Ein Gastbeitrag von Stephi Schneider, Content Creator & Podcast Host bei dotSource
Viele kennen ihn nur zu gut: Den Ärger mit dem Schienenersatzverkehr. Mal zu spät, mal zu voll, mal gar nicht ausgeschildert. Und meistens nicht barrierefrei. Ziemlich frustrierend, oder? Barrieren gibt es aber nicht nur im physischen Raum. Auch im digitalen Bereich stoßen viele Menschen auf Hindernisse, die den Zugang zu Informationen auf Webseiten oder Apps erschweren. Deshalb tritt am 28. Juni 2025 das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) in Kraft, welches Websitebetreibende dazu verpflichtet, Barrieren abzubauen und einen nutzer- sowie nutzerinnenfreundlichen Online-Auftritt sicherzustellen. Und zwar für alle! Nicht nur Menschen mit Behinderungen stoßen im digitalen Raum auf Barrieren. Daher gilt es, digitale Angebote für alle leichter zugänglich – barrierefrei – zu machen. Ihr verbessert damit die User Experience für alle Nutzenden. In diesem Artikel gibt Gastautorin Stephi Schneider praktische Tipps zur barrierearmen Websitegestaltung und eine passende Podcast-Empfehlung.
Beitragsbild: Nao Triponez
Websites für alle: Warum digitale Barrierefreiheit unverzichtbar ist
Barrierefreiheit auf Websites bedeutet, dass alle Menschen, die eine Website besuchen, diese auch ohne Einschränkungen nutzen können.
Denn das Internet ist für uns alle da. Egal, ob jemand blind ist, motorische, kognitive oder nicht offensichtlich physische Behinderungen oder Einschränkungen hat – jeder und jede soll Inhalte problemlos nutzen können.
Obwohl das eine Selbstverständlichkeit sein sollte, haben viele Websites Hürden. Damit vernachlässigen sie eine beachtliche Zahl potenzieller Nutzerinnen und Nutzer.
Schließlich:
- leben 7,8 Millionen Menschen mit einer Schwerbehinderung – das sind fast 10% der Bevölkerung
- tragen rund die Hälfte der Menschen in Deutschland eine Brille
- Haben etwa 8% der Männer eine Rot-Grün-Sehschwäche
Dabei ist das nur ein Teil der Menschen, die darauf angewiesen sind, sich digital barrierefrei zu bewegen. Eine oft übersehene, aber große Zielgruppe sind ältere Menschen.
Sie sind meist keine Digital Natives und nicht mit dem Smartphone in der Hand aufgewachsen. Dementsprechend sind viele digitale Abläufe oder Symbole, die für jüngere Menschen selbstverständlich sind, für die älteren Generationen mit Hürden verbunden. Das beginnt bereits bei kleinen Dingen wie den drei Strichen, die auf einer Webseite das Menü repräsentieren.
In der Entwicklung von Webseiten und Apps werden ältere Menschen oftmals nicht ausreichend berücksichtigt. Das liegt unter anderem daran, dass sie als Arbeitnehmende in der Digitalbranche unterrepräsentiert sind. Die Branche, die (pro-)aktiv Barrieren im Internet abbauen kann.
Ein Blick auf die Altersstruktur in großen Tech-Konzernen macht das deutlich: Bei Meta liegt das Durchschnittsalter bei 28 Jahren, bei LinkedIn und Salesforce bei 29 und bei Microsoft bei 33 Jahren. Mark Zuckerberg prägte 2007 den Satz: »Young people are just smarter.«
Doch betrachtet man die finanzielle Kaufkraft der Generationen, zeigt sich, wie bedeutend diese Zielgruppe für Marken ist: Die Baby Boomer (Jahrgänge 1955 bis 1969) sind heute die wohlhabendste Generation. Sie besitzen etwa zehnmal mehr Vermögen als die Millennials (Jahrgänge 1981 bis 1995).
