Im Portrait: die ständige Kulturvertretung (SKV) Erfurt

Im Gespräch mit Florian Dobenecker und Lisa Hilpert

Ohne Kultur wird’s still in den Städten und ohne sie sind Städte nicht lebenswert. Um sich zu organisieren und gefördert zu werden, braucht die Kulturszene jedoch eine starke Stimme, die Aktionen und Projekte realisiert, Freiräume findet, Kreativität sichtbar macht und Belange von Kulturschaffenden bei Förderinstitutionen sowie Entscheidern aus Politik und Wirtschaft kommuniziert.

Aus diesen Gründen hat sich 2016 aus der ehemals “Kulturrauminitiative” die Ständige Kulturvertretung Erfurt (SKV) gebildet. Sie setzt sich aktiv für die Belange der freien Kulturszene in Erfurt ein und vernetzt engagierte Akteure und Akteurinnen, Initiativen und Kulturvereine. Mit Aktionen wie “RE:BOOT”, “Gold statt Braun” und “Kultur flaniert” will die SKV Erfurts vielfältige Kulturlandschaft präsentieren und für sie sensibilisieren. Wir wollten mehr darüber erfahren und haben Vereinsvorstand Florian Dobenecker gemeinsam mit Lisa Hilpert zum digitalen Talk getroffen.

Kerntruppe der SKV Erfurt (i.d. Mitte oben: Florian Dobenecker, rechts neben ihm Lisa Hilpert).

Eine starke Stimme für die freie Kulturszene in Erfurt

“Eine lebendige Stadt braucht Kulturräume”, so Florian Dobenecker. Wir treffen den umtriebigen Thüringer in seinem heimischen Büro. Er lacht, normalerweise sei er derjenige, der interviewt: Der Journalist und Ressortleiter des Erfurter t.akt-Magazins begleitet die Initiative der SKV, die 2021 offiziell als Verein eingetragen wurde, seit 2016.

“Die SKV hat sich zum Ziel gesetzt, sich für die Belange der freien Kulturszene in Erfurt einzusetzen und sich für diese öffentlichkeitswirksam stark zu machen.”

Der Verein, dessen Kerntruppe aus zehn engagierten Erfurtern und Erfurterinnen besteht, wird von einem breiten Netzwerk aus Unterstützenden flankiert – unter ihnen Kulturorte wie das Retronom und die Engelsburg, aber auch Cafés wie das Kurhaus Simone, das Café Hilge, Initiativen wie OQ-Paint, Medienvertreter (unter anderem Radio F.R.E.I.) und die Kulturdirektion Erfurt.

Erfurter RE:BOOT erweckt Kunst und Kultur aus dem Winterschlaf

Einer der aktuellen Aktionen der SKV ist das “RE:BOOT”, das 2021 erstmals in Erfurt stattfand. Kunst- und Kulturschaffende bekamen die Möglichkeit, ihre Werke in Schaufenstern von Händlern und Händlerinnen sowie Cafés und anderen ungewöhnlichen Orten zu präsentieren – corona-konform bei einem Schaufensterbummel. “Entstanden ist die Idee aufgrund der Corona-Pandemie. Museen und Galerien mussten geschlossen bleiben. Wir wollten dem anhaltenden ‘Kulturkoma’ entgegenwirken und Interessierte zu einem einzigartigen Kunstwochenende einladen. Wegen des großen Anklangs vergangenes Jahr haben wir uns entschieden auch dieses Jahr nochmal ein RE:BOOT zu starten. Uns ereilten hunderte von Bewerbungen”, erzählt Florian. Veranstaltet wird die Ausstellung in Zusammenarbeit mit dem Kunsthaus Erfurt, der Galerie HAMMERSCHMIDT + GLADIGAU und dem Café Hilge. Das Kunstwochenende findet dieses Jahr vom 18. bis 20. März statt.

“Mit der Aktion möchten wir nicht nur Kunstschaffende sichtbar machen, sondern auch die Vernetzung mit den Raumgebenden anregen”, so Lisa Hilpert. “Das RE:BOOT wird auch in diesem Jahr von Öffentlichkeitsarbeit in Form von Postern, Flyern und einer digitalen Map, auf der die Künstlerinnen und Künstler sowie die Ausstellungsräume zu finden sind, begleitet. Mit dabei sind das Theater Erfurt, das Stadtmuseum, das Angermuseum sowie zahlreiche Läden von der Innenstadt bis in die Magdeburger Allee.”

Kunst wirkt aktivierend und macht eine Stadt lebenswert

Welche Bedeutung haben derartige Aktionen im Sinne einer lebendigen Stadtgestaltung? “Kunst spielt eine wichtige Rolle in einer lebenswerten Stadt”, resümiert Lisa Hilpert, die als Projektmanagerin drei Jahre lang die Veranstaltungsorganisation des Erfurter Clubs “Frau Korte” betreut hat. “

Sie wird unserer Meinung nach immer noch viel zu sehr in ihrer Bedeutung unterschätzt. Fördert eine Stadt (junge) Kunst, lockt diese wiederum kreative Menschen an und kann diese zum Mitgestalten einer Stadt und zum Bleiben bewegen.”

