Im Thüringer Schwarzatal, einst beliebtes Naherholungsgebiet für Besucher:innen aus ganz Deutschland, findet man das Haus Bräutigam. Das typische Sommerfrischehaus in Schwarzburg diente seit seiner Errichtung im Jahr 1907 bis in die 1990er-Jahre als Gästehaus. 2018 begannen engagierte Menschen, das bis dahin leerstehende Gebäude als potenziellen Kreativort umzunutzen. Ein Jahr später gründete sich aus dieser Initiative der Verein Haus Bräutigam. Das Projekt, das von Anfang an maßgeblich von der Internationalen Bauausstellung (IBA) Thüringen begleitet wurde, widmet sich der Transformation von Leerstand in einen Experimentierraum für neue Möglichkeiten kreativer Begegnung unterschiedlicher Professionen und der Inspiration. Daneben will der Verein aufzeigen, wie man mit nachhaltigen und regionalen Baustoffen Instandsetzung neu denken kann. Über die Bedeutung kreativer Räume und ihre Chancen für den ländlichen Raum, die das Haus erschließt, sprachen wir mit den Mit-Initiatorinnen Maria Gottweiss und Maria Frölich-Kulik.

Haus Bräutigam – ein Ort zum gemeinsamen Experimentieren im ländlichen Raum
„Einen offenen Ort für Begegnung in der Region schaffen“, so erklärt Maria Gottweiss das Ziel der Revitalisierung des Haus Bräutigam. Die Grafikdesignerin aus Weimar begleitete das Projekt von Anfang an. Ursprünglich lernte sie das Haus Bräutigam beim Tag der Sommerfrische kennen, ein von der Zukunftswerkstatt Schwarzatal und der IBA Thüringen organisiertes Event im Tal, an dem unter anderem sonst verschlossene Orte, wie ehemalige Sommerfrischehäuser von lokalen Akteur:innen geöffnet und vielfältig bespielt werden. Die ab Mitte des 19. Jahrhunderts entstandenen Sommerresidenzen des Bürgertums sind geprägt von Fachwerk, kleinen Türmen und einer Anmutung, die an Bäderarchitektur erinnert. Die Blütezeiten der inzwischen verwaisten Sommerfrischehäuser sind längst vorbei. Doch als Maria und andere Kreative das brach liegende Haus besichtigten, waren sie inspiriert von der Idee, (wieder) mehr daraus zu machen. 2018 keimte erstmals der Wunsch danach auf, das Objekt dauerhaft zu erhalten und mit neuen Ideen und Konzepten zum Leben zu erwecken. Eine Initiative, ausgehend von mehreren Mitarbeiter:innen der Bauhaus-Universität Weimar, beschäftigte sich mit möglichen Umnutzungsszenarien. Im Folgejahr wurde der Verein Haus Bräutigam gegründet. Die bis 2023 existierende IBA Thüringen begleitete die Gruppe bei der Ideenfindung und der Beantragung von Fördermitteln.
Flexible Nutzung: temporäres Wohnen und Arbeiten
Seitdem entsteht ein Ort mit einer neuen Gastlichkeit, der temporäres Wohnen und Arbeiten im Schwarzatal ermöglicht. „Dabei bleibt das Konzept bewusst flexibel“, erklärt Maria Frölich-Kulik, die auch Vorstandsmitglied des Vereins ist. Es geht vor allem um vielfältige Nutzungsmöglichkeiten, die sich zusammen mit den Bedürfnissen der Bewohner:innen in der Region und den Gästen des Hauses entwickeln sollen. Die Verbindung aus nachhaltigem Bauen, der Aktivierung von Räumen sowie dem Blick auf die besondere Typologie der Sommerfrischehäuser und die Region des Schwarzatals macht das Projekt für die Vereinsmitglieder besonders spannend. Die knapp 20 aktiven Mitglieder – darunter Architekt:innen, Designer:innen, Regionalplaner:innen Denkmalpfleger:innen, Sozialwissenschaftler:innen, sowie Ingenieur:innen und Mediziner:innen – setzen ihre Vision vor allem an den Wochenenden in die Tat um. Als Initiative in Weimar gestartet, haben sich mittlerweile auch Menschen aus der Region dem Projekt angeschlossen. „Viele der Mitglieder des Vereins bringen Expertise aus der Arbeit mit bestehenden Gebäuden ein und haben sich intensiv mit den spezifischen Inhalten und Optionen des Hauses auseinandergesetzt“, so Maria Frölich-Kulik. Die Motivation ist vielfältig. Einerseits reizt viele die Möglichkeit, theoretisches Wissen aus der Architektur- und Planungswelt praktisch umzusetzen. Andererseits schätzen sie den großen Spielraum, den das Projekt bietet: Da die Arbeit ehrenamtlich geschieht, verpflichten sich die Mitglieder in erster Linie sich selbst, was Freiräume für Experimente schafft. Im Haus setzt der Verein verschiedene Beteiligungsformate um, die regelmäßig zum Anpacken, Ausprobieren und Beleben des Gebäudes einladen. So kann man beim Format „offene Baustelle“ bei anstehenden Arbeiten im Haus mithelfen. Die „Bauschule“ lädt interessierte Laien ein, sich eine Woche lang vor Ort mit Bauthemen zu beschäftigen und dabei auch im Haus zu wohnen. Oftmals sind es Studierende, die beispielsweise mit Lehm und Dämmstoffen aus nachwachsenden Rohstoffen hantieren und praktisch dazulernen. Teile des Hauses Bräutigam werden so weiter ausgebaut und saniert.
