Mit cleverem Design sowie klug gestalteten Settings oder Dienstleistungen lassen sich Personen positiv und unterbewusst in ihren Entscheidungen beeinflussen – ohne dass ihnen andere Optionen verwehrt werden. Dieses sogenannte “Nudging” (zu dt. “Schubsen”) ist eine Anwendungsmöglichkeit aus dem Bereich der Behavioral Insights, einem Forschungsgebiet, das Methoden aus Psychologie und Ökonomik kombiniert, um Erkenntnisse über menschliches Entscheidungsverhalten zu gewinnen.
Den möglichen Anwendungsgebieten sind kaum Grenzen gesetzt: Neben dem zunehmenden Einsatz im öffentlichen Sektor, wird Nudging beispielsweise auch von Unternehmen der Privatwirtschaft genutzt, um die Zufriedenheit von Mitarbeiterinnen und Kunden zu erhöhen.
Dr. Julia Stauf ist als Direktorin und Gründerin von Behavia | Behavioral Public Policy and Economics GmbH Expertin auf dem Gebiet Behavioral Insights und Nudging sowie der Anwendung von Spieltheorie und Verhaltensökonomik. Die Dozentin für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin gab bereits zwei THAK Workshops für interessierte Thüringer Kreativschaffende. Im folgenden Beitrag fassen wir noch einmal Wissenswertes aus der Veranstaltung zusammen. Zudem machen wir einen Exkurs in die Anwendungsbereiche des Green Nudging, das nachhaltigere (Konsum-) Entscheidungen fördern kann.
Nudging – Was steckt dahinter?
“The first misconception is that it is possible to avoid influencing peoples’ choices.” (Richard Thaler, Nobel Laureate, 2017). Der sogenannte “Nudge” bedeutet übersetzt “Stups” oder “Schubs” und wurde durch die Verhaltensökonomik und den Wirtschaftswissenschaftler Richard Thaler geprägt. Nudging umschreibt eine Methode, die das Verhalten von Menschen beeinflussen kann, ohne dabei auf konkrete Verbote zurückgreifen zu müssen und wird daher auch gerne in der Marketing-Kommunikation genutzt. Marketing im Sinne des Nudging setzt auf das Auslösen von Sogwirkungen bei Kunden und Kundinnen statt auf Druck.
Nudges werden so zu effektiven und positiv konnotierten Interventionen für alle möglichen Anwendungsbereiche, die durch Commitment, Erinnerung, Information und Vereinfachung beim Empfangenden die gewünschte Handlung herbeiführen. Niemand wird zu irgendwas gezwungen, es entsteht eher ein “Stups” in die richtige Richtung.
Nudging soll dabei helfen, das Entscheidungsverhalten zu verbessern. Wir machen oft nicht das, was wir eigentlich wollen/sollen, weil wir zum Beispiel Probleme mit unserer Selbstkontrolle haben oder unaufmerksam sind. Hier setzen Nudges an. Menschen haben oft gute Vorsätze, schaffen es aber nicht, sich daran zu halten.
Das kann am inneren Schweinehund liegen, manchmal ist das Problem aber auch einfach nur, dass sie vergessen, was sie vorhatten. Sie wollen zum Beispiel Strom sparen, lassen dann aber doch aus Versehen das Licht an, wenn sie rausgehen. Da helfen kleine Erinnerungen. So können zum Beispiel an allen Lichtschaltern in einem Hotelzimmer Aufkleber mit der Aufschrift “Alle Lichter aus?” platziert werden, um Strom und Ressourcen zu sparen. Ein weiteres Beispiel sind abschreckende Warnhinweise auf Zigarettenschachteln, um den Zigarettenkonsum zu senken. Nudging bedeutet, den Kontext einer Entscheidung so zu ändern, dass die Wahl einer bestimmten Option wahrscheinlicher wird.
Behavioral Insights – Was steckt dahinter?
Der Begriff “Behavioral Insight” (BI) umfasst einen Themenkomplex rund um die Erkenntnisse der Verhaltens- und Kommunikationswissenschaften. Es geht dabei um Fragen wie: Wie treffen Menschen Entscheidungen? Welchen Einfluss hat der Kontext auf ihr Verhalten? Wann tun sie das, was sie tun wollen, und wann nicht? Ein Beispiel ist die Verlustaversion. Der Schmerz, etwas zu verlieren, ist größer als die Freude, etwas zu bekommen. Wenn ich 15 Euro geschenkt bekomme, freue ich mich drei Stunden lang, aber ich ärgere mich drei Tage lang, wenn ich für ein Knöllchen 15 Euro bezahlen muss.
