Urban Design Thinking generiert Ideen für ungenutzte oder auch ungeliebte Orte – gemeinsam, kollaborativ und kreativ mit den Nutzenden vor Ort als Expert:innen des Alltags.
Laura Bruns hat die Methode des Design Thinking 2012 im Zuge ihrer Masterarbeit an der Zürcher Hochschule der Künste zum Urban Design Thinking weiterentwickelt und sich seither zusammen mit ihrem Team von stadtstattstrand, einem Büro für urbane Kommunikation, dem Thema kreativer Nutzung von Freiräumen in der Stadt verschrieben. Ihr Ziel? Alternative Stadtentwicklung salonfähig machen und für Möglichkeitsräume sensibilisieren.
Laura, was ist Urban Design Thinking?
Urban Design Thinking ist ein sechsstufiger Prozess, der sich aus dem Design Thinking-Prozess ableitet. Er zielt darauf ab, unsere Sehgewohnheiten, einen Ort oder Raum betreffend, aufzubrechen sowie die Potenziale des Ortes neu zu verhandeln. Im ko-kreativen Prozess wird ein Ort so mittels verschiedener Methoden der Raumanalyse untersucht sowie mögliche Nutzungsbedürfnisse und vorangegangene Probleme (Nicht-Nutzung des Ortes, Verwaisung, Meidung) sichtbar gemacht. Auf Grundlage der Einblicke wird zusammen mit einer Gruppe aus verschiedenen Akteur:innen, wie zum Beispiel Anwohner:innen, Stadtplaner:innen, Entscheider:innen aus der Politik und kreativen Ideengeber:innen, ein neues Nutzungskonzept entwickelt. Schließlich wird ein 1:1-Prototyp mit Hilfe verschiedener Werkzeuge und je nach Möglichkeit der vorhandenen Mittel direkt vor Ort getestet.
Wie kann man sich die einzelnen Schritte beim Urban Design Thinking vorstellen?
Man startet nie mit einer konkreten Frage, sondern mit einem Thema. Die erste Phase ist das “Verstehen”. Hier kommen die Leute zusammen, die den Ort und seine Entwicklung betreffen, um Herausforderungen des Ortes zu formulieren. Mit diesen geht man im Anschluss in den öffentlichen Raum, um Anwohner:innen, Stadtplaner:innen, Entscheider:innen aus der Politik und kreative Ideengeber:innen in kurzen Interviews zu ihren Perspektiven zu befragen. Das ist die „Empathie“-Phase. Mit den daraus gewonnenen Erkenntnissen geht es zurück in die Gruppe, in der alle Informationen geclustert und strukturiert werden. Aus dem Nebel der vielschichtigen Fragestellungen wird schließlich die Aufgabenstellung sowie die Kernfrage definiert (“Wie es sein könnte”-Phase), aus der das Prototyping am entsprechenden Ort resultiert.
„Aus dem Prototyping-Testing lässt sich das finale Konzept für die Ortsentwicklung filtrieren und festlegen. Schließlich kann dieses umgesetzt oder in ein Business-Modell übertragen werden. “
Hast du Best-Practice-Beispiele für das gelungene Anwenden der Methode?
In Berlin-Wedding haben wir zusammen mit einem Verein und Nutzer:innen vor Ort im Auftrag der Himmelbeet gGmbH, STATTBAU GmbH und des Evangelischen Friedhofsverband Berlin-Mitte ein neues Nutzungskonzept für eine ehemalige Friedhofsfläche umsetzen können. Hier ist durch den Urban Design Thinking-Prozess ein Urban Gardening-Konzept entstanden, das Nutzer:innen regelmäßig bespielen. Von einer Stadt in der Schweiz wurden wir zudem angefragt im ko-kreativen Prozess einen renovierten, jedoch ungenutzten Bahnhofsvorplatz zu entwickeln.
Mit stattstadtstrand sind wir aber vor allem vermittlerisch tätig und bieten Städten und Kommunen unser Wissen, unsere Erfahrungen sowie unser Netzwerk an, um Orte zu entwickeln oder weiterzuentwickeln. Hierfür gibt es bei uns Beratungen und Workshops, aber auch Veranstaltungen. 2021 haben wir zum Beispiel das Innovation Camp “UMPFLASTERN – Neue Wege zur lebendigen Innenstadt” in Kooperation mit dem Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes gestartet.
