Cross Lab 2023: Perspektivwechsel für die Zukunft des Bäckereihandwerkes

Kreative Ideen für Unternehmen der Zukunft

Wie kann die Wertschätzung der Käuferschaft für lokale nachhaltige Backwaren gesteigert werden und wie kann man lokale, kurze Lieferketten zum Standard machen? Die mittelständige Thüringer Familienbäckerei Bergmann setzt beim Lösen aktueller und zukünftiger Herausforderungen des Traditionshandwerks auf die kollaborative Zusammenarbeit mit zwei Thüringer Kreativschaffenden und einem Start-up unter dem Einsatz neuer Kreativmethoden und Cross Innovation. Vom 23. bis 26. Oktober 2023 erlebten fünf Menschen aus unterschiedlichen Disziplinen im Werkraum.Studio in der Erfurter Zentralheize was passiert, wenn verschiedene Perspektiven und Hintergründe aufeinandertreffen und neue Ideen entwickelt werden. Mit dabei: der Weimarer Kommunikationsdesigner Nils Volkmann, die Erfurter Künstlerin Annekatrin Lemke, die Porzellandesignerin Isa Schreiber, der Geschäftsführer der Bäckerei Bergmann, Matthias Bergmann sowie die Nachhaltigkeitsbeauftragte der Bäckerei Bergmann, Stephanie Schieritz. Organisiert wurde das Cross Lab von der Thüringer Agentur für die Kreativwirtschaft (THAK) und ThEx innovativ, angeleitet von Prozessdesignerin Veronika Busch (fint e.V.).

Von li. n. re.: Nachhaltigkeitsbeauftragte der Bäckerei Bergmann Stephanie Schieritz, Porzellandesignerin Isa Schreiber, Geschäftsführer der Familienbäckerei Bergmann Matthias Bergmann, Bildende Künstlerin Annekatrin Lemke und Kommunikationsdesigner Nils Volkmann von Rugwind – Büro für nachhaltige Gestaltung im Cross Lab 2023, Foto: THAK.

Der Cross-Lab-Case: Wie kann die Bäckereibranche die Wertschätzung der Käuferschaft für lokale Rohstoffe in den Backwaren steigern und so nachhaltiger werden?

Das Cross Lab 2023 lieferte frische Ideen für die Frage, wie die Bäckereibranche die Wertschätzung der Käuferschaft für lokale Rohstoffe und somit nachhaltigere Backwaren steigern kann. Am Beispiel des mittelständigen Traditionsunternehmens Bäckerei Bergmann aus Frömmstedt arbeiteten fünf Menschen aus unterschiedlichen Disziplinen 3,5 Tage in einem branchenübergreifenden Ideenlabor zusammen.

Die familiengeführte Bäckerei konzentriert sich verstärkt auf Themen wie Regionalität, Ressourcenschonung und Umweltschutz. Das Ziel: bis 2032 sollen 90% der Zutaten aus Thüringen sein. Die Herausforderung: Die Wertschätzung der Käuferschaft für dieses nachhaltige Vorgehen gewinnen.

Unter der Anleitung von Systemdesignerin, Prozessbegleiterin, Organisationsberaterin und Moderatorin Veronika Busch sind im Cross Lab 2023 Ideen zur Lösung dieser Herausforderung entstanden, die bereits als Prototypen in den Filialen der Bäckerei getestet wurden und deren Weiterentwicklung nun geprüft wird. Zwei Schwerpunktthemen wurden vom Team im Verlauf des Cross-Innovation-Prozess herausgearbeitet: die Vermittlung des Unternehmenswertes „Familie“ und die Bergmann-Filialen als Transporteure von Hintergrundwissen.

