Pop-up-Kultur trifft Freibadflair

Im Interview mit Ronny Lessau

Ronny Lessau ist nicht nur Gründer der KreativTankstelle in Erfurt, sondern auch ein Visionär für temporäre Kulturorte, die weit über klassische Veranstaltungsräume hinausgehen. Ob WirGarten, Stadtgarten, KreativGarten oder Freibad: Mit seinem Team schafft er kreative Begegnungsräume, die Kunst, Musik, Gastronomie und Gemeinschaft auf überraschende, nachhaltige und inklusive Weise verbinden. Wir haben ihn zum Gespräch im Dreibrunnenbad (3er) getroffen, das er mit seinem Team seit letztem Sommer kulturell unter dem Namen “Dein.Brunnenbad” bespielt. Wir sprachen über Herausforderungen und Glücksmomente, über seine Vision für die Zukunftsorte der Stadt und die Kraft kultureller Zwischennutzung.

Was hat dich dazu inspiriert, Kultur an ungewöhnliche Orte wie ein Freibad zu bringen?

Die Inspiration entstand aus meiner Begeisterung für lebendige, vielschichtige Orte, die weit über ihre ursprüngliche Nutzung hinausgehen. Ich bin vor 10 Jahren für die Gestaltung des Erfurter WirGartens nach Erfurt gekommen – ein Ort, an dem Gastronomie, Kultur und sogar eine Baustelle ganz selbstverständlich ineinander griffen. Wir haben damals ein brachliegendes Baugrundstück bis zum Baustart zwischengenutzt. Inspiriert hat mich ein ähnliches Projekt, das ich aus Berlin kannte. Das organische Zusammenspiel und der Mehrwert, der dadurch entsteht, haben mich nachhaltig beeindruckt. Gerade bei Orten, die zuvor als unattraktiv, unfertig oder tot galten, reizt es mich besonders zu zeigen, dass auch diese Orte funktionieren können. 

“Kultur braucht Raum, der über Wände hinausgeht. Im Freien entstehen Begegnungen, die in geschlossenen Räumen oft an ihre Grenzen stoßen. Dort, zwischen Sonnensegeln und Bühnen, wird jeder Ort zu etwas Besonderem.“

Wie kam das Projekt mit dem Dreienbrunnenbad in Erfurt zustande?

Ich arbeite gerne projektbezogen und entwickle immer neue Visionen, die sich an die jeweiligen Bedürfnisse des Ortes, der Gäste und des Umfelds anpassen. Das Kreativprojekt Dein.Brunnenbad im 3er entstand über eine Ausschreibung für das historische Freibad Dreibrunnenbad in Erfurt, bei der ich ein Konzept einreichte, das Gastronomie und Kultur vereint. Durch unsere Projekte wie den WirGarten und den KreativGarten, den wir für die Erfurter BUGA auf dem Petersberg gestaltet hatten, konnten mein Team und ich auf viele Jahre Erfahrung mit Pop-up-Orten zurückgreifen. Das Konzept überzeugte, und obwohl der Start ursprünglich für 2023 geplant war, konnten wir 2024 in Hochheim zeigen, dass auch ein Freibad in einem Randgebiet Erfurts ein lebendiger Kulturort sein kann. Mit Tagesfestivals, Flohmärkten, Yoga-Sessions und Konzerten bringen wir seither Leben, Austausch und Kreativität an einen Ort, der vorher kaum Beachtung fand.

„Dein.Brunnenbad“ – ein kreatives Konzept aus Gastronomie und Kultur, entstanden für das historische Dreibrunnenbad in Erfurt, Foto: Mango K. Fotografie.

Wie kann Kultur an Alltagsorten wie einem Freibad neue Perspektiven schaffen und bestehende Räume kreativ transformieren?