Nudges hängen insofern mit BI zusammen, als dass sie in deren Konzepten und Modellen als Instrumente – zum Beispiel als sogenannte “Defaults” (Standardoptionen) – enthalten sind. Ein bekanntes Beispiel für einen Default-Nudge ist der Papierverbrauch von Unternehmen: Eine Universität in New Jersey stellte ihre Drucker standardmäßig auf doppelseitigen Druck ein. Die Nutzenden fanden es zu aufwändig, die Einstellung auf “einseitig” zurückzustellen. Ohne Verbote oder Gebote konnte der Papierverbrauch so um 44% verringert werden.
Welche Anwendungsgebiete gibt es?
Nudging kann überall eingesetzt werden, wo Menschen wichtige Entscheidungen treffen, zum Beispiel wenn es um Gesundheit, Sicherheit, Umweltschutz oder Altersvorsorge geht. Es hilft ihnen dabei, sich so zu entscheiden, wie sie es selbst für richtig halten, ohne einen persönlichen Nachteil daraus zu ziehen oder das Gefühl zu haben manipuliert worden zu sein. Mit folgenden Projektphasen und Fragestellungen kann der passende Nudge für die jeweilige Situation entwickelt werden:
Welche Verhaltensweisen sind die Ursache des Problems? Analysieren Sie zunächst durch Umfragen und/oder Fokusgruppen das Problem und die Rahmenbedingungen, um die ursächlichen Verhaltensweisen zu identifizieren, die geändert werden sollen. Ergebnisse dieser Analyse könnten beispielsweise sein: mangelnde Selbstkontrolle, fehlende Aufmerksamkeit oder Denk- und Wahrnehmungsfehler.
Wie können passende Nudges aussehen und in welchem Rahmen können sie letztendlich eingeführt werden? Ermitteln Sie, über welche Kanäle die Zielgruppe am besten erreicht werden kann, um den Lösungsansatz inhaltlich auszugestalten, ihm eine Form zu geben und ein passendes Medium zu nutzen. Nudge-Ansätze können sein: Commitment, Erinnerungen, Information, Vereinfachung und Gefühle, wie Verlustaversion, Wettbewerb und soziale Nähe. Im nächsten Punkt “Mögliche Lösungsansätze” beleuchten wir diese Gefühle noch einmal genauer.
Welche Lösung funktioniert am besten? Testen Sie die vielversprechendsten Lösungsansätze bei der Zielgruppe, um zu ermitteln, welche implementiert werden sollen.
Mögliche Lösungsansätze für effiziente Nudges
Machen Sie sich menschliche Verhaltensmuster zu Nutze, um optimale Nudges zu kreieren:
Menschen lassen sich von anderen beeinflussen. Sie finden Fairness wichtig und berücksichtigen das Wohlergehen anderer in ihren Entscheidungen, vor allem, wenn es um Personen geht, denen sie sich nahe fühlen. Sie versuchen die Erwartungen anderer stets zu erfüllen und orientieren sich daran, was die Mehrheit tut → Stellen Sie durch ihren Nudge soziale Nähe her, um die Empathie bei Ihrer Zielgruppe zu erhöhen und den Gerechtigkeitssinn anzusprechen.
Menschen mögen keine Veränderungen. Menschen habe eine starke Präferenz dafür, den Status Quo beizubehalten oder bei einer Entscheidung zu bleiben, wenn sie sie erst einmal getroffen haben. So kann es zum Beispiel eine Default-Einstellung leichter machen, sich (nicht) zu entscheiden. Solche Voreinstellungen sind sehr wirksam, obwohl sie dennoch die volle Entscheidungsfreiheit enthalten → Legen Sie Defaults fest, die widerspiegeln, was gut für die Entscheidenden und die Gesellschaft ist (vgl. das Beispiel mit der doppelseitigen Drucker-Voreinstellung der Universität in New Jersey).
Menschen wollen nicht(s) verlieren. Objektiv gleiche Informationen können zu unterschiedlichen Entscheidungen führen, je nachdem, ob sie als Gewinn oder Verlust dargestellt werden. Menschen vergleichen sich mit anderen und möchten nicht schlechter dastehen. Der Schmerz, etwas zu verlieren, ist dabei größer als die Freude, etwas zu bekommen → Formulieren Sie Ihre Botschaften sorgfältig, wenn mögliche Gewinne oder Verluste betont werden. Machen Sie Informationen leichter zugänglich und heben Sie wichtige Informationen hervor, indem Sie sie so greifbar wie möglich machen. Setzen Sie Wettbewerbe ein, um Menschen zu motivieren und sie anzuspornen.
