Fotografische Langzeitdokumentation über Martin Kohlstedt

Der Blick hinter die Bühne von Fotograf Peter Runkewitz

Was empfindet ein:e Musiker:in, bevor er oder sie auf die Bühne geht? Wie gestaltet sich die Zeit zwischen den Konzerten? Welche Menschen begleiten ihn oder sie? Peter Runkewitz fokussiert in seiner fotografischen Arbeit die Facetten einer Musiker:innen-Karriere, die dem Publikum normalerweise verborgen bleiben. In fotografischen Dokumentationen hält er die Backstage-Atmosphäre von Künstler:innen wie Faber, Gisbert zu Knyphausen und Wallis Bird fest. Auch mit Käpt’n Peng & die Tentakel von Delphi war er schon auf Tour. Dabei begleitet Peter sie meist über Jahre hinweg – ganz nah, ganz persönlich. So auch den Thüringer Musikschaffenden Martin Kohlstedt.

Die fotografische Dokumentation des Komponisten gehört zu seinen längsten und immer noch andauernden Projekten. In einer aktuellen Ausstellung mit dem Titel “beyond stage – jenseits der Bühne – 10 Jahre unterwegs mit Martin Kohlstedt” zeigt das Haus Dacheröden in Erfurt nun ausgewählte Bilder des Fotokünstlers. Am 25. Februar feiert zudem der Fotobildband “dazwischen – in between – 10 Jahre Backstage mit Martin Kohlstedt” von Peter Runkewitz seine Release in selbiger Location. Ich habe das zum Anlass genommen, mehr über den Bildband, die aktuelle Ausstellung und den Fotografen Peter Runkewitz zu erfahren und habe ihn in Erfurt zum Interview getroffen.

Foto: THAK

Peter Runkewitz’ Weg zum Fotografen: „Und dann hat es im wahrsten Sinne des Wortes Klick gemacht“

Gemurmel und das Klackern von Laptop-Tastaturen empfangen mich, als ich die Erfurter KreativTankstellezum Interview mit Peter Runkewitz betrete. Zwischen farbenfroher Kunst von Dr. Molrok und frischen Tulpen, die liebevoll auf den kleinen Secondhand-Tischchen arrangiert wurden, sitzt mein Gesprächspartner in ein Buch versunken mit einer Tasse schwarzem Kaffee. “Das mit der Kreativsache ging bereits am Gymnasium los”, verrät mir der gebürtige Rudolstädter, der direkt nach dem Abitur entschied, sich selbstständig zu machen. Die Liebe zu einer Frau hat ihn schließlich nach längeren Reisen durch Spanien und Italien nach Erfurt verschlagen. “Als Jugendlicher kümmerte ich mich um die Organisation von Schüler:innenbands. Das hat mir großen Spaß gemacht und lief so gut, dass ich mich nach meinem Abschluss als Musiker:innen-Manager und -Organisator selbstständig gemacht habe.
Durch meinen Job lernte ich immer wieder neue Künstler:innen kennen, war mit auf Tour unterwegs, kümmerte mich um Locations, Plakate und Plattencover. Irgendwann bat mich ein Musiker, für sein neues Album Fotos von ihm zu machen und da hat es im wahrsten Sinne des Wortes Klick gemacht. Ich entschied mich dazu, mich ab sofort voll und ganz auf die Fotografie in der Musikbranche zu konzentrieren.” Erste Berührungspunkte mit dem Fotografieren hatte Peter als er zehn Jahre alt war und seine erste eigene Plastikkamera geschenkt bekam.

“Ich habe schon immer viel fotografiert. Tatsächlich hätte ich diese Leidenschaft gerne schon viel früher zum Beruf gemacht, aber wie es ja meist so ist, erwartet dein näheres Umfeld von dir, dass du einen Weg mit sicherem Einkommen gehst.

Die Musikorganisation lief damals ziemlich gut und mich von einem Tag auf den anderen als freiberuflicher Fotograf erfolgreich selbstständig zu machen, war karrieretechnisch eine Wundertüte. Aber das interessiert mich mittlerweile nicht mehr. Ich finde Erfüllung im Einfangen von Momenten und Emotionen, dem Echten und dem Menschen im Mittelpunkt meiner Arbeit”, konstatiert Peter, während er von seinem Kaffee trinkt und seinen Blick auf die vielbefahrene Straße außerhalb des Cafés richtet, als würden seine einzelnen Lebensabschnitte wie Autos an ihm vorbei rasen. 