„Es ist nicht einfach, aber auf dieser Spielwiese zu experimentieren und trotz begrenzter Ressourcen mit Freude gemeinsam etwas zu entwickeln, eröffnet neue Perspektiven“


Ein anderes Format sind Residenzen für Künstler:innen und Gestalter:innen. Zweimal bot der Kreativort bereits Gästen die Möglichkeit zum temporären Wohnen und Arbeiten. „Die Residenzen zeigen uns, über das Bauen hinaus, neue Perspektiven und Nutzungsweisen auf. Menschen kommen in das Haus und probieren sich aus, interagieren mit dem Gegebenen. So wird auf anderer Ebene sichtbar, welche Potenziale im Gebäude stecken“, sagt Maria Gottweiss. Teilnehmende konnten sich mit ihren Ideen bewerben. Die einzige Voraussetzung: mit kreativen Projekten Bezug zum Haus oder zum Ort schaffen. So ließ der Resident und Künstler Christoph Blankenburg den Schwarzburger Kreisverkehr mit einer Tanzperformance in neuem Licht erscheinen und sorgte bei den Bewohner:innen für Aufsehen. Der Künstler René Schwolow erstellte Soundcollagen aus Geräuschen des Hauses und der umliegenden Natur. Die Residentin und Künstlerin Beatriz Oria Lombardía initiierte ein gemeinsames Essen mit Gerichten und Utensilien, die aus dem im Tal wachsenden Japanischen Staudenknöterich entstanden – einer invasiven Pflanze, die auf dem Teller der Gäste zur verzehrbaren Nutzpflanze wurde. „Genauso betrachten wir uns auch“, ergänzt die Designerin schmunzelnd – als eine Art „nützliche Neuerung“, die in eine bestehende Ordnung etwas einbringt, das zunächst fremdartig erscheint.
Austausch mit der Region
Hineinranken wollen die Kreativen auch in den Ort. Deshalb begleiten sie ebenso Projekte außerhalb des Haus Bräutigam. Gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen aus Schwarzburg wurde beispielsweise, im Rahmen eines Kooperationsprojektes mit der Bauhaus-Universität Weimar, eine Boulderwand im Ort konzipiert und gebaut: „Auch die junge Generation zu erreichen, ist uns wichtig. An Projekten zusammen zu arbeiten, fördert Offenheit, den Blick über den Tellerrand und schärft das Bewusstsein, dass man Gestaltungsmacht hat – sei es bezogen auf das eigene Umfeld oder die Gesellschaft“, so Maria Gottweiss. Bei derartigen Aktionen lernen die Jugendlichen den Ort durch eine andere Brille kennen und tauschen sich intensiv mit dem Haus Bräutigam und seinen Akteur:innen aus. Auch lokale Unternehmen unterstützten das Vorhaben. „Es braucht Offenheit in beide Richtungen“, sagt Maria Frölich-Kulik. „Dafür müssen wir zuhören, Verständnis füreinander entwickeln und die eigene Blase verlassen.«“Maria Gottweiss ergänzt: „Es gibt mittlerweile viele positive Berührungspunkte mit den Einwohner:innen Schwarzburgs. Wir lernen, wen wir bei bestimmten Themen anfragen können, leisten und bekommen Nachbarschaftshilfe.“ Das war nicht immer so: Investor:innen, die in der Vergangenheit Gebäude in der Region, wie auch das Haus Bräutigam, erworben hatten und dann verfallen ließen, haben die Leute vor Ort skeptisch gemacht. Zwar nehmen die Menschen das Gebäude aktuell hauptsächlich von außen wahr, die Zweifel in Schwarzburg schwinden aber zunehmend. „Das ist gewachsenes Vertrauen, welches aus unserem Engagement der letzten Jahre heraus entstanden ist. Gegenseitiges Verständnis entwickelt sich mit der Zeit, wenn man dranbleibt“, betont sie. „Für einige ist es mitunter schwer verständlich, dass ein Bauprozess so viel Zeit in Anspruch nimmt. Doch der Fortschritt des Hauses erzeugt eine positive Resonanz.“


Gastlichkeit im Wandel: Räume, die wachsen
