Forum Theater-Projekt in Erfurt schafft eine Plattform für echte Dialoge

Ein Interview mit Projektleiterin Syuzanna Fiberg vom ZLG Zusammen-Leben-Gestalten e.V.

Künstler:innen mit und ohne Migrationshintergrund lassen gesellschaftlich brisante Themen wie Diskriminierung, Rassismus und Vorurteile durch improvisierte Szenen lebendig werden. Dies und mehr erleben interessierte Zuschauer:innen bei den Vorstellungen des Forum Theater-Projekts in Erfurt. Dieses besondere Theaterformat, unter der Leitung von Syuzanna Fiberg und Thilo Krummeich, lädt das Publikum ein, mitzuwirken und gemeinsam über neue Lösungsansätze nachzudenken. Das Ziel: Brücken zwischen Kulturen und Lebenswelten bauen. Das Werkzeug: Darstellende Kunst. Im Interview mit Syuzanna erfuhren wir, wie sie gesellschaftliche Grenzen sprengen und Raum für echten Dialog schaffen will.

Die Forum Theater-Crew, in der Mitte hinten Leiterin Syuzanna Fiberg.

Wie kam die Idee zum Forum Theater?

Die Methode des Forum Theater habe ich als Studentin der Soziologie in Moskau kennengelernt, wo ich meinen Bachelorabschluss in kommunaler und städtischer Verwaltung absolvierte. Neben dem Studium sammelte ich viele Erfahrungen in Non-Profit-Organisationen. Insbesondere der Bereich Workshop-Training hatte es mir angetan. Hier habe ich erstmals die Forum Theater-Methode umgesetzt, um mit den Bürger:innen über gesellschaftlich relevante Themen wie Frauenrechte, Traditionen und Stereotype ins Gespräch zu kommen. Wir zogen, ähnlich wie in Erfurt, mit einer Laienschauspieler:innen-Gruppe von Ort zu Ort – immer mit anderen Themen im Gepäck, die ich aus Polizei- und Zeitungsberichten extrahierte. Es war sehr spannend, vor allem die unterschiedlichen Perspektiven von jungen und alten Menschen in ländlichen Gebieten zu hören.

Vor fünf Jahren kam ich dann aus privaten Gründen nach Deutschland. Seit drei Jahren bin ich beim ZLG Zusammen-Leben-Gestalten e.V. tätig, wo ich ursprünglich als Projektassistentin begonnen habe. Unser Ziel ist es, kreative Räume für Migrant:innen und Deutsche zu schaffen, auf denen sie sich auf Augenhöhe begegnen können. So entstand auch die Idee, das Forum Theater-Projekt nach Thüringen zu bringen, das bis Ende 2024 vom Bundesministerium des Innern (BMI) gefördert wird.

Wie unterscheidet sich das Forum Theater von traditionellen Theaterformen?

Das Forum Theater folgt einem offenen Konzept. Anders als im traditionellen Theater gibt es hier keine festen Rollen und die Zuschauer:innen sind nicht nur passive Beobachter:innen. Sie können auf die Bühne kommen, die Handlung ändern oder mit den Schauspieler:innen in einen Dialog treten. Das schafft eine besondere Dynamik, denn jede Aufführung ist anders. Es geht darum, Konflikte zu verbildlichen und das Publikum dazu zu bringen, sich unwohl zu fühlen – um dann gemeinsam Lösungen zu finden.

Im Improvisationstheater, aus dem das Forum Theater entstanden und das immer noch Teil der Methode ist, geht es auch darum, zu scheitern und sich auf der Bühne in schwierige Situationen zu begeben. Das ermöglicht eine Freiheit, die man im klassischen Theater selten findet.

Was war der ursprüngliche Impuls für die Gründung des Forum Theater-Projekts in Thüringen?

Die Idee entstand aus Gesprächen mit Teilnehmenden unserer Sprachkurse, die wir im ZLG Zusammen-Leben-Gestalten e.V. anbieten. Sie erzählten mir von alltäglichem Rassismus, Diskriminierung und ihren Erfahrungen in öffentlichen Räumen, zum Beispiel in der Straßenbahn oder beim Einkaufen. Gleichzeitig hörte ich ähnliche Geschichten von der deutschen Community – Menschen, die aufgrund anderer Merkmale Diskriminierung erlebten. Da dachte ich: „Wow, das muss verarbeitet werden.“ Ich wollte eine Plattform schaffen, auf der wir über diese Situationen offen sprechen können, auf Augenhöhe, ohne Vorurteile und Stereotype.

Die Forum Theater-Methode, die ursprünglich aus Brasilien stammt und von Augusto Boal im Theater der Unterdrückten entwickelt wurde, ist eine Form des interaktiven Theaters, die zum Ziel hat, Theater für alle erreichbar zu machen – als Mittel des Dialogs und um die soziale Realität zu verändern. Dadurch entsteht ein sicherer Kunstraum, in dem wir soziale Konflikte auf eine interaktive Weise mit dem Publikum aufarbeiten können. Es geht nicht darum, die Welt auf der Bühne zu ändern oder auch nicht darum, Opfer oder Täter:in festzulegen, sondern darum, die Perspektiven der Menschen zu erweitern und sie zum Nachdenken anzuregen. Dabei kann der Ort der Bühne als ein Raum des Empowerments genutzt werden, um Menschen die Möglichkeit zu geben, ihre eigenen Geschichten und Erfahrungen zu teilen, sich selbst zu ermächtigen und neue Sichtweisen zu entwickeln.