Es zeigt sich also, wie viel Potenzial ungenutzt bleibt, wenn diese Zielgruppe nicht berücksichtigt wird. Mit einer barrierefreien Webseite, die für alle Generationen zugänglich ist, könnt ihr eine große, zahlungskräftige Kunden- und Kundinnengruppe erreichen.
Weitere positive Effekte von digitaler Barrierefreiheit
Mit einem barrierearmen Webauftritt sprecht ihr also nicht nur eine größere Zielgruppe an – digitale Barrierefreiheit bietet noch viele weitere Vorteile, wie zum Beispiel:
Verbesserte Usability
Eine klare Struktur, ausreichend großer Text und kontrastreiche Farben machen das Surfen für alle angenehmer. Usende finden schneller die Informationen, die sie brauchen, und nutzen eure Website gerne.
Eine konsistente Navigation erleichtert die Informationsfindung für jede und jeden von uns. Genauso vereinfachen auch sinnvoll formulierte und spezifische Fehlermeldungen das Ausfüllen von Formularen.
Hinzu kommt, dass früher oder später die meisten von uns auf barrierefreie Inhalte angewiesen sind, sei es durch temporäre oder situationsbedingte Einschränkungen.
Stellt euch einmal vor:
ihr fahrt gerade öffentliche Verkehrsmittel und habt keine Kopfhörer dabei. Jetzt wäre es nützlich, wenn euch euer Smartphone den Untertitel bei Videos anzeigen würde?
ihr geht im Park spazieren und die Sonne scheint direkt auf euer Smartphone – kontrastarme Schriften und Bilder sind jetzt schwer bis gar nicht mehr zu erkennen. Wären kontrastreiche Farben jetzt nicht sinnvoll?
Ihr backt und habt keine Hand frei. Jetzt wäre es doch praktisch, wenn ihr euer Smartphone per Stimme bedienen könntet, nicht wahr?
Erhöhte Sichtbarkeit bei Suchmaschinen
Eine barrierefreie Website bietet nicht nur eine angenehme Usability, sie verbessert auch euer SEO. Suchmaschinen wie Google, Bing & Co. bevorzugen Seiten, die nutzer- sowie nutzerinnenfreundlich und gut strukturiert sind.
Längere Verweildauer, weniger Absprünge
Wenn Nutzende sich problemlos auf einer Website zurechtfinden, bleiben sie länger. Das wirkt sich positiv auf die Verweildauer aus und reduziert die Absprungrate – beides Signale, die Google als Hinweis auf relevante Inhalte bewertet. Eine barrierefreie Website kann also euer Ranking verbessern.
Gepflegter HTML-Code für bessere Lesbarkeit
Barrierefreie Websites setzen auf semantisch korrekten HTML-Code. Strukturelemente wie gepflegte Überschriften (H1, H2 usw.), Alt-Texte für Bilder und eine klare Seitenstruktur helfen nicht nur Menschen mit Einschränkungen, sondern auch den Suchmaschinen-Crawlern, eure Inhalte besser zu erfassen.
Klare Strukturen für Screenreader
Digitale Barrierefreiheit bringt neben der verbesserten Usability und erhöhten Sichtbarkeit bei Suchmaschinen auch Vorteile für Screenreader.
Mithilfe von assistierenden Technologien wie Screenreadern können sehbeeinträchtigte oder blinde Menschen im Internet surfen. Das Tool liest nicht nur den gesamten Bildschirm vor, sondern kann auch gezielt nach HTML-Elementen wie Überschriften, Listen oder Links filtern.
Damit Usende den Screenreader sinnvoll verwenden können, sollte eure Website auf technischer Seite logisch strukturiert sein.
Eine klare Struktur auf eurer Website ist entscheidend, um Inhalte sowohl visuell als auch im Code verständlich zu präsentieren. Zusammenhänge, die auf den ersten Blick offensichtlich wirken, sollten auch im HTML präzise abgebildet werden.
