Happy Birthday DSGVO: Eine Geburtstagsrede
Am 23. Mai 2019 haben wir gemeinsam mit Ihnen den Geburtstag der DSGVO gefeiert. Mit dabei war auch Marcel Schneuer. Der Poetry Slammer aus Jena hat die Veranstaltung in seinem Wrap-up für uns zusammengefasst. Wer live nicht dabei sein konnte oder sich gern noch einmal zurückerinnern möchte, kann seinen Text nun hier nachlesen.
Wenn es zu Geburtstagen kommt, gibt es zwei Dinge, die nie fehlen dürfen:
1. Eine panisch zusammengeschriebene Rede, die noch in letzter Minute fertig geworden ist und die letzte Hürde zwischen Publikum und der Eröffnung des BBQ darstellt
2. Ein nerviges Kleinkind welches offensichtlich zu jung für die Veranstaltung ist
Ich bin heute für beides verantwortlich.
Die DSGVO ist, wie das Gespräch über Sex mit meinen Eltern war: Mehr irritierend als hilfreich und, wenn man ehrlich ist, 5 Jahre zu spät.
Dabei feiern wir, so wurde mir heute erst klar, nicht den ersten, sondern mittlerweile den dritten Geburtstag, was, wenn man darüber nachdenkt, auch Sinn ergibt. Denn erst mit zwei bis zweieinhalb Jahren ist das Gebiss eines Kleinkindes komplett entwickelt und alle Eltern in diesem Raum wissen, was davor kommt: Schmerz, Rumgequengel und schlaflose Nächte.
Und wie die ersten Zähne trat die DSGVO gleichzeitig völlig erwartbar und offensichtlich doch sehr sehr überraschend in Kraft. Es wird an HistorikerInnen liegen zu rekonstruieren, was genau zur Hölle da im letzten Jahr passiert ist, aber ich persönlich kann nur sagen, dass alles woran ich mich erinnern kann, ist, dass ich mehr Cookies als bei meiner Oma akzeptieren musste, (ob ich wollte oder nicht, wie bei meiner Oma), die Datenschutzbeauftragte, die bei mir im dritten Stock wohnt, auf einmal Porsche fuhr und nicht zuletzt: Der Geruch von Napalm am Morgen.
Denn nichts anderes als das war es: Krieg. Hauptsächlich zwischen mir und meinem E-Mail-Postfach. Vorher wusste ich zum Beispiel nicht, dass ich 5 verschiedene Newsletter zum Thema Haarpflege habe. Wenn ich ehrlich bin, hätte mein Ego auch ganz gut ohne dieses Wissen klarkommen können.
Aber auch sonst war der Sommer 2018 ein einziges Schlachtfeld aus den seltsamsten und sich teils widersprechenden Theorien. Blitzer-Fotos würden gegen das Recht am eigenen Bild verstoßen (netter Versuch), auf einmal dürften Ärzte nicht mehr Patienten mit Namen aufrufen, Klingelschilder seien jetzt auch illegal und wenn man ganz genau hinschaut, ist der eine Twin Tower schon vor dem Einschlag zusammengebrochen, aber ich schweife ab.
Ja, es gab genug Unsicherheiten am Anfang und es spricht nicht gerade für unser Rechtssystem, dass viele dieser Warnungen eigentlich auch nicht so unwahrscheinlich schienen. Man könnte fast sagen es wirkte wie ein Quiz, bei dem erst mal kein Gewinner rauskommt und die richtige Antwort auch noch hinterfragt wird. Aber das passiert ja zum Glück nicht.
Wie bei einem 3-Jährigen war auf einmal alles ein Risiko, aber wie jeder Elternteil auch hier bestätigen wird: Auch wenn dir so ein 3-Jähriger ab und zu mal die komplette Inneneinrichtung zerlegt und du feststellst, dass auch das 9. Buch über Erziehung dich nicht darauf vorbereitet, was du machen sollst, wenn er auf einmal im Supermarkt nackt im Kühlregal zwischen Schokodrink und geschnittenen Käse im Super-Sonderangebot liegt, ist alles vergessen, wenn er dich nur einmal anlächelt.
Denn auf einmal kann ich sicher sein, dass Pringles meine Beschwerden über die Dosengröße sicher empfängt. Ich erfahre jetzt, wenn irgendeine Start-Up-Klitsche aus Berlin-Mitte wieder meine Kreditkarten-Daten verliert, weil sie vergessen haben sich bei der WG-Party auszuloggen und hey, wenn wir ein ganz bisschen Glück haben, verliert Facebook auch noch ein paar Millionen.
Ich weiß, wir leben in einem hochpolitischen Klima, indem selbst für Jahrzehnte etablierte Fakten plötzlich als optional angesehen werden, aber wenn wir uns als Gemeinschaft auf etwas einigen können, dann, dass etwas gar nicht so schlecht sein kann, wenn Facebook eins auf die Nase bekommt.
Ich bin ehrlich. Ich habe meine eigene Datenschutzerklärung in so einem Generator machen lassen und ich klicke auch viel zu oft ohne irgendetwas durchzulesen auf Okay, nur um schneller das Katzenvideo sehen zu können, aber wenigstens existieren diese Erklärungen und Buttons jetzt und Menschen, die weniger Katzenvideos als ich schauen und dessen Hände nicht in Pringles-Dosen fest stecken, können darauf achten, dass das wertvollste was wir in ein paar Jahren noch haben werden, nicht einfach als Textdatei auf so ‘nem USB Stick gespeichert wird, der cool blau leuchtet, wenn man ihn ansteckt. Nämlich unsere Daten.
Ich freue mich persönlich, dass sich mittlerweile die Industrie wieder aus ihrer kollektiven Fötus-Haltung gelöst hat und nun – teilweise zum ersten Mal – darüber nachdenkt, warum sie bestimmte Daten von mir haben möchte und das irgendwas generell am eigenen Geschäftsmodell falsch läuft, wenn man den Nutzer austricksen muss, damit er sein Geburtsdatum preisgibt. Laut meiner Mutter fragt man das als Gentleman nämlich nicht.
Und wie bei jeder guten Geburtstagsrede kommt zum Schluss die Aussicht nach vorne, denn wie Ihnen Ihre Nachbarin beim Treffen im Drogeriemarkt bestätigen wird: Die Kleinen werden ja so schnell groß.
Bald wird es keine Windel mehr brauchen, die Milchzähne werden rausfallen und durch härtere Bleibende ersetzt und dann, wenn man nur kurz nicht hingeschaut hat, ist es erwachsen. Es wird die Leben anderer Gesetze berühren, aus den Konsequenzen seines Handelns lernen und vielleicht irgendwann ja auch eigene Kinder haben, vielleicht sogar in anderen Ländern. Und wir werden dann hier oder woanders sitzen, mit Augmented Reality Brillen, die auch dann noch immer genau im falschen Moment sich updaten … oder abstürzen … oder beides …. und uns erinnern, wie das damals war, als die DSGVO ihre ersten Schritte gemacht hat.
Die DSGVO ist, wie mein erster Kuss war: Mehr irritierend als hilfreich und, wenn man ehrlich ist, 5 Jahre zu spät.
Aber wenn ich mich jetzt daran zurückerinnere, denke ich mir besser spät als nie und dass noch echt viel Gutes daraus entstanden ist.
In diesem Sinne:
Happy Birthday, liebe Datenschutz-Grundverordnung.