Drei Ideen wurden dazu vom branchenübergreifenden Cross-Lab-Team fokussiert erarbeitet: So erzählen die Tüten der Bäckerei, in denen die Backwaren in den Filialen für den Transport verpackt werden, bildhaft Familiengeschichten von Rezeptentwicklungen und erklären welche Produkte bei der Zubereitung der Backwaren verwendet werden. Das Design gibt den Kund:innen Einblicke in die Produktion und schafft Nähe zum Familienunternehmen. Wortwolken aus Papier in der Auslage ergänzen das Kommunikationskonzept um neue Flächen, auf denen die Rohstoffherkunft einzelner Produkte kommuniziert und gleichzeitig Werte des Unternehmens an die Kundschaft transportiert werden. Im Vorlesecafé mit dem Titel “Märchen zwischen Mohn und Mehl” können ältere Menschen als Geschichtenerzähler:innen mit Kindern generationsübergreifend in den Bergmann-Cafés zusammenkommen und damit die Werte der Familienbäckerei leben. Der erste Aufschlag zu einer Reihe familienbasierter Treffen fand am 14.12.2023 im Café Bergmann in der Maximilian-Welsch-Straße 8 in Erfurt statt.

Die kollaborative Zusammenarbeit mit Menschen unterschiedlicher Hintergründe verschafft Unternehmer:innen wie Matthias Bergmann einen Perspektivwechsel auf das eigene Business und unternehmensinterne Prozesse: „Für uns war es spannend mit Leuten zusammenzuarbeiten, die erstmal nichts mit dem Bäckereihandwerk zu tun haben und dazu noch kreativ sind. Das war unglaublich. Unfassbar, dass in so kurzer Zeit so viele tolle Ideen entstanden sind, die gleich umsetzbar sind“, so Geschäftsführer Matthias Bergmann nach dem Workshop.


Das Team

Nils Volkmann

Nils Volkmann ist (Ausstellungs-) und Produktdesigner und Teammitglied im nachhaltigen Designbüro Rugwind in Weimar. Die breit aufgestellte Netzwerkagentur vereint konzeptionelles Denken, schnelle und gute grafische Umsetzungen, handwerklich präzisen Modellbau und komplexes Produktdesign. Dabei ist die emotionale Beteiligung der späteren Nutzer:innen der Antrieb ihrer Projekte.

Isa Schreiber

Porzellandesignerin Isa Schreiber ist Gründerin des Studios Isa Schreiber für alternatives Porzellanhandwerk in Weimar. Ihr Ziel ist es, neue Wege für Porzellan und seine Herstellung zu explorieren und
aufzuzeigen. Durch die Weiterentwicklung von traditionellen Produktionsweisen ist es der Kreativen möglich, Gewerke und Branchen zu unterstützen und einen Platz für sie im aktuellen Kontext zu finden.

Matthias Bergmann
& Stephanie Schieritz

Bei Matthias Bergmann liegt das Bäckerhandwerk in den Genen. 1908 übernahm sein Ur-Urgroßvater die erste Backstube. Über die folgenden Generationen hinweg gehörten die Bewahrung der eigenen Werte und die Bereitschaft zur Veränderung zu den wesentlichen Erfolgsfaktoren des Unternehmens Bergmann. Er nahm zusammen mit Stephanie Schieritz am Cross Lab teil, die seit Sommer 2020 als Nachhaltigkeitsbeauftragte für die Bäckerei Bergmann fest angestellt ist.

Annekatrin Lemke

Als Bildhauerin erforscht Annekatrin Lemke die Beziehungen zwischen Fläche, Farbe, Form, Struktur und Licht. In ihren Arbeiten beschäftigt sie sich mit Form, Fläche und Farbe und den Beziehungen, die diese miteinander eingehen und wie diese miteinander interagieren.

Cross Lab – darum ist kooperatives Arbeiten für zukunftsfeste Unternehmen so wichtig

Zusammenarbeit ist das Gebot der Stunde – auch beim Vorantreiben von Innovationen. Warum also nicht innovativ gemeinsam mit der Branche arbeiten, deren täglich Brot das Entwickeln neuer Ideen ist? Hier setzt Cross Innovation an und bringt Kreativwirtschaft und Start-ups mit Akteur:innen anderer Branchen, wie im Cross Lab 2023 mit der Bäckerei Bergmann, zusammen. Denn: Unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Perspektiven sind das Fundament für frische Ideen und den berühmten Blick über den Tellerrand, den Unternehmen, die zukunftssicher agieren möchten, dringend brauchen. In kuratierten Cross-Innovation-Prozessen wurden daher in Erfurt auf dieser Grundlage und mit Hilfe kreativer Methoden, Ideen für die aktuellen unternehmerischen Herausforderungen des Traditionsunternehmens generiert und bis zum Prototypen weiterentwickelt. 