Das bedeutet beispielsweise, dass Überschriften nicht nur optisch erkennbar, sondern auch korrekt formatiert sein müssen. So sollte der Haupttitel als H1 und alle Unterüberschriften entsprechend ihrer Hierarchie als H2, H3 usw. gekennzeichnet sein.
Tipp: vorgefertigte HTML-Elemente funktionieren aus Barrierefreiheits-Sicht meist besser als eigene programmierte Elemente, da sie bereits semantisch korrekt aufgebaut sind.
Ein weiterer positiver Effekt besteht darin, dass ein barrierearmes Angebot euer Image als inklusives und verantwortungsbewusstes Unternehmen stärkt. Das zeigt potenziellen und bestehenden Kunden und Kundinnen, dass ihr euch aktiv für eine zugängliche und faire digitale Umgebung einsetzt. Indem ihr diese Prinzipien konsistent kommuniziert, positioniert ihr euch als sozial verantwortliches Unternehmen und werden positiv wahrgenommen.
Ein inklusiver Auftritt trägt außerdem dazu bei, langfristige Kunden- und Kundinnenbeziehungen zu pflegen und das Vertrauen in eure Marke zu stärken. Das kann ein Wettbewerbsvorteil sein, der über das Thema der digitalen Barrierefreiheit hinauswirkt.
Von Betroffenen lernen: Einblicke aus dem Alltag von blinden Anwendenden
Ulli und Gerd aus Jena sind zwei Menschen, die auf klare Strukturen und Hilfsmittel wie Screenreader angewiesen sind, um sich im Internet zurechtzufinden. Für sie ist der Screenreader ein unverzichtbarer Begleiter im Alltag. Durch fortschreitende Augenkrankheiten haben beide nach und nach ihre Sehfähigkeit verloren. Am Berufsförderungswerk in Halle absolvierten sie eine blindentechnische Ausbildung und lernten den Umgang mit Computern und digitalen Hilfsmitteln neu. Dieses Programm ermöglicht es ihnen, weiterhin am digitalen Leben teilzunehmen.
Um diese wichtigen Informationen einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, haben wir Ulli und Gerd in den Handelskraft Podcast eingeladen. Dort teilen sie mit mir ihre persönlichen Erfahrungen und geben praktische Tipps, wie Unternehmen ihre digitalen Angebote barrierefrei gestalten können:
Barrierefreiheit erfordert Zusammenarbeit
»Wenn’s der Informatiker richtig gemacht hat« so beschreibt Gerd eine barrierearme Webseite. Denn dazu muss der Seitenaufbau im Front- und Backend schlüssig und miteinander verknüpft sein.
Eine gut strukturierte Website im HTML-Code gehört zu den Grundvoraussetzungen für digitale Barrierefreiheit. Nur so können assistierende Technologien wie Screenreader Informationen korrekt wiedergeben und User mit Einschränkungen effektiv durch die Seite navigieren.
Doch die Verantwortung liegt nicht nur bei den Entwicklerinnen und Entwicklern. Es sind ebenso die Content- und Design Teams gefragt, wenn es darum geht, eine barrierefreie digitale Umgebung zu schaffen.
Denn gute Usability erfordert neben der technischen Grundlage auch eine klare und verständliche Informationsarchitektur. Das Content-Team muss sicherstellen, dass Texte leicht verständlich sind, alternative Texte für Bilder bereitgestellt werden und die Inhalte so gegliedert sind, dass auch Menschen mit kognitiven Einschränkungen die Informationen aufnehmen können.
Das Design-Team spielt eine genauso wichtige Rolle: Hier geht es um die Wahl von Farben, Kontrasten und Schriftgrößen, damit die Inhalte für alle gut lesbar sind. Zudem müssen interaktive Elemente wie Buttons oder Menüs so gestaltet sein, dass sie intuitiv bedienbar und für Menschen mit motorischen Einschränkungen einfach zugänglich sind.
