EFFECTUATION – DIE UNGEWISSHEIT NUTZBAR MACHEN

Welche Möglichkeiten du in unternehmerischen Krisenzeiten hast

Die Corona-Krise hat den unternehmerischen Alltag auf den Kopf gestellt. UnternehmerInnen aus allen Branchen und Bereichen leben Tag für Tag in Ungewissheit. Für viele geht damit eine gedankliche Blockade einher, die die Handlungsfähigkeit im eigenen Business lähmt. Doch eben genau dieses unübersichtliche Terrain birgt Potenziale in sich: Durch die Methodik der “Effectuation” können Situationen der Ungewissheit für innovative Potenziale nutzbar gemacht werden. In ihrer Herangehensweise ähnelt sie künstlerischen Prozessen und kann daher auch mit Design Thinking und anderen agilen Methoden verglichen werden. Wie Sie die Methode anwenden können, wer erfolgreich durch Effectuation geworden ist und welche Möglichkeiten Sie nun in dieser unternehmerischen Krisenzeit haben, erklärte uns Kulturmanager, Hochschuldozent für Entrepreneurship und Kreativwirtschaft sowie Systemischer Personal & Business Coach Christof Schreckenberg:

Sketchnote: Informationsdesign Claudia Zech.

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Ob mittelständische Unternehmen, Kreativschaffende, FreiberuflerInnen oder Soloselbstständige: Jeder kann die Effectuation-Methode für sich und sein unternehmerisches Handeln anwenden. Hier zählen weder ein linearer Businessplan, noch Management-Routinen: Vielmehr geht es um zirkuläre Prozesse, intuitive Vorgänge, das Nutzen von bereits vorhandenen Ressourcen und Kontakten sowie das Sammeln von Erfahrungen durch Ausprobieren. Am effektivsten greift diese Methode in Zeiten der Entscheidungsunsicherheit am Anfang eines Unternehmens oder beim Treffen auf ungeahnte Herausforderungen oder Zufälle. Dabei ist eine Grundvoraussetzung die Flexibilität des unternehmerischen Denkens. Eines der bekanntesten Beispiele ist die missglückte Erfindung des Superklebers, die in einem nur temporär haftendem Post-It endete und Erfolgsgeschichte schrieb.

Das sogenannte Effektuieren folgt dabei 5 Grundprinzipien:

1. Bird in Hand Principle – Vorhandene Ressourcen nutzen

Was kann ich? Was habe ich? Wen kenne ich, um meine Zielvorstellungen zu erreichen? Im ersten Grundprinzip der Effectuation-Methode geht es darum, seine bereits vorhanden Ressourcen beim Angehen der unternehmerischen Idee auszuschöpfen. Damit sind nicht ausschließlich finanzielle Ressourcen gemeint. Sondern auch die Fähigkeiten, das Wissen und die Wertvorstellungen, die die Unternehmerpersönlichkeit mitbringt. Erkennen Sie Ihre Ressourcen und fassen Sie diese zusammen. Welche Rolle kann dabei das vorhandene Netzwerk einnehmen, um Ihre unternehmerischen Möglichkeiten zu potenzieren? Was haben Sie bereits in petto, um sofort loslegen zu können?

2. Affordable Loss Principle – Leistbaren Verlust festlegen

Beim zweiten Grundprinzip der Effectuation-Methode bestimmen UnternehmerInnen den leistbaren Verlust an Zeit, Geld oder Kontakten. Das Risiko der Unternehmung wird durch geringe Investitionen minimiert und dadurch weitgehend angst- und hürdenfrei. Es geht nicht darum, alles auf eine Karte zu setzen, sondern in kleinen Schritten die eigenen Zielvorstellungen zu erreichen. So konnte beispielsweise der Gründer der größten US-amerikanischen Autovermietung “U-Haul” mit einem Startkapital von gerade mal 5000 Dollar ein Imperium aufbauen. Fokussieren Sie sich nicht auf Gewinn-Phantasien. Was sind Sie bereit, auf ihrer individuellen Grundlage zu investieren?

„Es geht nicht darum, alles auf eine Karte zu setzen, sondern in kleinen Schritten die eigenen Zielvorstellungen zu erreichen“

Bild: Pixabay.