Für ein gelungenes Cross Lab haben wir als THAK zusammen mit ThEx innovativ einen Raum zur Konzentration und Zusammenarbeit und zum intensiven Austausch geschaffen. Das Werkraum.Studio in der Erfurter Zentralheize bot genügend Platz, um Innovationen voranzutreiben sowie Ideen und Themen zu rekombinieren. Matthias Bergmann konnte hier zusammen mit Thüringer kreativen Köpfen aus alltäglichen Arbeitsstrukturen ausbrechen und sich in aller Ruhe langfristigen, unternehmerischen und nachhaltigen Fragestellungen widmen. Einen Raum außerhalb des Unternehmens für die Teilnehmenden des Cross Labs zu wählen, ist wichtig. Denn nur in neuartigen Umgebungen kann man gedanklich alte Pfade verlassen und stereotype Lösungen über Bord werfen.

So lief der Cross-Innovation-Prozess ab: Phase 1 – Bevor die interdisziplinären Teams ins Arbeiten gekommen sind, wurde das Setting des Prozesses möglichst klar umrissen. Das Team lernte sich kennen und erfuhr, welche Hintergründe die Teilnehmenden mitbringen.

Phase 2 (Preject) – In der zweiten Phase des Prozesses wurden Kontext, Problemstellung und die Herausforderung sondiert. Hier teilten die Teilnehmenden ihre persönlichen Erfahrungen mit der Bäckereibranche, Matthias Bergmann und Stephanie Schieritz ihr Expert:innenwissen. Das Team tauschte sich zum Thema aus und formulierte die zentrale Frage des Cross Labs.

Phase 3 (Project) – Damit das Themenwissen nicht in der Theorie hängen bleibt, ging es in der Recherchephase raus auf die Straßen Erfurts, wo die Teilnehmenden mit Mitarbeiter:innen und Kund:innen verschiedener Verkaufspunkte für Backwaren sprachen. Ideen wurden zu den zwei Schwerpunkten „Vermittlung von Familenwerten“ und „Filialgestaltung“ entwickelt.

Phase 4 (Eject) – Am Ende des Prozesses wurden alle Ideen sondiert und schließlich Konzepte und erste Prototypen erarbeitet, die in den Bergmann-Filialen getestet wurden.

Das Herzstück aller Phasen war die passende Kreativmethode – beim Cross Lab 2023 bediente sich Systemdesignerin und Moderatorin Veronika Busch dem Design Thinking. Durch die Methode kann laut Veronika „Kreativität organisierbar“ werden. “Design Thinking“ ist übrigens ein Ansatz aus der Innovationsschmiede des Silicon Valley und angelehnt an die Arbeitsmethoden von Designer:innen. Mittlerweile hat der Ansatz den Weg in zahlreiche, internationale Unternehmen und Organisationen jeder Größe gefunden. Bekannteste Beispiele: BMW und SAP. Bewährtes kann hierbei neu gedacht werden. Genauso wie im Cross Lab in Erfurt. Doch, für welche Branchen sind Cross Labs eigentlich noch interessant?


Wissenswertes über Cross Innovation von der Moderatorin des Cross Labs 2023 Veronika Busch

Veronika, für welche Branchen und Bereiche ist Cross Innovation besonders interessant?

Grundsätzlich sind Open-Innovation-Prozesse für alle Arten von Unternehmen interessant: Vom kleinen Steuerbüro über Kommunen und Städte bis zu großen Konzernen. Vor kurzem habe ich beispielsweise im Zuge eines Cross Labs in einer Industriebrache in Loitz/Vorpommern zusammen mit Vertreter:innen der Stadt und Kreativen an einem Regionalentwicklungsprojekt gearbeitet, das Ideengenerierung für die Nutzung der Brache als Kreativort zum Ziel hatte.