Historisch war das Schwarzatal ein Ort, an dem viele Reisende ihren individuellen Rückzugsraum fanden – in Zukunft soll daher auch die Gastlichkeit wieder mehr in den Fokus gerückt werden: „Natürlich wollten wir das Haus anfangs schnell in einen bewohnbaren Zustand bringen und wieder der Öffentlichkeit zugänglich machen, aber die Baumaßnahmen erwiesen sich als komplexer als anfangs erwartet“, sagt Maria Gottweiss. Die ersten Nächte verbrachten sie in Zelten im Haus. Mittlerweile gibt es Betten, doch vieles wird bewusst einfach gehalten. Ganz nach dem Motto: Luft nach oben birgt kreatives Potenzial, das es noch zu entdecken gilt. Dieses Potenzial wurde beispielsweise für die Idee zu einem Terrazzoboden genutzt, der ganz auf regionale und zirkuläre Materialien setzt. Initiiert von Christine Dörner, die sich mit traditionellen Handwerkstechniken auseinandersetzt und ebenso Gründungsmitglied ist, wurde der Terrazzo gemeinsam mit Studierenden im Rahmen eines Seminars an der Bauhaus-Universität Weimar gefertigt. Unterstützt wurde das Projekt von einem professionellen Terrazziere aus Regensburg, der den Boden zusammen mit den Studierenden herstellte. „Der Terrazzo besteht aus Bindemitteln und Zuschlagstoffen, die für die charakteristischen gesprenkelten Muster sorgen. Verwendet wurden möglichst lokale Materialien: Saalburger Marmor, Porzellanreste aus der Porzellanmanufaktur Kahla, alte Schieferplatten, Ziegelstaub und sogar Sektflaschen aus einem Weimarer Studierendencafé fanden Verwendung“, erklärt Maria Frölich-Kulik. Gemeinsam mit Baustoffexpert:innen wurde der Boden entwickelt, im vergangenen Sommer vor Ort eingebracht sowie anschließend geschliffen und geölt, um künftig als Küchenboden zu dienen.
Finanzierung und Netzwerke: Vielfalt der Förderstrukturen
Um Derartiges umzusetzen, braucht es eine gute Förderstruktur zur Finanzierung, die laut den Initiator:innen aus einer „Vielzahl von Quellen“ erfolgt. Der Großteil der Mittel stammt aus EU-Förderungen und Landesmitteln, darunter auch aus dem LEADER-Programm, das Projekte mit thematischem Schwerpunkt in der Regionalentwicklung unterstützt. Ein weiterer Baustein sind Eigenmittel – auch durch Eigenleistung – und Spenden, die durch aktive Netzwerkarbeit und die Unterstützung von Förder:innen zusammengetragen wurden. Ergänzt wird das Budget durch Einnahmen aus Veranstaltungen und Workshops, bei denen der Verein seine Projekte und Konzepte präsentiert, aber auch durch das inhouse produzierte Magazin: „Mit dem Magazin können wir unser Projekt über Schwarzburg hinaus sichtbar machen und Leser:innen die Visionen des Hauses näherbringen. Wir wollen Raum schaffen, der über seine physische Bedeutung hinausgeht“, erklärt Gestalterin Maria Gottweiss. Besonders das zweite Heft ist für Kreativschaffende spannend, da es sich intensiv mit der im Haus Bräutigam 2023 stattgefundenen Residency auseinandersetzt. Interessierte können die Hefte über die Internetseite des Vereins bestellen – gegen eine kleine Spende, die direkt dem Haus zugute kommt. „Wer Lust hat, kann gern mit anpacken und uns bei den offenen Baustellen oder alternativ durch Spenden für den gemeinnützigen Verein unterstützen“, sagt Maria Gottweiss. Auch kann man sich für konkrete Projekte melden. „Jede Form der Unterstützung ist willkommen!“