Bevor er an einem verheißungsvollen Abend auf Musiker Martin Kohlstedt bei einem seiner ersten Konzerte in Weimar  traf – jenem Abend, an dem die nun mehr als zehn Jahre andauernde Zusammenarbeit begann – hat Peter Runkewitz zunächst alle fotografischen Aufträge angenommen, die er bekommen konnte. Seinen einzigartigen Stil fand er allerdings während eines für ihn bis heute noch sehr wichtigen Dokumentationsprojektes mit dem Titel „beyond streets”. “Zusammen mit einem Freund habe ich über mehrere Tage hinweg an Weihnachten Menschen im Betreuten Wohnen fotografisch begleitet. Mich hat es total überrascht, wie nah uns diese zuweilen unsichtbaren Menschen sind. Hier habe ich angefangen, die Dinge zeigen zu wollen, die man nicht sieht und sie auch ein Stück weit zu entmystifizieren. Ähnlich, wie beim Projekt ‘beyond stage’ mit Martin.”

„Ein schmerzhafter Vorgang“ – Fotoauswahl für Ausstellung und Bildband über zehn Jahre hinter der Bühne mit Martin Kohlstedt

Peter erzählt mir von seinem Langzeitfotoprojekt mit und über Martin Kohlstedt. Seit zehn Jahren ist er mit dem jungen Komponisten auf dessen Touren durch Europa und die Welt unterwegs. 2013 begegnete er ihm erstmals bewusst, mittlerweile sind sie gute Freunde geworden: “Bei seinem ersten öffentlichen Konzert im Lichthaus in Weimar habe ich Martin gefragt, ob ich ihn über den Abend hinweg fotografieren kann und erzählte ihm von meiner Idee, ihn auch auf seinem weiteren Weg für eine Musiker-Dokumentation zu begleiten. Er fragte mich, was mein Ziel damit sei und ich antwortete: ‘Ich habe noch kein konkretes Ziel’. Ich wollte meinen Blick offen halten für die Potenziale der Bilderreihe, die sich daraus ergeben würde. Während der Pandemie 2020 flammte dann konkret die Idee auf, eine Ausstellung und einen Bildband zu veröffentlichen.” Über 200.000 Fotos sind insgesamt auf der Tour durch über 300 Orte entstanden. Ausgewählte Schwarz-Weiß-Fotografien zeigt Peter seit dem 28.01.2023 im Haus Dacheröden. Circa 60 Bilder hat er für die Präsentation ausgewählt.

“Ein schmerzhafter Vorgang”, wie er mir im Interview verrät. Am 25.02.2023 wiederum released er den Fotobildband “dazwischen – in between – 10 Jahre Backstage mit Martin Kohlstedt” – stilecht mit dem Künstler persönlich live am Flügel. Auf den Fotos wird die Nähe zwischen Fotograf und Musiker deutlich, “ohne die es keine Ausstellung und kein Buch gegeben hätte”, so Peter: Martin Kohlstedt beim Proben, sein ausgeweideter Koffer in der Umkleidekabine, Aftershow-Parties mit Freunden, die Reisen im Tourbus, die Aufregung in seinem Gesicht vor dem Auftritt, seine persönliche Entwicklung. “Ich zeige alles, was abseits der Bühne passiert, die wahre Künstlerpersönlichkeit, die ebenso wie wir ein Mensch ist, mit großen Leidenschaften und ganz normalen Ängsten. Für mich als Fotograf ist die Gesamtschau auf vergangene Jahre am interessantesten: wie sich der Stil, aber auch das Equipment verändern, die Art und Weise sowie Größe der Tour, die Menschen, die dabei waren oder es immer noch sind und die kleinen Momente, die zunächst trivial erscheinen, aber in der Rückschau eine besondere Bedeutung bekommen”, resümiert Peter.

Außerdem erzählt er mir, dass er die Idee hatte, die sowieso schon sehr persönlichen Eindrücke im Buch durch individuelle Zitate von Weggefährt:innen und engen Freund:innen zu bereichern. Dabei ist zunächst nicht klar, wer was geschrieben hat. Die Autor:innen werden erst im Anhang benannt, sodass Text und Bild miteinander wirken können. “Das Buch ist für all diejenigen geeignet, die eine Verbindung zu Martins Musik haben, aber auch für die, die sich dafür interessieren, was hinter der Bühne passiert und mehr als den Live-Auftritt wahrnehmen möchten. Zudem ist es auch für diejenigen lesenswert, die die Entwicklung eines Künstlers in Form einer Langzeitdokumentation nachvollziehen möchten.”