Florian, nickend in der Zoom-Kachel daneben: “Bildende Kunst, ob in öffentlichen oder geschlossenen Räumen, schafft Zugänge zu geschichtlichen, politischen und anderen sozial relevanten Themen und regt zum Nachdenken und Diskutieren an. Kunst wirkt, als Nahrung für den Geist, unglaublich aktivierend.”

Aktion „Gold statt braun“ (Foto: Peter Runkewitz).

Stadtgestaltung sollte nicht nur rein wirtschaftlich gedacht werden

Eine lebenswerte Stadt mache für Florian zudem ein facettenreicher Mix aus Kulturräumen wie Clubs und Bars, aber auch Parks sowie regionale Läden und Cafés aus. Hierfür brauche es fähige und engagierte Leute an den entscheidenden Stellen, die im Sinne der Kultur handeln und diese fördern.

“Ich persönlich will längst nicht mehr nur in die Stadt gehen, um einzukaufen, sondern ich möchte auch vom kulturellen Angebot gelockt werden”,

ergänzt Lisa, die der Meinung ist, dass das Angebot in den Innenstädten auf die Bedürfnisse der Bewohner und Bewohnerinnen angepasst werden sollte. “Uns fällt oft auf, dass sich kulturelle Orte eher aus dem Stadtkern an den Stadtrand zurückgezogen haben. Das hat verschiedene Beweggründe, viele davon sind finanzieller Natur. Das möchten wir perspektivisch ändern und klar machen, dass es nicht immer zielführend für eine Stadt ist im Sinne der Stadtgestaltung rein wirtschaftlich zu denken, sondern vielmehr ideell.” Der Fokus auf der Innenstadtgestaltung läge leider oftmals nur auf dem Einzelhandel, der aber nur in Kombination mit innerstädtischen Kulturprojekten für die Menschen interessant bleiben wird.

Kultur braucht Räume und finanzielle Unterstützung, um erlebt und gelebt werden zu können

“Kultur hat viele Gesichter. Auch in Erfurt gibt es eine Vielzahl von Akteuren, Vereinen und Initiativen, die unsere Stadt mit Leben füllen. Mit Musik, mit Kunst, mit Tanz, Schauspiel und vielem mehr. Es sind kreative und engagierte Menschen, die unsere Stadt lebenswerter, ereignisreicher und bekannter machen. Aber Kultur ist keine Selbstverständlichkeit. Damit sie sich entfalten kann, muss eine Stadt die nötigen Voraussetzungen schaffen: Räume, damit sie erlebt und gelebt werden kann und finanzielle Unterstützung natürlich”, so Dobenecker, den es 2005 aus seiner Heimat Steinach in Südthüringen nach Erfurt zum Studium verschlagen hat.

“Hier kommt die Politik ins Spiel”, ergänzt Kulturmanagerin Lisa Hilpert. “Wir von der SKV sehen uns als Mittler zwischen kreativen Köpfen und Orten und den öffentlichen Institutionen. Wir spüren Bedarfe und ‘Pain Points’ auf und kommunizieren diese schließlich in gemeinsamen Gesprächen mit der Stadt und Ansprechpartnern und -partnerinnen aus Politik, Wirtschaft und Verwaltung. Zudem machen wir auf die freie Szene durch Aktionen im öffentlichen Raum, aber auch über Social Media und durch Pressearbeit aufmerksam.”

Erfurts Kultur und freie Szene mitgestalten

“Wir sind immer wieder davon fasziniert, wie viel eine Einzelperson erreichen kann. Was nur erst gemeinsam?”, so Lisa. Um ihre Vorhaben weiter realisieren zu können und die Vernetzung und das Mitspracherecht bei kulturpolitischen Entscheidungen weiter voran zu treiben, freut sich die SKV stets über interessierte Mitglieder.

“Wer Lust bekommen hat gemeinsam mit uns der freien Szene in Erfurt eine starke Stimme zu geben, Projekte zu realisieren und neue Ideen zu entwickeln, der kann sich gerne bei uns melden oder einfach zum Kulturstammtisch kommen, zu dem wir uns regelmäßig jeden zweiten Donnerstag im Monat an verschiedenen Orten in Erfurt treffen”, erklärt Florian Dobenecker.

Wege ebnen, statt Steine in den Weg legen

Gemeinsam mit dem Team der SKV und den Netzwerkpartnern, möchten Lisa und Florian eine kulturfreundliche Stadtverwaltung schaffen, die die Bedarfe und Bedürfnisse der kreativen Szene respektiert und Wege ebnet, statt Steine in den Weg zu legen. “Kunst und Kultur sind immer schön, wenn man sich mit ihr als Stadt schmücken kann“, so Florian. “Kultur kann aber auch laut und unangenehm sein, sie braucht Unterstützung und sie hat Bedürfnisse, die von den richtigen Leuten gehört werden sollten. Vor allem bei so einer kleinteiligen Kulturszene, wie in Erfurt, braucht es Organisationen wie die SKV, die diese Bedürfnisse einfordert und öffentlichkeitswirksame Projekte umsetzt.”

Kontakt

Ständige Kulturvertretung Erfurt (SKV)
Mail: kontakt@staendigekulturvertretung.de
@skv_erfurt
facebook.com/StaendigeKultur

Noch mehr Eindrücke vom RE:BOOT 2021 (Fotos: Minetta)

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