Fast drei Tage lang tüftelten über 500 Teilnehmende an neuen Ideen und Konzepten gegen öde Innenstädte, verwaiste Kaufhäuser und leere Ladengeschäfte, um sie weg von monofunktionalen Ladenzeilen hin zu lebendigen Zentren als Bühne des städtischen Lebens, urbaner Produktion und des sozialen Miteinanders zu machen. Hier war vor allem die Frage: Wie kann die Kultur- und Kreativwirtschaft Positives dazu beitragen?
Welche Rolle können Kreativschaffende beim Urban Design Thinking einnehmen?
Meiner Meinung nach macht es unbedingt Sinn bei Urban Design Thinking-Prozessen kreative Köpfe mit an Board zu haben. Vor allem Designer:innen sind tief im Umgang mit der Entstehung von Neuem verwurzelt und eignen sich daher besonders in der Rolle als Moderator:innen bei der Konzeption von innovativer Stadtentwicklung. Sie finden zudem eine verständliche Sprache, um den Prozess für Außenstehende greifbar zu machen, zum Beispiel durch Prototyping oder Visualisierungen. Dennoch ist es auch wichtig zu sagen, dass die sechs Schritte des Urban Design Thinking nicht immer eins zu eins auf Orte und Themen übertragen werden können – und sollten. Vielmehr stellt der Prozess eine gute Ausgangslage und gutes Handwerkszeug dar, um einen passgenauen Prozess für die jeweilige Herausforderung und verschiedene beteiligte Stakeholder:innen zu entwickeln. Beim “Elisabeet” in Berlin-Wedding haben wir zum Beispiel eine Website mit einer Online-Umfrage in Kombination mit Postwurf-Sendungen im Quartier vorgeschaltet. Denn zentral ist ja zunächst auch die Frage: Wie erreiche ich meine relevanten Stakeholder:innen? Und: Wie kann ich für das Thema begeistern und aktive Prozessgestalter:innen mobilisieren?
Was reizt dich persönlich an der Methode?
Mich fasziniert beim Urban Design Thinking besonders der partizipative Aspekt, der verschiedene Akteur:innen ins Machen kommen lässt. Die Menschen werden von Anfang an in die Entwicklung eines Ortes eingebunden. Der Ruf nach Kooperation und Ko-Kreation wird in der Gesellschaft immer lauter – das zeigt zumindest unsere Erfahrung. Ich glaube daran, dass die Städte der Zukunft nur gut funktionieren können, wenn ihre Bewohner:innen und die Konsument:innen der sich dort befindlichen Angebote zu aktiven Produzent:innen von öffentlichen Orten und Räumen werden. Nur so entsteht wirkliche Teilhabe.
Kontakt
stattstadtstrand
www.stadtstattstrand.de
hi@stadtsttattstrand.de
@statdtstattstrand
Stadt statt Strand – kreativer Umgang mit urbanem Raum
Lesetipps
- “Glossar der gemeinwohlorientierten Stadtentwicklung” & “Freiraum-Fibel” (zu finden auf www.statdtstattstrand.de zum Download)
Laura Bruns hat Design in Zürich und Medienmanagement in Berlin studiert. Nach über zehn Jahren in renommierten Kreativagenturen in Deutschland und der Schweiz arbeitet sie heute im Schnittstellenbereich der integrierten Kommunikation und urbanen Strategien. Ihr Hauptinteresse liegt in der Auseinandersetzung mit den versteckten Potenzialen der Stadt. Sie erforscht und vermittelt die Herangehensweisen und Ansätze rund um das Thema der kreativen Nutzung von Stadträumen in Texten, Ausstellungen, Workshops oder Gesprächsrunden. Dabei setzt sie auf die Anwendung von Designstrategien und die Arbeit in interdisziplinären Teams als Methode zur Entwicklung neuer Werkzeuge, die eine pragmatische Selbstermächtigung ermöglichen. (Foto: Duygu Atceken)
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