Kunst und Kultur auf die Straße bringen

Die Freie Kulturkarawane

Seit 2019 tourt die Freien Kulturkarawane (FKK) durch Thüringen – nicht nur als Zusammenschluss freier Kunst- und Kulturschaffender, sondern als lautstarke Bewegung mit klarer Mission: die freie Szene sichtbar machen, politisch mitreden und für bessere Strukturen in der Kultur- und Kreativwirtschaft kämpfen. Mit dabei sind über 40 Kollektive, Vereine, Veranstaltungsstätten und Initiativen – von Clubs wie dem Kalif Storch bis hin zu studentischen Vertretungen. Ihr stärkstes Ausdrucksmittel: Tanzen als Demonstration. Im Interview sprechen die Mitgründer der FKK Pascal Franz und Thorsten Glaser über ihre Ziele, Herausforderungen und warum kreative Freiheit eine gesellschaftliche Notwendigkeit ist.

Seit 2019 zieht die Freie Kulturkarawane als kreative Protestbewegung durch Thüringen – laut, tanzend und politisch klar positioniert.

Was hat euch inspiriert, die Freie Kulturkarawane zu gründen, und wie kam es zur Idee der Tanzdemonstrationen?

Pascal: Die Idee zur Gründung der Freien Kulturkarawane entstand aus dem Wunsch heraus, Kollektive und Akteur:innen der freien Kreativszene in Thüringen besser zu vernetzen – insbesondere in einer Stadt wie Erfurt, in der kulturelle Räume knapp sind und kaum Austausch zwischen den Gruppen stattfindet. Thorsten und ich waren beide schon lange in der Rave- und Kulturszene aktiv: ich über verschiedene Kollektive wie das Krämpfer-Kollektiv oder Mutabor, Thorsten mit über 20 Jahren Erfahrung in der Organisation von Partys und seiner Rückkehr ins Klanggerüst nach längerer Zeit im Ausland. Als wir beide uns in Erfurt wieder häufiger begegneten, gründeten wir zunächst einen “Disco-Stammtisch“, um Veranstaltende zusammenzubringen, insbesondere jene, die sich im rechtlichen Graubereich bewegten.

Dabei wurde schnell klar, dass es den Beteiligten um mehr ging als nur Partys: Es ging um gemeinsame Werte, politische Haltungen, kulturelle Sichtbarkeit, Zugang zu Technik, Räumen und um eine strukturelle Förderung. Das Bedürfnis nach einer stärkeren gemeinsamen Stimme war spürbar. Die Idee einer Tanzdemonstration, inspiriert von Formaten wie beispielsweise der Mietparade von “Erfurt für alle“, wurde konkret: ein Format, das nicht nur für gesellschaftliche Sichtbarkeit sorgt, sondern auch das positive Lebensgefühl der elektronischen Musikkultur auf die Straße bringt.

Thorsten: Die erste Freie Kulturkarawane 2019 war zwar noch in den Kinderschuhen, aber mit sieben Wagen und rund 500 Menschen, die tanzend und demonstrierend durch die Straßen zogen, bereits ein starkes Zeichen. Damit wurde ein Raum geschaffen, der Jugendkultur, Musik und politische Anliegen jenseits illegaler Wald-Raves, als ernstzunehmender Bestandteil urbaner Kulturarbeit sichtbar macht. Aus einer lokalen Idee wurde eine Bewegung, die mittlerweile längst über die Stadtgrenzen hinaus gewachsen ist.

“Gerade Musik und Kunst haben das Potenzial, Menschen auf niedrigschwellige und kreative Weise für gesellschaftliche Themen zu sensibilisieren.” – Thorsten Glaser

Die Freie Kulturkarawane vereint soziokulturelle Akteure und professionelle Musiker:innen. Welche Synergien ergeben sich aus dieser Zusammenarbeit?