Wenn ich mich als Unternehmen also frage, wie und welche neuen Geschäftsmodelle oder Dienstleistungen ich implementieren kann, wenn ich auf der Suche nach neuen Fachkräften bin oder wenn ich mich von Abhängigkeiten befreien möchte, dann ist Cross Innovation auf jeden Fall sinnvoll. Der Markt ist in allen Bereichen im Wandel und jede Branche muss sich neu erfinden, um zukunftsfähig zu sein. Cross Innovation kann dabei helfen, tradierte Geschäftsmodelle zu hinterfragen und ihre Entwicklungsfähigkeit neu zu überdenken.

Was fasziniert dich denn so sehr an der Kreativmethode Cross Innovation?

An Cross Innovation fasziniert mich am meisten die langfristige, soziale Innovation. Wenn wir unseren Planeten nicht an die Wand fahren wollen, dann müssen wir die Wirtschaft neu denken. Und das geht vor allem dann, wenn wir kreative Ideen und Herangehensweisen als integrale Bestandteile in althergebrachte Geschäftsmodelle implementieren. 

Was ist deine Rolle als Prozessbegleiterin in den Cross Labs?

Ich habe die Moderation inne und stecke den zeitlichen Rahmen ab. Das sogenannte “Time Boxing“ spielt eine zentrale Rolle für einen gelungenen Cross-Innovation-Prozess, da sich Kreative in ihren Gedanken schnell verlieren, wohingegen Unternehmen anderer Branchen ihren gedanklichen Raum aus einem Effizienzgedanken heraus oftmals kleiner halten. Um gelungene Zusammenarbeit zu garantieren, ist eine zeitliche Synchronisation der Gruppen wichtig. Ich prüfe zudem, ob die Tools aus dem Design Thinking richtig angewendet werden, stoße den Abbau von Denkblockaden mit kritischen Fragen an und bin dafür da, dass die Methode auch richtig gelebt wird.

„Das Cross Lab kann eine Zeitinsel für Unternehmen schaffen, um sich den großen und wichtigen Fragen zu stellen. Am Beispiel der Bäckerei Bergmann: wie ein Unternehmen nachhaltiger werden kann“


Cross Lab 2023 – Das sagen die Teilnehmenden

„Das Setting im Werkraum.Studio und die Professionalität von Veronika und des Teams waren einzigartig. Ich bin sehr dankbar für die Chance, dass wir als Traditionsunternehmen dabei sein durften und in so kurzer Zeit handfeste und innovative Ideen entwickelt wurden, die gleich positiven Anklang bei unseren Mitarbeitenden und der Kundschaft gefunden haben.“ – Matthias Bergmann (Geschäftsführer der Bäckerei Bergmann aus Frömmstedt)

“Im Cross Lab ist mir klar geworden, wie sehr die Bäckereibranche und ihre Produkte unsere Gefühle ansprechen. Obwohl wir denken, dass wir beim Einkaufen rationale Entscheidungen treffen, spielen unsere Emotionen oft die Hauptrolle. Das merkt man besonders deutlich, wenn es um Backwaren geht, die uns an besondere Momente und Gefühle erinnern. Dieses Verständnis zu nutzen und auf eine Weise zu kommunizieren, die unsere Emotionen anspricht, kann besonders der handwerklich geführten Bäckereibranche Möglichkeiten eröffnen.” – Nils Volkmann (Designer bei Rugwind aus Weimar)

„Ich fand es sehr spannend, die Kreativmethode zu lernen, die, im Vergleich zu meiner Arbeit, komplett weg vom Abstrakten geht. Dass man hier rausgeht, mit den Menschen vor Ort ins Gespräch kommt und die Vielfalt der Anregungen mit in die Arbeit einfließen lassen kann, half sehr im kreativen Prozess, der eine nachhaltig-funktionierende Lösung zum Ziel hatte, die wir gleich testen konnten.” – Annekatrin Lemke (Bildende Künstlerin aus Erfurt)

„Backwaren und das Backhandwerk sind sehr nahbare und spannende Themen. Der Workshop war sehr geeignet, um Ideen zu entwickeln, wie wir die Wertschätzung für die Produkte steigern können, die uns alle betreffen. Zudem war die Arbeit in einem Setting wie dem Werkraum.Studio sehr inspirierend. Die Vielseitigkeit dieses Ortes regte absolut die Kreativität an, weil man ihn auf verschiedene Arten nutzen konnte.“ – Isa Schreiber (Porzellandesignerin aus Weimar)

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