Kreativ, vielfältig, vernetzt und immer mit Blick auf mehr Teilhabe

Der nochson e.V.

Der nochson e.V. ist eine lebendige Anlaufstelle für kulturell, kreativ und künstlerisch aktive Menschen in Erfurt und besteht zum großen Teil aus Thüringer Kreativschaffenden. Mit über einem Dutzend Projekten, wie Debattiershows, Familienfestivals und intergenerationellen Filmformaten, schafft der Verein Räume, in denen Kultur für alle erlebbar und zugänglich wird. Ein besonderes Beispiel ist das Projekt “Good Vibrations“, bei dem sich im Dezember 2024 der Kalif Storch in ein inklusives Konzerterlebnis für Menschen mit Hörbeeinträchtigung verwandelte. Mit Vibrationsgürteln, Deaf Performern (gehörlose Künstler und Künstlerinnen, die ihre Kunst visuell und körperlich ausdrücken), Gebärdensprachdolmetschung und kreativen Ideen entstand ein Event, das Barrieren abbaut und neue Zugänge zu Musik und weiteren Zielgruppen eröffnete. Im Interview sprachen wir mit dem Vereinsvorsitzenden Kay Albrecht darüber, wie aus einer Idee ein inklusives Konzertformat wurde und was der nochson e.V. in Zukunft noch bewegen will und bereits bewegt hat.

Kay Albrecht verbindet seit 2017 als Freiberufler und Mitgründer des nochson e.V. kreative Medienarbeit mit kulturellem Engagement, Foto: Fotoloft Erfurt.

Wie ist der nochson e.V. entstanden?

Der nochson e.V. ist aus dem gewachsen, was wir schon lange gemacht haben: Kultur, Musik und Kreativität in Erfurt. Angefangen hat in meinem Beispiel alles in der Uni-Fachschaft mit DJ-Sets, Partys und kleinen Veranstaltungen im Campus-Umfeld. Irgendwann reichte die Kombination aus Bierkasten und Box nicht mehr. Wir wollten mehr gestalten. Neben dem Familienfestival kokolores entwickelten sich weitere Formate wie das Kulturevent Tapetenwechsel und die musikalische Debattiershow Let’s Zwist Again. Um professioneller arbeiten zu können, Förderungen zu beantragen und Rechnungen zu stellen, gründeten wir 2019 den Verein. Seitdem sind wir als gemeinnützige Organisation gut vernetzt in der Erfurter Kulturszene und arbeiten stetig daran, Kultur sichtbarer, inklusiver und vielfältiger zu machen.

Welche Projekte setzt ihr um und mit welchem Ziel?

Heute betreuen wir rund zwölf Projekte aus den Bereichen Kultur und Bildung: vom rassismuskritischen Filmprojekt don’t stop motion über inklusive Konzerte wie Good Vibrations bis hin zu den Hebebühnen-Konzerten in verschiedenen Erfurter Stadtteilen. Unser Ziel ist es, kulturelle Angebote nicht nur für eine “Kulturblase“, sondern  beispielsweise mit den Hebebühnen-Konzerten auch in Randlagen der Stadt zu schaffen, wo solche Formate nicht selbstverständlich sind. Wir setzen auf Kooperation mit lokalen Akteuren und Akteurinnen und wollen dabei faire Honorare zahlen sowie Wertschätzung für die Kultur- und Kreativwirtschaft stärken. Kultur lebt von Partizipation und wir versuchen, Räume zu schaffen, in denen sich viele Menschen wiederfinden können, auch wenn das nicht immer einfach ist.

Was steckt hinter eurem inklusiven Konzertformat “Good Vibrations“ und warum ist es so besonders?

Good Vibrations ist unser Versuch, Konzerte für Menschen mit unterschiedlichen Hörbarrieren erlebbar zu machen. Ausgangspunkt war das kulturelle Jahresthema 2024 in Erfurt “Barrieren brechen – Kultur entfachen“. Inspiriert von einem Theaterprojekt in Potsdam, das Vibrationsgürtel für ein Konzert mit einem Streichquartett nutzte, wollten wir diese Technik auch in Erfurt ausprobieren. Sogenannte Feelbelts stammen ursprünglich aus dem Games-Bereich und sorgen dort durch zehn Impulsgeneratoren, die Schallwellen für ein immersives Spiel-Erlebnis auf den Körper übertragen. Mit Unterstützung der Stadt Erfurt und von Aktion Mensch konnten wir Feelbelts anschaffen, die auch als Werkzeug für inklusive Musikerlebnisse einsetzbar sind.

Unser Testlauf fand im Club Kalif Storch statt, einem Ort, der für viele gehörlose Menschen neu war. Wir haben das Setting angepasst: klare Beats, ein DJ-Set, eine Band, die ihr Set extra für die spürbaren Frequenzen umgeschrieben hat, Gebärdensprachdolmetschende, klare Lichtverhältnisse und sogar ein Bestellsystem an der Bar mit sichtbaren Zahlenkarten. Am Ende war es ein Konzert, bei dem man kaum noch unterscheiden konnte, wer hörend und wer gehörlos war, denn alle hatten gemeinsam eine gute Zeit.