Langzeitdokumentation über Martin Kohlstedt von Fotograf Peter Runkewitz
Musiker Martin Kohlstedt im Konzerthaus Berlin, Foto: Peter Runkewitz

Schwarz-Weiß-Fotografie und ihre Magie

Mit Blick auf die Druckdatei des Buches sehe ich kein einziges farbiges Foto. Wieso der Fokus auf Schwarz-Weiß-Fotografie? “Zum einen ist die Schwarz-Weiß-Fotografie ein klassisches dokumentarisches Element der Leipziger Schule. Zum anderen bietet sie die Möglichkeit, die Realität zu abstrahieren. Indem man der Situation die Farbe entzieht, kann sich der oder die Betrachtende voll und ganz auf die Szenerie konzentrieren. Die gesamte Ästhetik des Bildes verändert sich auf eine Art und Weise, wie ich sie von Anfang meiner Zusammenarbeit mit Martin an im Kopf hatte.” 

Die Relevanz von Orten fernab des klassischen Kunstmarktes 

Nach Midissage und Buch-Release freut sich Peter Runkewitz auf die anstehende Europa-Tour mit Martin Kohlstedt. Für sie beide etwas ganz Besonderes – nach langer Pandemie-Zeit und etlichen ausgefallenen Konzerten. Zudem plane er, die Ausstellung “beyond stage” wandern und somit so vielen Menschen wie möglich zugänglich zu machen. In der Zwischenzeit genießt Peter die Zeit in seiner Wahlheimat Erfurt, wo schon die nächsten Doku-Projekte auf ihn warten: “Im Sommer ist eine Fotodokumentation mit dem Puppenschnitzer auf der Krämerbrücke Martin Gobsch geplant.

Ansonsten bin ich seit ein paar Jahren auch viel mit Fotoprojekten in der Erfurter Kulturszene unterwegs: ob Fotos für die SKV von der Aktion ‘Gold statt Braun’, Impressionen der Szene im Café Hilge oder das Ausstellungskonzept ‘Zwischentoene’ im Café Nerly, bei dem Künstler:innen und Musiker:inen aus der ganzen Welt einen Beitrag zu einer digitalen Werkschau geliefert haben. Es macht mir unglaublich Spaß, diese Stadt mitzugestalten und gemeinsam mit engagierten Akteur:innen Orte zu bereichern, die nicht zum klassischen Kunstmarkt gehören. Dass ich meine Ideen und meine Expertise einbringen kann, bedeutet mir viel.”

Die Nachmittagssonne hat mittlerweile die KreativTankstelle erreicht und scheint durch die großen Fenster ins Café. Wir verabschieden uns mit der Gewissheit eines baldigen Wiedersehens zum musikalisch untermalten Midissage-Abend in Erfurt, wo es neben dem Fotobildband auch limitierte Abzüge der ausgestellten Werke zu kaufen geben wird. Wer es am Wochenende nicht schafft: Bis zum 17.03.2023 können Erfurter:innen und interessierte Besucher:innen die Schau im Haus Dacheröden kostenfrei besuchen.

Am 04.03.2023 findet darüber hinaus ein Künstlergespräch mit Peter Runkewitz und dem Erfurter Fotografen Sebastian Niebiusstatt, der aktuell im unteren Geschoss des Hauses seine Fotoausstellung “.. and when you don’t know what to do, you dance! – über kleines Glück” zeigt. Die beiden verbindet, neben der Liebe zur Fotografie, die Leidenschaft für Musik. “Das Haus Dacheröden hat uns beide zusammengebracht, sodass wir derzeit diese unglaublich schönen Räume mit unseren Arbeiten bespielen können. Auch ein weiterer Aspekt, warum ich Erfurt so schätze: Künstler:innen verschiedener Generationen finden ohne Hürden Zugang zur Kunst- und Kulturszene. Auch ich habe diese Chance bekommen, für die ich sehr dankbar bin. Ich freue mich also auf neue Projekte und spannende neue Begegnungen in dieser schönen Stadt, in die ich nach langen Reisen immer wieder gerne zurückkehre.”

Kontakt

Peter Runkewitz
hello@runkewitz.com
www.runkewitz.com
@peterrunkewitz@beyond_stage


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Kommunikation

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