Mich reizt an der Verbindung von öffentlichem Raum und kulturellem Erlebnis vor allem das enorme Potenzial, das oft ungenutzt bleibt – wie im Fall des 3ers, das ursprünglich nur durch das Engagement des Fördervereins erhalten wurde. Dieses kleine “Schmuckkästchen“ Erfurts wurde nicht nur saniert, sondern durch die Zusammenarbeit mit der Stadtgesellschaft und uns engagierten Partner:innen zu etwas Größerem: einem Ort, der mehr als nur ein klassisches Freibad ist. Für mich ist es ein besonderer Anreiz, hier nicht nur Gastronomie anzubieten, sondern die Geschichte des Ortes aufzugreifen und ihn kulturell neu zu beleben – auch über die Saison hinaus.

Ich sehe große Synergien darin, Kultur dorthin zu bringen, wo man sie vielleicht nicht erwartet. Das eröffnet ganz neue Erlebnisebenen für Besucher:innen aller Altersgruppen, Schichten und Interessen: Ein Leseabend, ein kleines Konzert oder ein Illuminationsfestival im Freibad schaffen einen völlig neuen Zugang zum Ort und geben ihm eine zweite Bedeutungsebene. Gerade weil das große Wiesenareal außerhalb der Saison sonst ungenutzt bleibt, liegt hier meiner Meinung nach eine besondere Chance. Ich finde einfach, wir dürfen Orte in der Stadt nicht siloartig betrachten – ein Freibad muss nicht nur ein Freibad sein. Warum nicht auch einen Design- und Trödelmarkt oder eine Yoga-Session dort anbieten?

Diese Ideen in die Realität zu bringen und die Menschen davon zu überzeugen, ist die Herausforderung, die mich antreibt. Ich freue mich besonders auf Formate wie unseren “Flowmarkt“ am 3. Mai, wo es neben Ständen mit lokalen Künstler:innen auch Yoga und Musik geben wird oder das “Kulturbaden”-Tagesfestival am 10. Mai mit Musiker:innen wie Benno Bounce. Warum? Weil ich daran glaube, dass genau solche Kombinationen aus Alltag und Kultur wunderbar funktionieren können und ein breites Publikum anziehen. 

Ich habe schon weitere Ideen: Vielleicht lassen sich künftig sogar die Umkleidekabinen als kleine Ateliers umnutzen – gerade im Herbst eine schöne Gelegenheit, um lokale Künstler:innen sichtbarer zu machen. Natürlich begegnet man dabei auch Skepsis. Aber ich bin überzeugt, dass sich der Einsatz für diese Art von Zwischennutzung lohnt und kulturellen Mehrwert für alle Beteiligten bietet: den Stadtwerken, den Besucher:innen, uns als Team und der hiesigen Kreativwirtschaft.

“Kultur darf kein Beiwerk sein – sie muss Anlass genug sein. Gerade im Freibad trifft Vielfalt auf Alltag und genau so entsteht ein echter gesellschaftlicher Mehrwert – durch Begegnungen, Synergien und ein neues Verständnis für Kultur.“

Was braucht es, damit ein temporärer Kulturort wie das 3er nicht nur funktioniert, sondern sich auch nachhaltig in die Stadtgesellschaft integriert?

Unser Ziel ist es, Kultur, Gastronomie und Begegnung an einem Ort zu vereinen. Damit das funktioniert, braucht es Engagement, gute Ideen, ein starkes Team und natürlich ein kreativwirtschaftliches Geschäftsmodell. Wichtig ist zudem ein feines Gespür für den Ort: Das 3er ist ein Freibad. Als solches bringt es besondere Herausforderungen wie barfuß laufende Gäste, ökologische Aspekte und städtische Auflagen mit sich. Hier braucht es clevere Lösungen wie Recup-Becher statt Glas und eine enge Abstimmung mit den Stadtwerken, die das Bad betreiben. Deshalb spielen auch Vertrauen und Kooperation eine zentrale Rolle, damit sich solche Konzepte nachhaltig integrieren. 