Das Format war für uns als Verein ein riesiger Lernprozess. Inklusion ist organisatorisch und finanziell anspruchsvoll, aber es war einer der schönsten Momente unserer kulturellen Arbeit. Besonders, als ein gehörloses Kind zum ersten Mal Musik über den Gürtel erleben konnte. Unser Ziel ist es, Good Vibrations weiter auszubauen und mehr Veranstaltungen in Erfurt inklusiv zu gestalten. Damit Inklusion nicht die Ausnahme, sondern Teil der Normalität wird.

“Inklusion braucht Zeit, Austausch und Vertrauen sowie Menschen, die selbst Barrieren erleben oder direkten Zugang zur Community haben. Sie schaffen Glaubwürdigkeit und machen echte Teilhabe möglich.“

Welche Erfahrungen und Tipps habt ihr aus Good Vibrations für andere Veranstaltende, die inklusiver arbeiten wollen?

Unser wichtigstes Learning: Inklusion braucht Zeit, Austausch und Vertrauen. Man sollte frühzeitig Bedarfe abfragen, die Zielgruppe gut kennenlernen und Menschen mit ins Boot holen, die selbst Barrieren erleben oder einen direkten Zugang zur Community haben. Sie schaffen Glaubwürdigkeit und Vertrauen. Und es braucht einen oder eine versierte Technikerin oder einen Techniker, der oder die sich professionell um die entsprechenden Geräte kümmert.Inklusion beginnt zudem schon vor dem Event: bei der Kommunikation, sie zieht sich durch das gesamte Veranstaltungskonzept und sollte immer auch die Perspektiven der Zielgruppe einbeziehen. Lasst eure Angebote von den Menschen testen, die sie betreffen, und bindet sie aktiv in die Performance ein. Sensibilisierung, ehrliche Fragen (“Was braucht ihr?“) und Partizipation sind wichtiger als perfekte Konzepte. Und: Faire Preise oder Pay What You Want-Konzepte können dabei helfen, eine breite Masse anzusprechen. Zum Beispiel haben wir zu Beginn die Konzertflyer nicht zielgruppengemäß konzipiert. Wir wurden von einem Gehörlosenverein darauf hingewiesen, dass auch die geschriebene Sprache für Gehörlose eine andere ist als für Hörende. Daraufhin haben wir die Öffentlichkeitsarbeit angepasst.

Wir haben gelernt: Fehler gehören dazu, also lieber ausprobieren, anpassen und lernen, als gar nicht erst anzufangen. Jede inklusive Veranstaltung ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber sie funktioniert nur mit Offenheit, Transparenz und dem Bewusstsein, dass Förderung, Vernetzung und kontinuierliche Nachwuchsarbeit entscheidend sind, um Inklusion langfristig zu verankern.

“In der Vereinsarbeit ist es wichtig, Erfahrungen zu sammeln, Überraschungen zuzulassen und auch Fehlschläge als Teil des Weges zu akzeptieren”

Kontakt
nochson e.V.
www.nochsonverein.de
Mail: info@nochsonverein.de

Kommende Veranstaltungen vom nochson e.V.

  • 17.08.2025 – Hebebühnenkonzert
    Hoch über dem Erfurter Norden: Drei Musiker:innen spielen auf einer Hebebühne für Nachbarschaft und Gäste. 15–19 Uhr, Juri-Gagarin-Ring 132–136. Eintritt frei.
  • 30.08.2025 – kocolores
    Buntes Familienfest im Brühler Garten mit Bühne, Acts und Mitmach-Angeboten für alle Altersklassen. 14–22 Uhr. Eintritt frei.

Über Kay Albrecht

Kay Albrecht kam 2005 zum Grundschullehramtsstudium nach Erfurt und merkte schon während der Ausbildung, dass der klassische Lehrerberuf allein nicht das Richtige für ihn ist. Stattdessen zog es ihn in Richtung Medienpädagogik. Er besuchte gezielt Seminare in diesem Bereich und widmete auch seine Masterarbeit der Frage, wie Medien pädagogisch sinnvoll eingesetzt werden können. Ein Jahr lang arbeitete er bei der Thüringer Landesmedienanstalt (TLM) – kreativ, produktiv und immer nah an Schulen und Kindergärten. Nach dieser Station war er zunächst als Lehrer und Erzieher tätig, nutzte jedoch jede Gelegenheit, um medienkreative Projekte umzusetzen, von Mathe-Raps bis hin zu Filmprojekten. 2017 wagte er nach vier Jahren an freien Schulen den Schritt in die Selbstständigkeit und gründete 2019 den nochson e.V mit anderen Kulturschaffenden. Seitdem ist er als freiberuflicher Medienpädagoge tätig und prägt zusammen mit engagierten Vereinsmitgliedern aus Kultur- und Kreativwirtschaft die kulturelle Landschaft der Landeshauptstadt mit.

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