3. Lemonade Principle – Wenn das Leben dir Zitronen gibt, mach’ Limonade daraus

Hier geht es um unternehmerische Achtsamkeit und Offenheit. Das Lemonade-Prinzip soll der Unternehmerpersönlichkeit vor Augen führen, dass zufällige Umstände oder Hürden nicht als Bedrohung, sondern vielmehr als Gelegenheit für Innovation und Veränderung akzeptiert werden. Aus einem ungeahnten Zufall können so kreative Ideen gewonnen werden. Neue, zufällige Entdeckungen können einen Marktvorsprung verschaffen, zu Lösungen oder Kurskorrekturen verhelfen, auf die man sonst nie gestoßen wäre. Auch ungeahnte Herausforderungen gehören dazu: Dabei geht es nicht darum, sich von diesen blockieren zu lassen, sondern sein Geschäftsmodell in Hinblick auf die eigenen Fähigkeiten und Ressourcen flexibel anzupassen.

Vielleicht ergeben sich hieraus ungeahnte Schwerpunkte, die das Unternehmen dauerhaft voranbringen werden. 

4. Crazy Quilt Principle – Strategische Partnerschaften

Wen kann ich noch von meiner Geschäftsidee begeistern, ohne ihn/sie mit Geld überreden zu müssen? Suchen Sie sich strategische PartnerInnen, die Ihre Werte und Begeisterung teilen. Im digitalen Bereich kann man beispielsweise eine Community bilden, die gemeinsam mit Ihnen ein Geschäftsmodell entwickelt. Co-Creator und nachhaltige Partnerschaften beschreiben das Crazy Quilt Principle. Wenn das gelungen ist, schaut man darauf, wie das die Ressourcen verändert, plant den damit einen möglichen nächsten Schritt und durchläuft den Prozess von Neuem.

5. Pilot in the Plane Principle – Die Zukunft selbst gestalten

Konzentrieren Sie sich auf das, was sie selbst kontrollieren oder beeinflussen können. Verlassen Sie sich nicht auf Vorhersagen und Trends, die in ungewissen Marktsituationen ohnehin wenig Aussagekraft haben – Intuition ist ebenfalls ein Element der Achtsamkeit (Lemondade Principle) und spielt auch beim 5.Prinzip der Effectuation-Methode eine große Rolle. Entscheidend ist hier der Kontrollaspekt. Man ist seines eigenen Glückes Schmied – verlassen Sie sich also nicht auf Wettervorhersagen und Handbücher, sondern handeln Sie intuitiv, um eigene Lösungen zu entwickeln. Vertrauen Sie auf Ihr Bauchgefühl.

Bild: Snapwire.

Woher kommt der Effectuation-Ansatz überhaupt und warum wurde dieser Teil der wissenschaftlichen Forschung? Das Effektuieren als feststehender Begriff kommt aus der kognitiven Entrepreneurship-Forschung und wurde von der Entrepreneurship-Professorin Saras D. Sarasvathy an der University of Virginia begründet. Sie untersuchte erfolgreiche Mehrfachgründer, die Unternehmen bereits “an die Wand gefahren” hatten. Der Ausgangspunkt von Saras D. Sarasvathy ist die kognitive Forschung. Dabei erforschte sie Denk- und Handlungsweisen und leitete aus Handlungsmustern ihre Prinzipien ab. Mittlerweile zeigen viele internationale Studien, dass diese Handlungslogik in unternehmerischen Startphasen und in ungewissen Marktsituationen erfolgreicher ist, als klassische Businessplanung. Dabei soll die Herangehensweise von ManagerInnen nicht verteufelt werden – Es kommt viel mehr darauf an, wie man die Ansätze in der jeweiligen Situation gut miteinander kombiniert.

Was unterscheidet nun klassische ManagerInnen von Effektuierern? Effectuation widerspricht als Handlungslogik, die der klassischen Management-Logik (linear-kausale Logik). Effektuierer agieren in kleinen, leistbaren Schritten, wobei sie vergleichsweise wenig Zeit für die Planung aufwenden und dadurch schneller ins Handeln kommen. ManagerInnen versuchen, jeden einzelnen Schritt durch sorgfältige Kontrolle zu planen und spulen den unternehmerischen Werdegang sozusagen in die Zukunft – doch niemand kann die Zukunft vorausahnen. Festgelegte Entscheidungen sind daher nicht möglich. Planen geht gleichzeitig mit einem Abbremsen von Innovationen einher.