Green Nudging
Das sogenannte „Green Nudging“ kann ebenfalls dabei helfen, gewohnte Verhaltensweisen zu durchbrechen und nachhaltigere Konsumentscheidungen zu fördern. Im Hinblick auf die zunehmende gesellschaftliche Offenheit nachhaltiger und ethischer zu konsumieren, eröffnen sich Möglichkeitsfenster für “Green Nudging“. Der Wunsch, nachhaltiger zu konsumieren, wächst vor allem bei den jüngeren Generationen, die aufgeschlossen für neue Formen des Wirtschaftens und des Konsums sind. Die sogenannten Green Nudges finden sich beispielsweise in Bereichen wie Energie und Strom, Mobilität, Ressourcen, Lebensmittel und Wasser wieder. Das Projekt “Green Nudging” der Bremer Energie-Konsens GmbH hat in einem Nudgekatalog eine interessante Sammlung erstellt. Ein paar davon stellen wir jetzt vor:
- Heizenergieverbrauch reduzieren durch Erinnerungsslogans: Durch verschiedene einprägsame Slogans, die als Sticker an den Fenstergriffen angebracht werden, wie “Sei kein Gangster, schließ das Fenster”, werden Menschen spielerisch daran erinnert das Fenster zu schließen, um unnötige Heizkosten einzusparen.
- Individuelle Autofahrten reduzieren: Der “Car-Pool-Nudge” kann in Form eines zentralen Kalenders für das gesamte Team einer Institution angelegt werden, um die Organisation von Fahrgemeinschaften zu erleichtern.
- Richtig Recyceln: Der “Der Weg zum Ziel”-Nudge erhöht die Aufmerksamkeit für korrekte Mülltrennung. Durch das Anbringen von farbigen Fußspuren in schwarz, gelb und blau weist er den Weg zu den jeweiligen Mülltonnen.
- Lebensmittelabfälle reduzieren: Die Tellergröße in Kantinen wird reduziert, denn kleinere Teller reduzieren Portionen, die die Gäste zu sich nehmen. Es könnte als Ausgleich die Möglichkeit eines kostenlosen Nachschlags geben. Die Veränderung der Tellergröße vermittelt ein verändertes visuelles Signal, das der Fehleinschätzung des Hungers entgegenwirkt und nachgewiesenerweise 20% der Lebensmittelverschwendung reduziert. Menschen leben zudem gesünder, da sie weniger essen.
- Handtücher wiederverwenden: In Bädern von Hotelzimmern werden Schilder mit normativen Botschaften angebracht. Die Hotelgäste werden dadurch mit dem Hinweis konfrontiert, dass sich “fast 75% der anderen Hotelgäste dafür entscheiden, ihre Handtücher wiederzuverwenden”. Der Nudge ist wirksam durch den Verweis auf einen konkreten sozialen Referenzpunkt.
Dies sind nur ein paar von unzähligen Beispielen von Nudges. Doch: Wer kann Nudging eigentlich anwenden? “Wir alle!”, sagt Dr. Julia Stauf. “Fast jeder hat irgendwo Zugriff auf die Rahmenbedingungen, unter denen andere Leute Entscheidungen treffen. Wenn ich dafür zuständig bin, Vorräte für die Büroküche zu kaufen, kann ich durch die Anordnung der Sachen im Regal beeinflussen, wie gesund meine Kollegen essen. Und wenn ich wirklich nirgendwo Einfluss auf andere nehmen kann, kann ich immer noch mich selbst nudgen.” Na dann, worauf warten Sie noch? Auf die Nudges, fertig, los!
Literaturtipps von Dr. Julia Stauf
- Ariely, Dan (2008): Predictably Irrational: The Hidden Forces That Shape Our Decisions
- Thaler, Richard; Sunstein, Cass (2009): Nudge: Wie man kluge Entscheidungen anstößt
- Kahneman, Daniel (2012): Schnelles Denken, langsames Denken
- Thaler Richard (2018): Misbehaving: Was uns die Verhaltensökonomik über unsere Entscheidungen verrät
Kontakt
Dr. Julia Stauf
Behavia – Behavioral Public Policy and Economics GmbH
Mail: julia.stauf@behavia.de
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Beitragsbild: foodways.ch
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