„Das Haus Bräutigam soll sich langfristig selbst tragen“, erklärt Maria Frölich-Kulik weiter. Wasser, Strom und Pacht können nicht allein mit Naturalien bezahlt werden, weshalb es trotz allem ein tragfähiges finanzielles Konzept braucht. „Bauwasser und Baustrom sind auf Dauer keine Lösung“, sagt sie. Ein langsamer Prozess, der sich entwickeln muss. „Es ist nicht einfach“, räumt sie ein, „aber auf dieser Spielwiese zu experimentieren und trotz begrenzter Ressourcen mit Freude gemeinsam etwas zu entwickeln, eröffnet neue Perspektiven.“ Das Projekt Haus Bräutigam zeigt, wie leerstehende Gebäude auf dem Land kreativ und gemeinschaftlich genutzt werden können, ohne sie in reine Airbnb-Objekte zu verwandeln. Das stärkt das Selbstwertgefühl dieser Orte und macht ihre Schönheit sichtbar. Maria Frölich-Kulik ergänzt: „Der ländliche Raum verzeichnet einen schwierigen Trend – Demografie- und Strukturwandel führen zu einer Abwanderung und damit auch zum traurigen Leerstand von Gebäuden. Wir möchten ein Zeichen setzen, regional aber auch überregional klar machen, wie schön es hier ist und andere dazu motivieren, es uns gleich zu tun. Wobei es bei aller Euphorie auch wichtig ist, offen zu kommunizieren, dass Projekte wie unseres nicht einfach sind.“

Gemeinwohl im Fokus: Prinzipien der Nutzung
Mit dem Haus einen gemeinwohlorientierten, offenen Raum zu schaffen, ohne sich dabei privat zu bereichern, ist eines der Anliegen der Vereinsmitglieder. Deshalb gingen Haus und Grundstück 2020 in das Sondervermögen StadtLand Thüringen ein, das die IBA Thüringen mit der „Stiftung trias“ gegründet hatte. Der Verein Haus Bräutigam schloss einen Erbbaupachtvertrag über 99 Jahre mit der Stiftung ab. Die Erlöse aus dem Erbbauzins des Hauses fließen nun in neue Initiativen in Thüringen, die ähnlich offen und gemeinschaftsbildend arbeiten wie der Haus Bräutigam e.V. „Die Nutzung ist mit der Stiftung trias nachhaltig geklärt“, erläutert Maria Frölich-Kulik. Folgeinitiativen im Haus müssten sich ebenfalls an diese Grundprinzipien des gemeinwohlorientierten Ansatzes halten. Ihrer Meinung nach brauche es für solche Projekte vor allem Ausdauer, naiven Optimismus, Urvertrauen, interessierte Fördermittelgeber:innen, ein starkes Konzept und ein gut funktionierendes Team.
Veränderung und Einfluss: Bildung und neue Perspektiven im Schwarzatal
Die Akteur:innen des Haus Bräutigam sehen nicht nur in Schwarzburg, sondern im gesamten Schwarzatal großes Potenzial für die Zukunft: „Eine Vision ist es, das Schwarzatal als Wissens-Hub zu entwickeln“, berichtet Maria Frölich-Kulik und erzählt von anderen Projekten in der Region, die die Karte des Schwarzatals mit Kreativität und Experimentierräumen füllen. Wie etwa das Projekt der Kulturbrauerei im nahegelegenen Paulinzella, der KulturNaturHof in Bechstedt, der Hof 5 mit Coworking-Space in Gösselborn oder das Haus Döschnitz. „Es könnte hier in Zukunft ein Netz aus transformativen Bildungsorten mit verschiedenen Formaten entstehen, die Themen wie Bauen, Tourismus, Kultur, Bildung und Geschichte miteinander verknüpfen“, sagt sie begeistert. Das Haus Bräutigam ist nur ein Baustein von vielen. „Wir stellen uns das wie eine Mikro-Universität vor, eine Anlaufstelle, an der verschiedene Expertisen zusammenkommen, Austausch stattfindet und daraus zukunftsfähige Projekte entstehen.“
Kontakt
www.haus-braeutigam.de
Instagram: @hausbraeutigam
THAK Tipp: Sommerfrische Haus Bräutigam 2025
Am 24. August werden von 11 bis 17 Uhr die Arbeiten von fünf Künstler:innen präsentiert, die während der Residency Sommerfrische Schwarztal 2023 im Haus Bräutigam entstanden sind. Um 11 und um 16 Uhr finden zudem Führungen durch das Haus Bräutigam statt. Dabei werden die Arbeit des Vereins sowie die geplanten Schritte zur Instandsetzung des Gebäudes vorgestellt.
Tag der Sommerfrische im Schwarzatal
Am Sonntag, den 24. August 2025, laden darüber hinaus vielfältige Akteur:innen zum Tag der Sommerfrische ein. In 15 Orten des Schwarzatals, von Bad Blankenburg bis Böhlen und von Schwarzburg bis Oberweißbach, können Besuchende mehr als 30 Programmpunkte erleben.
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