Thorsten: Durch die gemeinsame Arbeit kommen Akteur:innen ins Gespräch, die sonst selten Berührungspunkte haben. Besonders wertvoll ist das daraus entstehende branchenübergreifende Kompetenz-Potpourri: Von Veranstaltungssicherheit über Eventmarketing bis hin zur Organisation von Musikprojekten fließen Erfahrungen aus verschiedensten Bereichen zusammen. Das ist nicht nur für neue Kollektive eine große Hilfe, sondern auch für etablierte Akteur:innen eine wertvolle Ressource. 

Pascal: Wir von der Kulturkarawane verstehen uns dabei nicht nur als Veranstaltende, sondern auch als Plattform zum Wissensaustausch. Unser Ziel ist es, ein breiteres Verständnis für kulturelle Bedarfe zu entwickeln und langfristig beispielsweise eine Kulturlandkarte für die Region zu erstellen. Darüber hinaus möchten wir langfristig Veranstaltungen etablieren, die noch mehr Akteur:innen zusammenbringen. Denn gerade durch die unterschiedlichen Hintergründe der Beteiligten aus Handwerk, Musik, Technik oder Organisation entstehen neue Impulse für kreative Projekte. Die klassische Trennung von “Macher:innen“ und “Konsument:innen“ wird dabei bewusst aufgebrochen. Wir möchten zeigen, wie kulturelles Engagement ohne große finanzielle Mittel möglich ist und vermitteln dieses Wissen aktiv weiter, etwa durch Vorträge und Beratungen zum Thema Fördermittel und Vereinsarbeit.

„Wenn Selbstverwirklichung möglich wird, wird auch die Stadt, in der man lebt, lebenswert. Für Künstler:innen, aber auch für die Gesellschaft.“ – Pascal Franz

Wie wählt ihr die Künstler:innen aus, die an euren Aktionen teilnehmen? Welche Rolle spielt dabei eure persönliche Verbindung zu demokratischen Werten?

Pascal: Die Auswahl der Künstler:innen für unsere Aktionen geschieht zum einen aus gewachsenen persönlichen Netzwerken, zum anderen aber zunehmend auch durch eine offene, dynamische Struktur. Bei der ersten Freien Kulturkarawane haben wir vor allem mit Menschen zusammengearbeitet, die wir bereits aus der Clubszene, von gemeinsamen Projekten oder aus der lokalen Kulturarbeit kannten. Mittlerweile hat sich das verselbstständigt: Künstler:innen und Kollektive kommen auf uns zu, genauso wie wir gezielt Menschen ansprechen, die unsere Werte teilen und Lust haben, sich einzubringen.

Im inneren Orga-Kreis sind wir leider gerade dünn besetzt und verbringen unzählige Stunden mit Planung, Kommunikation und Abstimmungen. Alles rein ehrenamtlich. Wir suchen deshalb immer Leute, die uns bei der Koordination und Organisation unterstützen können. Wer Interesse hat, kann sich gerne bei uns melden! Bis dato gibt es einen erweiterten Kreis von Unterstützer:innen, der sich aus verschiedenen Bereichen der freien Szene speist. Uns ist wichtig, dass alle Beteiligten ein gemeinsames Verständnis von Kultur als demokratischem Raum mitbringen. Wir arbeiten mit Akteur:innen zusammen, die sich mit Werten wie Offenheit, Diversität und Solidarität identifizieren und aktiv dazu beitragen, Kultur als gesellschaftlichen Möglichkeitsraum zu gestalten.

Auf unserer Website ist transparent einsehbar, wer alles Teil der Kulturkarawane ist. Das sind unter anderem Kollektive und Veranstaltungscrews, wie Mutabor, der TraumRaum e.V., Veranstaltungsstätten wie das Kalif Storch, das Klanggerüst und andere Initiativen, wie die SKV, der Lightworx e.V. und der ENKL e.V. sowie Kulturschaffende und Veranstaltungstechniker. Die Mischung ist uns wichtig: Alle bringen ihre Perspektiven, Stärken und ihr Engagement ein, egal ob Clubs,Künstler:innen-Kollektive oder politische Initiativen. 