Welche Hürden es trotz digitaler Hilfsmittel zu überwinden gilt
Neben dem Screenreader nutzen Ulli und Gerd weitere Hilfsmittel wie die KI-gestützte App Be My Eyes und die Braillezeile. Be My Eyes ist eine Anwendung, die sehbehinderten Menschen per Kamera- und Chat-Funktion hilft, visuelle Informationen zu interpretieren. Die Braillezeile ist ein Gerät, das Bildschirminhalte durch Blindenschrift fühlbar macht.
Trotz dieser Hilfsmittel gibt es nach wie vor zahlreiche digitale Hürden: Pop-ups, die den Cursor verschieben, eine unklare Seitennavigation oder Links wie »weiter« und »hier«, die keine aussagekräftigen Informationen bieten. Diese Stolpersteine erschweren es Nutzenden mit Sehbehinderungen, sich im Internet zurechtzufinden.
Ein weiteres Beispiel, das Ulli und Gerd im Podcast ansprechen, ist das Onlineshopping. Ein riesiges Produktangebot und unübersichtliche Check-out-Prozesse schrecken die beiden oft ab, sodass sie auf die Hilfe sehender Personen angewiesen sind, um ihre Einkäufe abzuschließen.
Das zeigt: Barrierefreiheit endet nicht bei der Informationssuche. Sie muss sich durch den gesamten Kaufprozess ziehen – von der Produktauswahl bis zum Check-out.
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) tritt 2025 in Kraft
Falls ihr die barrierefreie Gestaltung eurer Website oder eures Onlineshops bisher aufgeschoben habt, ist jetzt der richtige Zeitpunkt, sich intensiv damit zu beschäftigen. Barrierefreiheit ist kein Nice-to-have mehr, sondern wird spätestens mit Inkrafttreten des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes am 28. Juni 2025 ein absolutes Must-have.
Ab diesem Datum müssen Produkte und Dienstleistungen, die Verbraucherinnen und Verbrauchern digital angeboten werden, barrierefrei gestaltet sein. Das erfordert Anpassungen und teilweise tiefgreifende Änderungen an eurem digitalen Auftritt. Daher ist es ratsam, die Barrierefreiheit in eure Roadmap aufzunehmen und schrittweise umzusetzen.
Der Handelskraft Podcast – powered by dotSource
Im agentureigenen Weblog Handelskraft.de, dem jährlich erscheinenden Trendbuch sowie auf der Handelskraft Konferenz und im Podcast vernetzt dotSource Branchen-Know-how und informiert über die aktuellen Chancen und Entwicklungen digitaler Markenführung.
Trends, Analysen und Klartext to go: Im Handelskraft Digital.Business.Talk werden relevante Digitalthemen verständlich und praxisnah erklärt – ganz ohne Buzzwords oder Marketing-Bla-Bla. Stattdessen laden Stephi Schneider & Franzi Kunz echte Macherinnen und Macher aus der Praxis ein, die wertvolle Insights geben. Infotainment garantiert!
Über dotSource
Seit 2006 entwickelt und realisiert das inhabergeführte Unternehmen dotSource skalierbare Digitalprodukte für Marketing, Vertrieb und Services. Ob E-Commerce- und Content-Plattformen, Kunden- sowie Kundinnenbeziehungs- und Produktdatenmanagement, KI-Beratung oder Digital-Marketing und Business-Intelligence: Mehr als 500 Digital Natives verstehen sich als Partner und Partnerinnen ihrer Kundschaft, deren individuelle Anforderungen ab der ersten Idee einfließen. Dieser Kompetenz vertrauen Unternehmen wie BADER, hessnatur, Ottobock, TEAG, KWS, BayWa, Axel Springer, C.H.Beck, Würth und Netto Digital.
Mehr unter www.dotSource.de
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