Wer ist Teil des Projekts?

Unser Team besteht aus Menschen mit und ohne Migrationshintergrund, sowie Schauspieler:innen und Laienschauspieler:innen. Ich habe zum Beispiel in Erfurt mit Thilo Krummeich einen unglaublich talentierten Theaterpädagogen und Improschauspieler kennengelernt, der seit Anfang des Projekts die wichtige Rolle als Moderator in Forum Theater-Aufführungen übernimmt. Er baut eine Brücke zwischen Bühne und Publikum und schafft einen sicheren Raum für alle.

Die Geschichten, die wir auf die Bühne bringen, sind oft persönliche Erlebnisse der Darsteller:innen oder aus dem Polizeibericht von Erfurt und Thüringen. Letztes Jahr haben wir 32 Aufführungen durchgeführt, unter anderem in Gera, Altenburg, Jena, Apolda, Weimar und Erfurt. Unsere Zielgruppe sind häufig Erwachsene mit und ohne Migrationshintergrund, aber auch Schüler:innen. Themen wie Mobbing in der Schule spielen ebenfalls eine große Rolle. Generell sprechen wir mit unserem Forum Theater interessierte Zuschauer:innen jeden Alters und jeder Herkunft an. Umso vielfältiger das Publikum, umso besser der Dialog.

„Durch das Forum Theater-Projekt haben wir es geschafft, schwierige und komplexe Themen auf eine neue Art zu verarbeiten und Menschen ins Gespräch zu bringen. Jede Meinung und Erfahrung ist wichtig, und auch andere Perspektiven zu akzeptieren“

Gab es Herausforderungen bei der Umsetzung des Projekts?

Manche Themen, die wir behandeln – wie Rassismus oder sexuelle Belästigung – sind emotional sehr aufgeladen und wir wissen nie, wie das Publikum darauf reagiert. Wir hatten zum Beispiel eine Aufführung, bei der ein sexueller Übergriff auf eine Kellnerin auf der Bühne nachgestellt wurde. Einige Zuschauer:innen meinten, das sei in Ordnung, andere fanden es absolut inakzeptabel. Die Moderation solcher Themen ist eine echte Herausforderung, weil wir einen Raum schaffen wollen, in dem jede:r gehört wird. Trotzdem ist es uns wichtig, Menschen zum Nachdenken anzuregen, auch wenn es manchmal unangenehm ist. Besonders stolz sind wir darauf, dass wir von Anfang an unsere Aufführungen kostenfrei anbieten und bisher so viele unterschiedliche Menschen erreichen konnten. 

Seit 2022 tourt das Forum Theater durch Erfurt und Thüringen und begeistert mit seinen interaktiven Aufführungen. Leider wird das Projekt nur noch bis Ende des Jahres gefördert. Um dem Theater eine feste Bühne zu geben, haben wir uns entschieden, in den kommenden drei Monaten regelmäßige Auftritte in der FRANZ MEHLHOSE in Erfurt anzubieten. Die Premiere „Neue Szenen, Neue Themen“ findet am 24.09., um 19.00 Uhr statt. Zudem treten wir im Rahmen der Interkulturellen Woche am 26.09., um 19.00 Uhr, in der Bibliothek am Dom auf.

Was erhoffst du dir von der Interaktion mit dem Publikum?

Wir versuchen, mit dem Forum Theater Menschen aus verschiedenen Lebenswelten zusammenzubringen und abstrakte Ängste oder Vorurteile abzubauen. Es geht darum, Brücken zu bauen, indem man über seine eigenen Erfahrungen spricht und anderen zuhört.

Ein sehr bewegender Moment ergab sich nach einer Aufführung, als die Leiterin eines Kindergartens zu uns kam. Sie erzählte, dass sie bisher immer Kinder mit deutschen Namen bevorzugt habe, wenn es um die Vergabe von Kindergartenplätzen ging. Nach der Aufführung hat sie ihre Einstellung komplett überdacht und war zutiefst bewegt. Solche Momente zeigen uns, wie viel Theater bewirken kann. Es schafft Dialoge und bringt Menschen dazu, ihre Sichtweisen zu hinterfragen.

Wie plant ihr die Weiterentwicklung des Projekts – über Erfurt hinaus? 

Wir möchten das Projekt nachhaltig gestalten. Dafür haben wir eine Toolbox entwickelt, die es anderen Gruppen und Spielstätten ermöglicht, eigene Forum Theater-Gruppen zu gründen. In Nordhausen, Altenburg und Jena gibt es bereits neue Gruppen, und wir arbeiten weiterhin daran, das Projekt auf andere Städte und Bundesländer auszuweiten. Bis dahin freuen wir uns auf die nächsten Aufführungen sowie interessierte und offene Zuschauer:innen.

Kontakt

Syuzanna Fiberg
ZLG Zusammen-Leben-Gestalten e.V.
Projektkoordination
Mail: syuzanna.fiberg@iwmgmbh.eu
Tel.: +49 163-9711055
www.zlg-ev.de

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