In Deutschland werden jährlich rund 27.000 Hotelzimmer neu gebaut oder saniert, was einen hohen Ressourcenverbrauch und Entsorgungskosten verursacht. Die Beratungs- und Designagentur RITTWEGER + TEAM mit Sitz in Erfurt hat mit dem Konzept des „zirkulären Hotelzimmers“ eine zukunftsorientierte Lösung entwickelt. Der Anspruch: eine wieder verwendbare Inneneinrichtung, die Abfall und Emissionen reduziert, Rohstoffe schont und gleichzeitig Komfort sowie gestalterische Individualität bewahrt. Im Interview erklärt Geschäftsführer Heiko Rittweger, warum zirkuläre Hotelzimmer die Branche von Grund auf umstrukturieren werden.

Wie entstand die Idee, ein zirkuläres Hotelzimmer zu entwickeln?
Bei der Sanierung oder dem Bau von Hotelzimmern in Deutschland fallen jährlich eine halbe Tonne Material pro Zimmer an – Material, das nach Abnutzung derzeit überwiegend verbrannt wird. Warum? Viele Anbieter:innen berücksichtigen bis dato die Aspekte der Kreislauffähigkeit nicht. Die Entsorgung obliegt dem/der Bauherr:in. Hier fehlt jedoch oft das nötige Wissen – besonders in einer Branche, in der Nachhaltigkeit bisher zu wenig Beachtung findet. Angesichts knapper werdender Ressourcen stellt sich zwangsläufig die Frage: Hat dieses Modell eine Zukunft? Die Antwort lautet: Nein. Daher lag unser Fokus darauf, eine praktikable und innovative Lösung zu entwickeln, die von Anfang an ein zirkuläres System für die Inneneinrichtung von Hotelzimmern möglich macht.
Wie läuft der Planungsprozess für ein zirkuläres Hotelzimmer ab und was sind hierbei die Herausforderungen?
Eine zentrale Herausforderung ist die Zusammenarbeit mit Designer:innen und Innenarchitekt:innen, die ihren Entwürfen oft eine hohe Priorität beimessen. Hier galt es, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, das Design unangetastet zu lassen und gleichzeitig Materialien vorzuschlagen, die kreislauffähig sind. Unser Planungsprozess zielt deshalb darauf ab, moderne Ansprüche an das Design zu wahren und mithilfe unseres Circular Material LABs – eine in Erfurt zugängliche Materialbibliothek mit über 400 anfassbaren Materialien, die für Circular Economy geeignet und vorbewertet sind – gezielt passende und nachhaltige Materialien auszuwählen. Dabei stehen die Kriterien der EU-Taxonomie im Vordergrund. Auf deren Basis wird der Entwicklungsprozess gemeinsam mit uns als kreative Berater:innen und den Bauherr:innen umgesetzt.


als eine Materialbibliothek zum Anfassen, Fühlen,
Testen und Kombinieren über 400 Materialien für die
Circular Economy – eine wertvolle Grundlage für
Architektur, Design und das taxonomiekonforme Bauen, Fotos: RITTWEGER + TEAM.

Welche nachhaltigen Materialien wählt ihr für die zirkulären Hotelzimmer aus und welche Vorteile bietet das Konzept sowohl Hoteliers als auch den Gästen?
Ein Beispiel für nachhaltige Alternativen ist eine langlebige Matratze, die durch ein Reinigungskonzept bis zu 15 Jahre lang genutzt werden kann, statt wie üblich nach fünf Jahren entsorgt zu werden. Bei Teppichböden, Parkett, Stoffen, Polstern, Vorhängen und Farben, alles wesentliche Bestandteile des Raumklimas, achten wir auf Wohngesundheit. Ein weiterer Ansatzpunkt ist der Einsatz von Teppichfliesen mit Post-it-Effekt, bei denen einzelne Teile einfach ersetzt werden können, ohne den gesamten Boden auszutauschen. Das ist nicht nur effizienter, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll. Durch eine andere Herangehensweise und gute Planung lassen sich Entsorgungskosten vollständig vermeiden, wodurch das zirkuläre Hotelzimmer im Vergleich zu herkömmlichen Zimmern nicht teurer ist. Faktoren wie die CO₂-Bepreisung könnten in Zukunft zusätzliche Einsparungen ermöglichen. Entscheidend ist, anders zu denken und langfristige Kosten und Qualitätsstandards zu berücksichtigen.
Was glaubst du, wie sich die Rolle der Kreislauf wirtschaft im Bereich Inneneinrichtung in den nächsten zehn Jahren verändern wird?
Das Konzept des zirkulären Hotelzimmers spiegelt nicht nur eine Vision, sondern eine Marktanforderung wider, die zunehmend an Bedeutung gewinnt. Der Schutz begrenzter Ressourcen wird immer zentraler, da Rohstoffe teurer und schwerer verfügbar werden. Innerhalb von zehn Jahren könnte diese nachhaltige Herangehensweise zum Standard in der Branche werden, insbesondere in der Hotellerie, wo Handlungsbedarf besteht. Für Gäste bietet das zirkuläre Hotelzimmer zudem ein positives Erlebnis durch hohe Qualität, modernes Design und Storytelling, kombiniert mit dem guten Gefühl, nachhaltig zu wohnen.
„Für Gäste bietet das zirkuläre Hotelzimmer zudem ein positives Erlebnis durch hohe Qualität, modernes Design und Storytelling, kombiniert mit dem guten Gefühl, nachhaltig zu wohnen“

Wie möchtet ihr die Idee des zirkulären Hotelzimmers in Zukunft weiterentwickeln?
Wir merken jetzt schon, dass die Nachfrage aus der Innenarchitektur-Branche sowie bei Hersteller:innen steigt und das Thema branchenübergreifend relevant ist. Neue Projekte wie das Beraten eines Hotels in Wien und das Erstellen eines Seminarprogramms fördern die Verbreitung und Skalierbarkeit unseres Ansatzes. Somit wird das Konzept automatisch für die Zukunft positioniert und weiterentwickelt. Zudem kooperieren wir kontinuierlich mit Thüringer Forschungsprojekten bei der Entwicklung neuer Materialien für unser Circular Material LAB. Das gesammelte Wissen bietet die Basis für neue Innovationen. Die Zukunft liegt darin, viele Produkte neu zu denken und ihr Innovationspotenzial auszuschöpfen. Daran arbeiten wir täglich mit viel Leidenschaft.
Worin liegt deine persönliche Motivation?
Aus meinem gestalterischen Kontext heraus besteht von Grund auf das Bedürfnis, mit meinem täglichen Tun einen sinnvollen Beitrag zu leisten, wobei das Thema Zukunft für mich, aber auch für mein Team eine entscheidende Rolle spielt. Ein aktiver Beitrag zur Klimaneutralität obliegt meiner Meinung nach nicht nur den großen Akteur:innen. Innovation kann auch im kleinen Rahmen entstehen. Aber oft stehen die Angst vor Veränderung, Trägheit und vor allem fehlendes Wissen im Weg. Im Kontext der New-European-Bauhaus-Bewegung möchten wir deshalb auch die gestalterische Transformation mit begleiten, die vor allem durch Sensibilisierung und Wissensaustausch vorangetrieben werden muss – eine große Chance für alle Branchen und Bereiche, die mit der Stärkung des europäischen Binnenmarktes, der Nutzung lokaler Materialien und der Reduzierung des CO₂-Abdrucks einhergeht. Gutes Design steht hier stets im Einklang mit nachhaltiger Nutzung.
Kontakt
www.rittweger-team.de
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