Tanzen als Demonstration: Die Freie Kulturkarawane bringt Kultur auf die Straße und zeigt, dass kreative Freiheit keine Kür, sondern Notwendigkeit ist.

Was wünscht ihr euch für die Zukunft der Freien Kulturkarawane? Habt ihr Pläne zur Expansion oder zur Einführung neuer Formate? 

Thorsten: Für die Zukunft der Freien Kulturkarawane wünschen wir uns vor allem, dass die Idee weiter wächst und auch in anderen Städten Fuß fasst – wie es 2024 in Jena gelungen ist. Dort haben sich unter anderem der Rosenkeller, das Mikro, das Kultiversum, der CSD Jena und Kollektive wie die Basskateers und Fractaliens sowie weitere Akteur:innen zum Jahreswechsel 2023/2024 angeschlossen. Erste Impulse für eine gemeinsame Kulturplattform gab es bereits während der Corona-Zeit – getragen vom Wunsch, durch Vernetzung und Kooperation mehr zu erreichen. Als schließlich aus dem Netzwerk heraus die Idee aufkam, die Kulturkarawane nach Jena zu bringen, stieß sie sofort auf offene Ohren.

Die Umsetzung in Jena hat gezeigt, wie kraftvoll das Modell auch in anderen Städten sein kann. Es geht nicht nur um Veranstaltungen, sondern auch um eine klare Haltung. Ein starkes Signal für die Demokratie war uns wichtig. Genau dafür braucht es eine laute, kreative und solidarische Kultur, die Position bezieht.

Auch in Jena hat sich die Karawane als Stimme der Kultur verstanden, verbunden mit Gruppen wie “Jena solidarisch“ und Beiräten aus dem Kulturbereich. Besonders beeindruckend war, wie viele Menschen aus der Subkultur sich sofort engagiert haben. Diese Energie, dieses Engagement wollen wir  mit neuen Formaten in weitere Städte tragen, mit der klaren Botschaft: Kunst und Kultur sind politisch.

Was treibt euch persönlich an, bei der Freien Kulturkarawane zu wirken?

Thorsten: Vor allem der Wunsch, dass Jugend und Szene die Stadt mit einer Tanzdemo für sich beanspruchen können: sichtbar, laut, selbstbestimmt. Besonders wichtig ist mir auch der ländliche Raum. Ich bin in Bad Frankenhausen aufgewachsen, wo es für junge Menschen kaum Angebote gab. Deshalb will ich dort Räume für  Musik, Kultur und Begegnung schaffen, wo es keine mehr gibt. Technoclubs waren für mich immer Orte der Zugehörigkeit. Unsere Szene ist Teil der Gesellschaft und wir zeigen, dass Kultur überall entstehen kann, auch jenseits klassischer Institutionen.

Pascal: Meine Motivation ist es, mein Leben so zu gestalten, wie ich es mir vorstelle. Ohne soziokulturelle Räume würde mir ein integraler Lebensinhalt fehlen – das war besonders während Corona spürbar. Es ist wichtig, dass diese Räume nicht kriminalisiert werden. Sie sind eine Zuflucht für viele, die sich selbst verwirklichen wollen. Wenn ich einen Raum erschaffe, dann merke ich, wie ich mich selbst verwirklichen kann. Wenn Selbstverwirklichung möglich wird, wird auch die Stadt, in der man lebt, lebenswert. Für Künstler:innen, aber auch für die Gesellschaft.

Kontakt

www.freiekulturkarawane.de
Mail: kulturkarawane@gmail.com
Instagram: @freie_kulturkarawane

Kommende Veranstaltungen der FKK

17. Mai Soliparty der FKK (Krämpfergärten)
25. Mai Kreativworkshop der FKK (Schillerstraße)
08. Juni Tanzdemo der FKK

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