächsten Meilenprämie erreichen. Easy Fun.
  4. Gamification für interne Prozesse: Beim LEGO® SERIOUS PLAY® können unternehmerische Ideen und Visionen spielerisch im Team erarbeitet werden. People Fun, bei dem Spielzeug zum Werkzeug wird.

4. ”Das spielerische Element lässt mich nicht mehr los” – im Interview mit Christoph Brosius

Spielerische Komplexitätsreduktion durch Game Thinking ist Christoph Brosius‘ Thema. Dabei nutzt er seine 20-jährige Erfahrung in der Kreativwirtschaft, von der Arbeit in der Druckerei der Eltern, über die Lehre zum Werbekaufmann bei Grey Worldwide, der Arbeit als Regieassistent und Aufnahmeleiter für TV und Hollywood-Kino bis hin zur Ausbildung zum Producer für Computer- und Videospiele. Wir haben Christoph zum Interview getroffen:

1. Warum sollte man sich als Unternehmen mit Gamification beschäftigen?

Aktuell ist eine Generation herangewachsen, die mit Video-Spielen groß geworden ist. Durch diesen Einfluss wurde die Erwartungshaltung dieser Generation an ihr gesamtes Lebens- und Arbeitsumfeld stark geprägt: Sie sind sehr empfänglich dafür, ihr Verhalten verändern zu lassen – was wiederum im Spiel Gang und Gäbe ist.

Spieleentwicklerinnen und Game Designer sind den ganzen Tag damit beschäftigt, Szenarien zu entwickeln, die ihnen selbst, aber auch anderen Spaß bringen sollen. Unternehmen sind also gut beraten, diese Motivationen in ihre Vorhaben mit einzubeziehen: Produkte und Angebote, die ihnen selbst und potenziellen Kunden sowie Bestandskundinnen Spaß machen. Denn wenn man die Lust am Spiel auf Dinge jenseits der Gaming-Welt anwendet, können riesige, vor allem wirtschaftliche Potenziale freigesetzt werden. Man kann hierdurch Menschen spielerisch dazu motivieren, Dinge zu tun, die im eigenen unternehmerischen Interesse liegen.

2. Was unterscheidet die Anwendung von Gamification im Vergleich zu herkömmlichen Marketingmaßnahmen?

Mit dem Einsatz von Gamification kann ich mit weniger (finanziellen) Mitteln nachhaltiger wesentlich mehr erreichen. Hier muss ich potenzielle Kunden und Kundinnen nicht überreden, etwas zu kaufen, sondern biete substanzielle Mehrwerte, die von vornherein gewollt waren. So wird ein tieferes Verständnis für die Zielgruppe resultiert, die ich als Unternehmen erreichen möchte. Game Designer und Designerinnen sollten daher wie Grafik-, Industrie- und Produktdesigner und -designerinnen fester Bestandteil von Teams sein. Die psychologischen und gestalterischen Expertisen, die Spieledesigner und -designerinnen mitbringen, werden zunehmend elementarer für den Entwicklungsprozess von Produkten und Dienstleistungen. Das Potenzial dieses Teilbereichs der Kultur- und Kreativwirtschaft wird nun von Unternehmen mehr und mehr entdeckt. Aber auch für die Games-Branche sind cross-sektorale Kollaborationen mit anderen Industriezweigen und Bereichen wichtig, um sich zu entwickeln und um gewohnte Gefilde zu verlassen.

3. Welche Rolle spielt Gamification in deinem eigenen Leben?

Ich habe vor ein paar Jahren angefangen, mein eigenes Leben als Spiel zu betrachten, mir Ziele als Challenges gesetzt, mein Umfeld und mich selbst mehr und mehr individualisiert, mir erwählt, wo ich – mein “Avatar” – leben will. Für mich sind viele Bereiche des normeln Lebens unmotivierend gestaltet worden. Wenn zum Beispiel meine Steuererklärung ein Spiel wäre, dann hätte ich schon lange aufgehört es zu spielen. Irgendwann möchte ich meine Erfahrungen in einem Buch festhalten. Bis dahin teile ich mein Wissen über Gamification in Vorträgen und Workshops für Unternehmen und Teams.

Sie haben Lust bekommen mehr über die Anwendung von Gamification zu erfahren und Christoph Brosius live Ihre Fragen zu stellen? Dann melden Sie sich zu unserem THAK Workshop am 5. Mai zum Thema “Spielerisch gelöst – Wie Gamification das Umweltbewusstsein schärft” an. Referent Christoph Brosius bringt den Teilnehmenden von 9.30 bis 13.00 Uhr Anwendungsmöglichkeiten am Beispiel der Circular Economy näher und erklärt, wie Gamification in den eigenen Arbeitskontext eingebunden werden kann. Das Erlernte wird im Anschluss bei der Erarbeitung eigener Projektideen vertieft.

Die Teilnahme ist kostenlos. Die Anzahl der Teilnehmenden ist begrenzt. Anmelden kann man sich über unsere Webseite.

4. Tipps zum Weiterlesen von Christoph:

„Ein Vorgehensmodell für angewandte Spielformen“ (Ralf Schmidt, Christoph Brosius & Katja Herrmanny), Springer Verlag

Ein Vorgehensmodell für angewandte Spielformen

Game Design und Gamification im Publishing

Game Thinking-Experte Christoph Brosius.

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