Eine der größten Herausforderungen ist, dass wir aber weit mehr leisten wollen als nur Kultur: Unser Geschäftsmodell basiert vor allem auf Gastronomie – Kultur ist oft ein freiwilliges Angebot, nur bei größeren Events nehmen wir einen kleinen Eintritt. Wir übernehmen ja auch ein Stück Grundversorgung – mit einem kulinarischen Angebot, das über Pommes hinausgeht. Und: Wer langfristig arbeiten will, braucht außerdem Lagerflächen für Materialien – so können Ideen weiterziehen und Pop-up-Orte nachhaltig wachsen. Demnach bedarf es hier guter Planung, damit alles im guten Zustand bleibt und langfristig genutzt werden kann. Letztlich geht es uns darum, kreative Dinge zu schaffen, die wir selbst lieben und echten Impact für die Stadt generieren – mit Künstler:innen aus Thüringen und darüber hinaus, spannenden Konzepten und ganz viel Lust auf Gemeinschaft, an der alle niedrigschwellig und barrierefrei teilhaben können.

Für welche Orte sind derartige Pop-up-Konzepte geeignet?

Solche Pop-up-Konzepte funktionieren besonders gut an Orten, die eine gewisse Offenheit mitbringen – räumlich, atmosphärisch und im Umgang miteinander. Es kommt darauf an, was ein Ort bietet und was es braucht, um Visionen an die Gegebenheiten und Bedürfnisse vor Ort anzupassen, inklusive der zeitlichen Komponente: Saisonzeiten, Wetter, Dauer der Nutzung. In Erfurt ist das Potenzial für Zwischennutzung begrenzt, daher lohnen sich Formate, die über einige Wochen oder eine ganze Saison bestehen können. Die Motivation sollte nicht im schnellen Geld liegen, sondern in den persönlichen Glücksmomenten, die entstehen, wenn man sieht, was man gemeinsam schafft. Klar spielt auch wirtschaftlicher Erfolg eine Rolle, aber der entsteht nur auf einer Basis aus Leidenschaft, Geduld und dem richtigen Publikum. 

Hast du schon Ideen für neue Orte oder Konzepte, die du unbedingt ausprobieren möchtest?

Ja, es gibt definitiv schon neue Ideen, die ich gerne umsetzen oder weiterentwickeln würde. Eine Vision, die mich besonders reizt, ist ein Seefreibad. Tagsüber würde dort der klassische Badebetrieb mit Gastronomie laufen, abends verwandelt sich der Ort in eine atmosphärische Bar am Wasser mit Musik, Licht und einer besonderen Stimmung. Solch ein Szenenwechsel zwischen Tag und Nacht bietet enormes Potenzial. Das würde ich gerne ausprobieren.

Grundsätzlich wünsche ich mir mehr Orte mit einer breiten gesellschaftlichen Akzeptanz – offen, inklusiv, tolerant und respektvoll im Umgang miteinander. Leider scheitern viele Ideen an Vandalismus oder mangelndem Vertrauen, was dazu führt, dass Orte lieber brachliegen als aktiv gestaltet zu werden. Deshalb ist es wichtig, dass solche Orte von Anfang an als Gemeinschaftsprojekte gedacht werden.

Ansonsten bekommen wir aktuell immer wieder Anfragen von Menschen oder Initiativen, die selbst noch keine Erfahrung mit kulturellen Zwischennutzungskonzepten haben und ähnliches wie wir entwickeln wollen. Bei solchen Projekten könnte ich mir künftig gut vorstellen, beratend tätig zu sein. Über die Jahre habe ich viel darüber gelernt, was funktioniert und wie man solche Formate kommuniziert, damit sie in der Öffentlichkeit ankommen. Für die Zeit nach dem Sommer wäre es möglich, andere Projekte zu begleiten – aber jetzt nutzen wir erstmal die Chance, die uns der aktuelle Pachtvertrag bietet.

Kontakt
Dein.Brunnenbad
Instagram: @dein.brunnenbad

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