Daher macht die Effectuation-Methode bei einem Unternehmen Sinn, das sich in einer Situation befindet, die von hoher Unsicherheit und Dynamik geprägt ist und in der neue Märkte oder Technologien erschlossen werden wollen.

Es kommt aber auch stark auf die innere Haltung an. Essentiell ist Zielflexibilität: Man sollte sich darüber klar sein, dass das Ziel nur eine Zielvorstellung ist, die man im laufenden Prozess möglicherweise anpassen muss. Sarasvathy arbeitet mit dem Begriff der Ungewissheit / „true uncertainty“ nach Frank Knight: Es liegt keine Marktkenntnis und damit auch keine Wahrscheinlichkeitsrechnung vor. Damit bleibt nur die Möglichkeit, durch praktisches Handeln die Reaktionen und damit den Markt schrittweise zu testen. Umso weniger ich das Risiko einschätzen kann, umso mehr macht das Handeln nach Effectuation Sinn.

Bei der Effectuation-Methode widmet man sich neuen Ideen und begibt sich in ungewisses Terrain. Kurz: man wird zum Entdecker. Es geht darum, eigene und vorhandene Mittel zu nutzen, aus Hürden oder vermeintlichen Fehlern etwas unternehmerisch Sinnvolles zu machen und aus diesem Potenzial zu schöpfen. Wie kann ich mit kleinen Schritten meine Situation verbessern? Wie kann ich Altes mit neuen Dingen kombinieren? Wo stehe ich? Wen kenne ich? Fokussieren Sie sich nun auf die Dinge, die Sie kontrollieren können, die bereits existieren und die Sie modifizieren können – Sie werden staunen, was Sie dort entdecken.

Welche Potenziale können sich für Kreativschaffende in dieser Krisenzeit durch das Anwenden der Effectuation-Methode ergeben? 

“Viele Kreativschaffende wenden derzeit Effectuation an. Meist sind sie sich darüber gar nicht bewusst. Das bewusste Nutzen der Effectuation-Prinzipien kann aber dazu führen, dass man bessere Entscheidungen trifft, beziehungsweise so reflektiert, dass sie in dieser ungewissen Situation zu besseren Ergebnissen führen. Das hilft dabei, in der Krise mit gestärktem Selbstbewusstsein zu handeln – und zwar so, wie es zu den Kreativschaffenden passt und wie es ihren Ressourcen und meist auch ihrer Mentalität entspricht. Effectuation kann dabei helfen, Handlungsblockaden und Schockstarren zu lösen und ins Machen zu kommen. Gerade in der Krise muss man in Bewegung bleiben, um dem Zufall eine Chance zu geben. Wie sagte schon Winston Churchill: If you‘re going through hell, keep going.” – Christof Schreckenberg

Christof Schreckenberg war lange Kulturmanager und Produzent in der freien Tanz- und Theatersezene in NRW. Darüber hinaus realisierte er zahlreiche interkulturelle Projekte auf regionaler und internationaler Ebene. Später war er regionaler Projektleiter für NRW im Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes und leitete ein EU-Projekt für Kultur- und Kreativwirtschaft in der Euregio Maas-Rhein. So verschob sich sein Arbeitsschwerpunkt hin zu unternehmerischer Beratung, Qualifizierung und Vernetzung. Unter dem Label CREATIVE TIDE ist Christof Schreckenberg heute als systemischer Personal- und Business Coach, Referent, Moderator, Speaker und Hochschuldozent für Entrepreneurship, Projektmanagement sowie Kultur- und Kreativwirtschaft unterwegs.  Dabei gelingt es dem in Köln lebenden Tausendsassa neue Perspektiven aufzuzeigen, wertvolle Impulse für die Entwicklung des individuellen Geschäftsmodells zu geben und mit praktischen Tipps weiter zu helfen. Darüber hinaus ist er Mitbegründer und geschäftsführender Gesellschafter der Feldstärken GmbH.

Christof Schreckenberg
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